In den Achtzigerjahren wurde an der Wall Street ein neuer Typus eines Superhelden erschaffen: der moderne Investmentbanker. Wahlweise «Master of the Universe» oder «Big Swinging Dick» genannt, drehten diese Männer das ganz grosse Rad. Sie verdienten oder verloren über Nacht dreistellige Millionenbeträge, schrieben Politikern vor, was sie zu tun und lassen hatten und tauschten ihre Ehefrauen gegen junge, sogenannte «trophy wives» ein.
In seinem Roman «Fegefeuer der Eitelkeiten» schilderte Tom Wolfe die Welt der Masters of the Universe. Michael Lewis schob mit «Lügenpoker» ein erhellendes und äusserst witziges Sachbuch nach. Mit «Wall Street» lieferte Oliver Stone schliesslich das Filmepos zu dieser Epoche.
Wolfe, Lewis und Stone verstanden ihre Werke als Abschreckung. Sie wirkten jedoch wie als Aufklärung getarnte Sexfilme und machten junge Männer erst recht geil darauf, ihr Glück in dieser mit Testosteron geschwängerten Welt zu suchen.
Auch die Schweizer Grossbanken erlagen dieser Versuchung. Die CS kaufte sich mit First Boston eine renommierte Investmentbank. Die UBS schnallte sich mit John Meriwether den legendären Trader aus «Lügenpoker» an. Später soll Marcel Ospel gar ernsthaft versucht haben, die Investmentbank Merill Lynch zu kaufen und damit zum grössten Swinging Dick an der Wall Street zu werden. Es sollte nicht sein, die meisten dieser Experimente endeten in Tränen.
Ein anderer, der sich ebenfalls als Big Swinging Dick sah, war Josef «Jo» Ackermann. Der Arztsohn aus Mels im Sarganserland arbeitete sich in der Schweizerischen Kreditanstalt – so hiess die CS einst – bis in die höchsten Etagen hinauf. Weil es jedoch nie bis ganz zuoberst reichte, wechselte er zur Deutschen Bank (DB) und verwandelte diese in einen gigantischen Hedgefund.
Es sollte eine Katastrophe werden. Die DB wurde zum Sinnbild einer Skandalbank. Russisches Geld wurde im grossen Stil gewaschen, dubios Kredite an Donald Trump erteilt, etc. Heute kämpft sich die DB mühsam aus dem Sumpf, in den sie Ackermann geführt hat.
Die Credit Suisse hat derweil die undankbare Rolle der DB übernommen. Sie ist die Verkörperung der Skandalbank der Gegenwart geworden. Während die meisten Geldinstitute erfreuliche, die UBS sogar sehr erfreuliche Jahreszahlen vorlegen konnten, musste die CS einen Verlust von rund zwei Milliarden Franken ausweisen. Das Greensill- und das Archegos-Debakel haben tiefrote Spuren in der Bilanz und Kopfschütteln in der Branche hinterlassen.
«Wenn es regnet, dann giesst es», besagt ein englisches Sprichwort. Die CS kann ein Lied davon singen. Nun hat auch noch das internationale Journalistennetzwerk Organized Crime and Corruption Reporting (OCCRP) einen Bericht veröffentlicht, in dem die CS ganz schlecht wegkommt. Die Schweizer Grossbank soll über Jahre korrupte Politiker und Kriminelle als Kunden akzeptiert haben, heisst es in dem Bericht.
Er stützt sich auf Angaben, welche dem OCCRP anonym zugespielt worden sind. Weltweit haben 46 Medienhäuser – darunter sehr renommierte wie die «New York Times», «Guardian» und «Süddeutsche Zeitung» – diese Angaben überprüft. Sie kommen zum Schluss, dass die CS rund 30’000 Konten von 18’000 dubiosen Kunden wider besseren Wissens geführt habe.
Unter diesen Kunden befinden sich etwa die Familie von Nursultan Nasarbajew, dem Ex-Präsidenten von Kasachstan. Oder Nevis Villalobos, dem ehemaligen Vize-Energieminister von Venezuela. Er gilt als Strippenzieher in einem Schmiergeld-Skandal.
Die CS bestreitet die Vorwürfe. Rund 90 Prozent der überprüften Konten seien geschlossen oder schon vor den Medienanfragen in einem Schliessungsverfahren gewesen, teilte die Bank mit. Über 60 Prozent der Fälle seien zudem vor 2015 geschlossen worden.
Gemäss CS ist das Ganze ein Versuch, «den Schweizer Finanzplatz in Verruf zu bringen». Das mag sein, ändert jedoch nichts daran, dass die Grossbank ein riesiges Reputationsproblem mit sich herumschleppt. Mehr als 10 Milliarden Dollar musste sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Strafzahlungen entrichten, weil sie immer wieder bei unsauberen Geschäften erwischt wurde. Aktuell muss sie sich vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten, weil sie vor 15 Jahren geholfen haben soll, Geld einer bulgarischen Drogenmafia zu waschen.
Ein guter Teil dieser Sorgen hat sich die CS mit Männern eingehandelt, die sich als Master of the Universe gesehen haben. Obwohl beide Schweizer Grossbanken über einen längeren Zeitraum mit dem Investmentbanking unter dem Strich Verluste eingefahren haben, konnte sie der Verlockung von Wall Street lange nicht widerstehen, am wenigsten die CS.
Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, wonach das Investmentbaning höchsten als Zuträger für das Wealth Management taugt – zumindest für Schweizer Geldinstitute. Die UBS hat diese Erkenntnis bereits umgesetzt. Bei der CS muss dies nun endlich Axel Lehmann tun. Er scheint der richtige Mann dazu zu sein.
Lehmann ist genau das Gegenteil eines Big Swinging Dick. Seine Sporen hat er im Versicherungsgeschäft absolviert, etwas, worauf die Macho-Investmentbanker mit tiefer Verachtung herabschauen. Er wird auch mit Attributen eingedeckt, die ihn als biederen Buchhalter erscheinen lassen. So weiss die «NZZ», Lehman sei «ein seriöser und erfahrener Schaffer, kein Blender». Zudem sei er «bodenständig und solide, stets angenehm und freundlich im Umgang».
Auch wenn er kein charismatischer Master of the Universe sein mag, ist Lehmann die letzte Hoffnung der CS. Nur wenn es gelingt, die schwer angeschlagene Grossbank wieder in ruhigere Gewässer zu führen, kann sie vermeiden, feindlich übernommen zu werden.
Allzu teuer ist dies ohnehin nicht mehr. Die jüngsten Enthüllungen haben den Aktienkurs erneut in den Keller geschickt. Mittlerweile ist die CS zu einem Schnäppchenpreis zu haben.
Dadurch werden geldgeile und machthungrige Egomanen mit massivem Hang zur Selbstüberschätzung gezüchtet...