Okay, vielleicht wird ja alles wieder gut. Vielleicht verschwindet das Coronavirus wieder – wie es Donald Trump glaubt – auf mirakulöse Weise, wenn die Temperaturen ansteigen, und die Wirtschaft läuft bald wieder auf vollen Touren. Aber was, wenn nicht?
«Gouverner c’est prévoir», sagt der Franzose. Das Coronavirus zwingt derzeit die Regierungen rund um den Globus, diesem Rat Folge zu leisten und Szenarien für mögliche Entwicklungen auszuarbeiten. Auch die Schweiz sollte sich gegen unerfreuliche Entwicklungen wappnen, denn «die meisten Epidemiologen gehen davon aus, dass das Virus langfristig bei uns bleiben wird», erklärt Marcel Salathé, Epidemiologie-Professor an der ETH Lausanne im «Tages-Anzeiger». «Solange es keinen Impfstoff gibt, muss man schon davon ausgehen, dass sich ein Grossteil der Bevölkerung infiziert.»
Das wird nicht nur volksgesundheitliche, sondern auch volkswirtschaftliche Konsequenzen haben: Versorgungsketten werden unterbrochen, Konsumenten werden nicht mehr konsumieren und Touristen werden zuhause bleiben.
Allmählich kommt so eine Verelendungsspirale in Gang, welche die Wirtschaft auf allen Kontinenten lähmen wird. Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, spricht bereits davon, dass sich das globale Wirtschaftswachstum im schlimmsten Fall halbieren könnte.
Wir haben uns in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass die Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik wirtschaftliche Abschwünge rasch wieder ausbügeln können. Gegen das Coronavirus hilft dies jedoch nur bedingt. So hat die US-Notenbank, die Fed, gestern überraschend die Leitzinsen um ein halbes Prozent gesenkt, um der Börse und der Wirtschaft neuen Schwung zu verleihen.
Die Reaktion war ernüchternd, die Kurse an den amerikanischen Börsen sackten rund drei Prozent ab. Wir können «weder die Ansteckungsrate vermindern noch unterbrochene Supply Chains reparieren», erklärte ein enttäuschter Fed-Präsident Jay Powell.
Es empfiehlt sich daher, wieder einmal einen Blick in die Lehrbücher von John Maynard Keynes zu werfen. Der wohl bedeutendste Ökonom des letzten Jahrhunderts hat die Theorie entwickelt, wonach in einer Deflation der Staat dafür sorgen muss, dass die Wirtschaft nicht absackt. Mit sogenannt fiskalischen Massnahmen, will heissen, staatlichen Investitionsprogrammen, soll die Nachfragelücke geschlossen und so die Verelendungsspirale gestoppt werden.
Die Rezepte von Keynes hat der US-Präsident Franklin Roosevelt in den Dreissigerjahren umgesetzt. Sein Land befand sich in einer schweren Depression, das Bruttoinlandprodukt war um rund 40 Prozent eingebrochen. Massenarbeitslosigkeit und Massenelend waren die Folgen.
Mit staatlichen Arbeitsprogrammen kämpfte Roosevelt gegen die Depression an. Er liess Strassen und andere Infrastrukturprojekte bauen. Das bekannteste davon ist der Hoover Dam, ein riesiger Staudamm an der Grenze der Bundesstaaten Nevada und Arizona.
Der New Deal war erfolgreich. (Okay, es brauchte auch noch den Zweiten Weltkrieg, aber das ist eine andere Geschichte.) Deshalb geistert seit einiger Zeit der Vorschlag eines Green New Deal herum. Mit staatlichen Investitionen soll die Wirtschaft dekarbonisiert und gleichzeitig sollen hochwertige Arbeitsplätze geschaffen werden.
Das Resultat ist eine Win-win-Situation (sorry für den schrecklichen Ausdruck): Der Green New Deal bringt Ökonomie und Ökologie unter einen Hut, er rettet die Umwelt und verhindert Massenarbeitslosigkeit.
In seinem Buch «Kraftwerk Schweiz» hat der ETH-Professor und IT-Unternehmer Anton Gunzinger aufgezeigt, dass es möglich ist, die Schweiz vollständig zu dekarbonisieren, will heissen: von Öl und Gas zu verabschieden und vollständig auf nachhaltige Energie umzustellen. Auch die von den Stimmbürgern angenommene Energiewende verfolgt dieses Ziel, allerdings auf einen langen Zeitraum gesehen.
Warum verkürzen wir diese Frist nicht? Weshalb ziehen wir nicht Projekte vor, welche die Solar- und Windenergie ausbauen, Ölheizungen durch Wärmepumpen ersetzen, ein smartes Strom- und ein Tankstellennetz für Elektroautos aufbauen?
Wir besitzen den nötigen Spielraum. Die Schweiz verfügt über eine beneidenswert tiefe Staatsverschuldung. Die rekordtiefen Zinsen sorgen zudem dafür, dass der Bund zum Nulltarif Schulden aufnehmen kann, ja er wird im Zeitalter der Negativzinsen sogar dafür bezahlt.
Natürlich kann das nicht alles aus der Schublade gezogen werden. Angesichts der Tatsache, dass wir in der Schweiz bereits fast 100 bestätigte Covid-19-Fälle haben, lohnt es sich jedoch, darüber nachzudenken.
Der Klimawandel wird das bestimmende Thema der nächsten 20 bis 30 Jahre sein. Und da wir nicht bereit sein werden, auf den Wohlstand zu verzichten, wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein gewaltiger Markt für negative Emissionstechniken entstehen. Wenn wir die dann bereits Lieferfertig anbieten können, kann in der Schweiz eine hochwertige Industrie entstehen.