Wie er sich bewegt, wie spricht, was er sagt – die Ähnlichkeit von Markus Blocher mit seinem Vater Christoph verblüfft. Er wird seit Kindstagen darauf angesprochen, hat aber einen unverkrampften Umgang damit.
Geschäftlich hat er sich längst emanzipiert und führt erfolgreich die Chemiefabrik Dottikon ES. Wir treffen Markus Blocher im Pavillon seiner Firma. Davor weiden Rehe. Sie gehören – eine alte Tradition – zur ehemaligen Sprengstofffabrik.
Aargauer Zeitung: Herr Blocher, in Ihrer Hauszeitung steht, dass Sie im Januar erneut Vater geworden sind. Herzliche Gratulation zum siebten Kind!
Markus Blocher: Vielen Dank. Somit hätten wir für die AHV gesorgt (lacht).
Unternehmer und Vater von sieben Kindern: Wie geht das?
Das ist nur möglich, weil meine Frau zu Hause sehr viel wegstemmt.
Wie verbringen Sie Ferien mit Ihrer Grossfamilie?
Wir verbringen dieses Jahr die Ferien in der Schweiz. Von unserem Daheim aus als Basis steuern wir im neunplätzigen Bus verschiedene Ausflugsziele an. Bei Auswärtsübernachtungen ist oft der Platz das Problem. Letztes Jahr im Tessin haben wir in der Jugendherberge einen 8er-Schlag alleine belegt.
Haben Sie das Unternehmer-Gen von Ihrem Vater?
Ob Unternehmertum genotypisch ist oder aus endogenen Einwirkungen entsteht, weiss ich nicht. Ich habe auf jeden Fall einen starken inneren Antrieb, das tun zu müssen, was ich tue. Das erwirbt man nicht mit einem MBA-Abschluss. Oft ist es Intuition, basierend auf gemachter Erfahrung, die einem in eine bestimmte Richtung treibt. Wichtig ist aber, das Tun immer wieder mit der objektiven Faktenlage zu hinterfragen, Kritik an sich und dem, was ich tue, zuzulassen.
Sie wirken sehr selbstbewusst.
Das bin ich meist auch, habe aber auch immer wieder Zweifel, ob das, was ich tue, das Richtige ist. Wenn man vier Jahre hintereinander Verluste schreibt, fragt man sich auch, ob die Strategie wirklich stimmt. Bezeichnenderweise ist der Zweifel kurz vor dem Durchbruch am grössten. Die Täler sind tief, damit die Berge hoch sind.
Wie hat Ihr Vater Sie geprägt?
Er hat mich sicherlich geprägt, auch wenn er nicht oft zu Hause war. Als Kind bekam ich dennoch einiges en passant mit. Früher gingen wir mit der Familie manchmal dorthin in die Ferien, wo seine Geschäftsreisen hinführten, oder ich habe ihn begleitet und für ihn übersetzt.
Wie ist das heute bei Familienzusammenkünften? Redet man ständig übers Geschäft?
Alle reden und keiner hört zu (lacht). Früher wurde am Familientisch viel über Politik und übers Geschäft gesprochen. Heute trifft man sich sporadisch, dann stehen das Zusammenkommen und der Nachwuchs im Fokus. Die geografisch näher wohnenden Geschwister haben einen engeren Austausch. Ich verbringe die Freizeit mit meiner eigenen Familie. Vieles erfahre ich auch nur aus der Zeitung.
Haben Sie sich als Teenager von Ihrem Vater abgrenzen wollen?
Dieses Bedürfnis hatte ich nicht. Obwohl es nicht immer einfach war, «der Sohn von Blocher» zu sein. Zum Teil werde ich auch heute noch darauf reduziert. Schauen Sie sich die Berichterstattung zu Dottikon ES an. Es heisst oft: «Der Sohn von alt Bundesrat Christoph Blocher …».
Ist der Name Blocher lästig?
Der Name ist nun mal bekannt und belegt. Ich wäre aber vermutlich heute auch nicht hier, wo ich bin, wenn ich nicht aus der Familie Blocher käme. Man kann nicht das eine nehmen und das andere nicht wollen. Schliesslich trägt jeder auch sein eigenes Bürdeli.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich überlegt hatten, den Namen Ihrer Frau anzunehmen.
Das ist so. Ich habe im Austauschjahr in den USA die Erfahrung gemacht, wie schön es sein kann, wenn niemand weiss, dass man ein Blocher ist.
Gibt es Blocher-Fans, die Ihnen wohlgesinnt sind, nur weil Sie der Sohn sind?
Ja, aber die Blocher-Gegner sind mit lieber – da können Sie nur gewinnen.
Auf Gewinnkurs sind Sie auch mit Ihrer Firma. Sie bauen am Standort Dottikon (AG) massiv aus. Wieso nicht in China, wie das die Konkurrenz macht?
Einfache, gut bekannte und robuste Prozesse können Sie in billigen Anlagen in Tieflohnländern durchführen. Wir aber machen anspruchsvolle Chemie, entwickeln und produzieren nach mehrstufigen, komplexen Prozessen, oft unter Zeitdruck und mit hohen Qualitätsanforderungen. Da brauchen wir Zuverlässigkeit, Fachwissen und Erfahrung.
Wieso gehen dann andere dorthin, etwa die Lonza oder Siegfried?
Was die dort machen und warum, müssen Sie diese Unternehmen fragen. Für uns als Technologieführer und strategischer Entwicklungs- und Produktionspartner macht es keinen Sinn, in China zu produzieren. Gibt es dort Vorteile für Prozessschritte, kaufen wir Vorstufen zu. Viele Unternehmen holen ihre Produktion bereits wieder zurück nach Europa oder in die USA. Gerade in der Pharma gab es in Asien grosse Qualitätsprobleme und Betrugsfälle.
Hat der Ausbau in der Schweiz auch patriotische Gründe?
Als Unternehmer kann das nicht das Entscheidungskriterium sein. Man muss wissen, was man nicht kann. Das, was man glaubt zu können, sollte man dort tun, wo man Land und Leute versteht. Ich bin in der Schweiz aufgewachsen, war länger in den USA und Deutschland, habe Chemie studiert, war in der Unternehmensberatung und Offizier im Militär. Diese Mentalitäten kenne ich. Aber ich könnte kein Unternehmen in China führen.
Sie haben nach Jahren des Verlusts eine Verzehnfachung des Gewinns bekannt gegeben. Was haben Sie verändert?
Wir haben antizyklisch viel in Forschung und Entwicklung sowie in Qualität investiert. Nach der Finanzkrise haben unsere Pharmakunden ihre Portfolios bereinigt und über Nacht Projekte eingestellt. Die chemische Prozessentwicklung wurde aufgeschoben, Entwicklungseinheiten entsprechend reduziert. Produktionsanlagen wurden stillgelegt oder abgerissen. Aufgrund vieler Wirkstoff-Neueinführungen besteht nun Aufholbedarf. Qualitativ hochstehende Kapazitäten sind rar geworden.
Ihr Geschäft funktioniert auch mit dem starken Franken?
Wenn wir mehr Mehrwert schaffen als die Konkurrenz, können wir auch einen angemessenen Preis dafür durchsetzen.
Sie fahren eine Wachstumsstrategie wie Ihre Schwester Magdalena Martullo bei der EMS Chemie.
Das sehe ich nicht ganz so. Mein Vater hat das Geschäftsmodell bei der EMS beachtliche drei Mal komplett verändert, zum Schluss auf Hochleistungspolymere. Soweit ich das von aussen beurteilen kann, profitiert die EMS heute vom lang anhaltenden Megatrend Metallersatz in Kombination mit starker Anwendungstechnik, bei stringenter Kostenkontrolle, aber auch verhältnismässig tiefen Forschungs- und Entwicklungsausgaben und Investitionen. Die Frage ist, ob genügend in die Zukunft und in neue Produkte investiert wird. Wir bei Dottikon ES setzen deutlich stärker auf Forschung und Entwicklung und Investitionen.
Sie halten rund 73 Prozent der Aktien der Dottikon ES, sind also der alleinige Herrscher. Wieso bleiben Sie an der Börse?
Alleine gehört mir Dottikon ES nicht. Da gibt es noch viele andere langjährige Aktionäre. Als mein Vater Bundesrat wurde, machte es strategisch und aufgrund der neuen Eigentümerstruktur Sinn, die Dottikon ES abzuspalten. Um meinen Anteil am Vermögen für die Aufteilung festzulegen, wählten wir den Börsengang. Paradoxerweise einigten wir uns unter den Geschwistern kurz vor dem Börsengang auf einen Wert.
Und heute?
Wenn auch an der Börse wie überall die Regulierung überbordet, zwingt das Öffentlichsein zur Selbstdisziplinierung. Und jetzt, wo wir stark investieren, kann es auch für eine Finanzierung nützlich sein.
Der Wert der EMS-Aktien ist sehr stark gestiegen. Bereuen Sie es, dass Sie keine mehr halten?
Ich hätte ja Aktionär bleiben können. Geld ist wichtig, aber nicht alles. Mir war die komplette Abtrennung wichtiger. Ich halte nichts davon, wenn in einer Sache zu viele Familienmitglieder involviert sind.
Alle früheren Firmen Ihres Vaters laufen heute gut, im Gegensatz zu vielen anderen Industriebetrieben. Befürchten Sie eine De-Industrialisierung der Schweiz?
Ich halte nichts von virtuellen Unternehmen. Innovation entsteht dort, wo produziert wird. Die Globalisierung ist zu Ende und wir befinden uns in einer Regionalisierung. Da wird es wichtig, mehr als nur ein Wertschöpfungssegment zu verstehen.
Wie kommen Sie darauf?
9/11 war der Anfang vom Ende der Globalisierung. In 50 Jahren wird man das vermutlich rückblickend so wahrnehmen. Seither schwingt das Pendel zurück. Es hat sich eine tripolare Weltordnung herausgebildet. Die USA haben ihre Vormachtstellung verloren, neue Schwergewichte wie China und Russland haben sich etabliert. Die hohen Staatsschulden und die Zunahme der wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten führen zur verstärkten rücksichtslosen Wahrnehmung nationaler Interessen. Handelsbarrieren werden hochgezogen und Stellvertreterkriege geführt.
Was heisst das für Europa?
Russland und China haben eine klare Strategie, bei den USA bin ich mir nicht so sicher, aber Europa hat offensichtlich keine. Es wäre besser, wenn die Europäer endlich zur Vernunft kämen. Die Vermischung von ideeller Gutmenschpolitik und pragmatischer Machtpolitik in Europa ist fatal. Der Westen muss näher zusammenstehen und zu einer Atlantik-Allianz zurückkommen. Es braucht eine klare geeinte Strategie des Westens.
Wie soll sich die Schweiz positionieren?
Ein Kleinstaat muss unter dem Radar und neutral bleiben, sonst wird er zwischen den Grossmachtinteressen zerrieben. Der Polittourismus und der Versuch des Aufspielens mit moralischem Mahnfinger auf internationalen Bühnen wie der UNO in der Vergangenheit haben nicht immer Freunde gebracht.
Alle Staaten der Welt machen in der UNO mit.
Aber es fragt sich, wie. Entscheidend ist, wer entscheidet. Das sind die Mächtigen. Nehmen Sie als Beispiel den Sicherheitsrat. Dort geht es um reine Machtpolitik, und da hat ein Kleinstaat nichts zu sagen.
Im Ukraine-Konflikt war die Schweiz Vermittlerin.
Ja, und da hat Aussenminister Didier Burkhalter einen guten Job gemacht, obwohl er als Vorsitzender der OSZE nicht von allen als unparteiisch anerkannt wurde. Man muss mit allen so auskommen, dass man zwischen Konfliktparteien vermitteln kann. Das geht nur, wenn die Schweiz neutral bleibt. Wenn wir diese Strategie verfolgen, hat die Schweiz für die anderen einen Nutzen und damit eine Daseinsberechtigung.
Von den Blochers hört man unterschiedliche Strategien, wie die Masseneinwanderungs-Initiative umgesetzt werden soll. Ihr Vater sagt: mit Kontingenten. Ihre Schwester sagt: es geht auch ohne. Wer hat recht?
Meiner Meinung nach ist die Sache klar: Es gibt den angenommenen Abstimmungstext. Die Rahmenbedingungen sind damit klar abgesteckt. Die konforme Umsetzung ist Sache der Juristen. Schliesslich ging es früher auch mit Kontingenten.
Gerade Sie als Unternehmer profitieren von den Bilateralen.
In der Vergangenheit haben Schweizer Firmen trotz Kontingenten die Mitarbeitenden bekommen, die sie brauchten. Die bilateralen Verträge beinhalten Interessen der Schweiz sowie der EU. Diese Interessen gilt es gegeneinander abzutauschen. Es heisst immer, die EU sei ein Friedensprojekt. Ob es in Europa nicht auch so lange Frieden gegeben hätte ohne EU, weiss niemand. Und was tut die EU heute für die Sicherung des Friedens in Europa? Vor allem aber ist die EU für uns Unternehmer ein Verwaltungsmonster.
Sie reden wie ein Politiker. Wann steigen Sie in die Politik ein?
Ich bin aktiver Stimmbürger. Das genügt. Ich habe als Unternehmer mehr als genug zu tun und kann dort mehr bewirken.
Sind Sie SVP-Mitglied?
Nein, ich bin parteilos.
(aargauerzeitung.ch)