Economiesuisse haftet der Ruf an, der Verband sei ein verlängerter Arm der Grosskonzerne. Sie kommen aus dieser Welt, haben viele Jahre für Novartis und Syngenta gearbeitet. Wird damit das Bild von Economiesuisse zementiert?
Christoph Mäder: Das glaube ich nicht. Es ist ohnehin nur ein Vorurteil, dass Economiesuisse primär die Interessen von Grosskonzerne vertritt. Wir vertreten 20 Handelskammern, rund 100 Branchenverbände und damit 100'000 Unternehmen, die 2 Millionen Menschen beschäftigen. Von diesen 100'000 Unternehmen sind nur ein Bruchteil Grossunternehmen, insofern sind wir numerisch gesehen stark von KMU geprägt.
Dennoch sind Sie ein klassischer Vertreter von Grossunternehmen.
Ich darf für mich in Anspruch nehmen, dass ich in meiner Denkweise nie bloss den Grossunternehmen verhaftet war und bin, obwohl sich mein berufliches Leben zu einem wesentlichen Teil dort abspielte. Das hat einerseits mit meiner Herkunft zu tun und andererseits mit meinem Bekannten- und Freundeskreis, von denen viele bei KMUs arbeiten.
Allerdings mussten Sie gerade aus dem Bereich kleinere Unternehmen kürzlich drei Austritte hinnehmen. Namentlich sind das der Detailhandelsverband, Avenergy, die ehemalige Erdölvereinigung, sowie Auto-Schweiz. Wie sehr schmerzt das?
Selbstverständlich schmerzt ein Austritt immer. Mindestens zwei dieser Austritte wurden durch Stellungnahmen unsererseits veranlasst, mit denen die angesprochenen Verbände nicht zufrieden waren. So störten sich Auto Schweiz und Avenergy an unserer Forderung, Brennstoff und Treibstoff gleich zu behandeln. Dieser Entscheid ist jedoch innerhalb des Verbands demokratisch zustande gekommen. Gleichzeitig muss ich auch betonen, dass solche Fluktuationen normal sind. Wir sind auch jederzeit bereit, den Dialog mit diesen Verbänden zu suchen. Das Geschirr ist keinesfalls zerschlagen.
Dieses Wochenende wurde die Begrenzungsinitiative mit einer deutlichen Mehrheit abgelehnt. Nun rückt nun das Rahmenabkommen wieder in den Fokus. Was erwarten Sie sich von diesen Nachverhandlungen?
Die Haltung der Economiesuisse ist nach diesem Volksentscheid unverändert: Wir sind absolut an der Weiterverfolgung des Bilateralen Weges interessiert. Allerdings muss der Bundesrat Klärungen herbeiführen. allen voran zu den flankierenden Massnahmen, zu den staatlichen Beihilfen und zur Unionsbürgerrichtlinie. Ohne eine zufriedenstellende Klärung ist ein Rahmenabkommen innenpolitisch kaum tragbar. Der Bundesrat ist am Zug, wobei die grosse Unbekannte der Verhandlungspartner, die EU, ist.
Handkehrum äussern jetzt auch verschiedene Sozialpartner grosse Vorbehalte. Diese Woche nun auch CVP-Präsident Gerhard Pfister, der auf den Schlichtungsmechanismus zurückkommen will. Ist das Rahmenabkommen tot?
Wenn die Klärungen zu den offenen Punkten zufriedenstellend ausfallen, ist das Rahmenabkommen eine Chance für die Schweiz.
Wie lange lässt sich aus Ihrer Sicht das Rahmenabkommen noch auf die lange Bank schieben?
Wir brauchen eine zügige Klärung der noch offenen Punkte und der Bundesrat ist auch hier in der Pflicht, seine Führungsaufgabe wahrzunehmen.
Die nächste grosse Schlacht ist die Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative. Die Befürworter sind sehr aktiv und präsent. Müssen Sie ihr vorgesehenes Wahlkampfbudget sogar noch erhöhen?
Fragen zum Budget von Abstimmungen kommentieren wir im Allgemeinen nicht. Wir werden aber selbstverständlich unsere Bemühungen nun der Unternehmensverantwortungsinitiative zuwenden, denn sie trifft die Gesamtwirtschaft.
Sie sprechen von «Unternehmensverantwortungsinitiative» und nicht von «Konzernverantwortungsinitiative». Ist das Absicht?
Im Text steht das Wort «Konzern» nicht. Konzern ist auch kein scharf definierter Begriff im Schweizer Recht. Und darin liegt auch das Problem der Initiative: Sie unterscheidet nicht zwischen grossen und kleinen Unternehmen. «Konzern» ist insofern von den Befürwortern eine bewusst genutzte Terminologie, die das Bild von «bösen» multinationalen Firmen verstärken soll.
Begrifflichkeiten waren auch bei der Begrenzungsinitiative ein Thema. Ist das gewählte Framing der Initianten mit ein Grund, weshalb Sie diese Initiative als zu extrem einschätzen?
Auf jeden Fall, der Titel der Initiative ist eine Mogelpackung.
Aber ist sie das wirklich?
99.9% der Schweizer Unternehmen verhalten sich fair, legal und sauber. Die Initiative stellt nun aber alle Unternehmen unter Generalverdacht und will eine Umkehr der Beweislast herbeiführen: Unternehmen müssten fortan ihre Unschuld beweisen. Das stellt das Prinzip der Haftung in nie dagewesener Weise auf den Kopf und ist auch im internationalen Vergleich einmalig. Dagegen wehren wir uns vehement.
Die Befürworter würden die Zahl von 99.9% als deutlich zu hochgegriffen bezeichnen.
Die Befürworter bringen immer wieder bloss eine Handvoll der selben Namen ins Spiel. Damit wollen sie gleich die ganze Wirtschaft unter Generalverdacht stellen. Dabei müssten sie dieses angebliche Fehlverhalten erst noch beweisen. Gemäss den Befürwortern verletzen Schweizer Konzerne immer wieder Menschenrechte und Umweltstandards. Ich würde gerne die Daten sehen, welche diese Behauptung rechtfertigen. Zu den hunderttausenden Unternehmen, die sich fehlerlos verhalten, sagen sie nichts. Aber wir stimmen nicht über einzelne Firmen ab, sondern über eine Initiative, die alle betrifft.
Gleichzeitig gibt es relativ gut dokumentierte Fälle über das Fehlverhalten von Unternehmen. Diese sind auch Mitglied bei Ihnen im Verband.
Es gibt immer wieder Fehlverhalten, egal in welchem Rechtsbereich. Und die gehören sanktioniert. Das Fehlverhalten von einzelnen Firmen darf aber nicht zum allgemeinen Massstab erhoben werden. Deswegen unverhältnismässige Haftungs- und Beweisregeln einzuführen, ist nicht zielführend.
Die Initianten erklären, sie wollen Fehlverhalten hier in der Schweiz sanktionieren, weil Unternehmen in jenen Ländern nicht zu Rechenschaft gezogen werden können.
Dieses Argument ist äussert fragwürdig. Ich war jahrelang für mehrere Unternehmen in der Welt unterwegs. Es stimmt einfach nicht, dass es in den betroffenen Ländern zu keinerlei Sanktionen kommt. Das hat auch mit einer gewissen Überheblichkeit zu tun, wenn wir als Schweizer für uns in Anspruch nehmen, dass keine andere Rechtsordnung auf der Welt für Korrekturen sorgen kann. Die Unternehmen sind stets den lokalen Gesetzen und anerkannten Standards unterworfen. Es gibt dabei gewisse Unterschiede, aber es ist einfach falsch zu behaupten, dass das Sanktionssystem aller anderen Ländern per se defizitär sind.
Sie unterstützen den indirekten Gegenvorschlag. Wie beurteilen Sie dessen Erfolgschancen?
Der Gegenvorschlag hat zwei Vorteile: er ist international kompatibel und könnte sofort in Kraft treten. Die UVI müsste in ausführlichen langwierigen Diskussionen umgesetzt werden, der Initiativtext lässt verschiedenste wichtige Fragen der Umsetzung offen. Der Gegenvorschlag ist griffig und macht die Schweiz auf einen Schlag zur Vorreiterin in Sachen Unternehmensverantwortung. Unternehmen legen Wert auf ethisches Verhalten. Und zwar nicht nur aus Reputationsgründen, sondern auch wegen ihren Aktionären, ihren Kunden, ihren Lieferanten und ihren Mitarbeitern, die dies einfordern.
Vergangene Woche demonstrierte die Klimajugend vor dem Bundeshaus, um für mehr Klimaschutz zu kämpfen. Neben der Politik steht auch die Wirtschaft in der Kritik.
Die Unternehmen sind mit grosser Anstrengung daran, nachhaltiger zu werden. Gerade im Bereich der CO2-Reduktion gab es signifikante Fortschritte, die die Wirtschaft freiwillig umsetzte, sei es aus ökonomischen oder aus ökologischen Gründen. Wir möchten diese Anstrengungen weiterhin in einem möglichst marktwirtschaftlichen und freiheitlichen Rahmen weiterführen. Insofern haben wir keinen Zielkonflikt mit der Klimajugend: Die grösste Differenz zwischen der Wirtschaft und den Demonstranten auf dem Bundesplatz ist die Frage, wie wir das tun.
Das heisst?
Wir glauben an einer Mischung aus marktwirtschaftlichen Instrumenten und entsprechenden Regulierungen. Natürlich bevorzugen wir freiwillige Massnahmen. Gleichzeitig sind wir auch nicht naiv und wissen, dass ein gewisses Mass an Regulierungen unabdingbar ist. Die Kunst ist, die richtige Balance zu finden. Das CO2-Gesetz, das vergangene Woche zu Ende beraten worden, illustriert exemplarisch, was ich meine: Darin gibt es Massnahmen, die wir gut, manche, die wir weniger gut finden. Es ist ein Denkfehler, aus dem Widerstand einzelner Wirtschaftsakteure zu einigen Massnahmen aus dem CO2-Gesetz eine grundsätzliche Ablehnung der allgemeinen Klimaziele oder der Ziele der Energiestrategie abzuleiten.
Das allgemeine Ziel des Bundesrates ist: 2050 Netto Null. Das unterschreiben sie also?
Da will ich den Gremien, die im Verband solche Beurteilungen verbindlich beschliessen, nicht vorgreifen. Aber grundsätzlich besteht Zustimmung für diese Stossrichtung.
Und was antworten Sie der Klimajugend, die im Wesentlichen sagt: zu wenig, zu spät?
Ich kann dazu sagen: Wir müssen pragmatisch und vernünftig vorgehen. Gewisse Forderungen der Klimajugend sind aus Sicht des geforderten Zeitrahmens und des Ausmasses einfach nicht realistisch und umsetzbar. Wir können nicht Hand bieten zu idealistischen, aber undurchführbaren Massnahmen.
Ist denn die Klimajugend unvernünftig?
Ich will ihr nicht diesen Vorwurf machen. Doch wenn die Klimajugend Massnahmen fordert, die das wirtschaftliche Fortkommen und den Wohlstand des Landes derart einschränken, dass wir alle darunter leiden, ist das nicht vernünftig. Im Übrigen hätten wir bei Massnahmen, die einen massiven Einbruch der Wirtschaft herbeiführen werden, dann auch ganz andere Probleme, etwa im Sozialbereich.
Der politische Schlagabtausch wird in der Schweiz immer heftiger geführt. Wirtschaftsvertreter hoffen, dass Sie sich pointierter als Ihr Vorgänger Heinz Karrer äussern werden.
Ich werde mich so äussern, wie es meiner Überzeugung und meinem Naturell entspricht. Mein Credo lautet: Fest überzeugt in der Sache, anständig und vorsichtig im Ton. Sie dürfen erwarten, dass ich sachlich bleibe und dann pointiert bin, wenn es nötig ist.
Das Coronavirus beschäftigt die Welt noch immer stark. Wie bange schauen Sie dem Winter und einer allfällig zweiten Welle entgegen?
Die Gefahren zu ignorieren, käme einer Verniedlichung des Problems gleich. Dennoch bin ich optimistisch, dass wir eine zweite Welle verhindern können, wenn die Menschen die grundlegenden Massnahmen wie Hygiene und Distanz einhalten. Gleichzeitig müssen die Unternehmen unter Wahrung der Schutzkonzepte weiterarbeiten können. Denn ein zweiter Lockdown wäre absolut fatal. Wir können ihn uns schlicht nicht leisten.
Sie sind Verwaltungsrat von Lonza. Die Firma stellt den Wirkstoff für den Impfstoff der Firma Moderna her. Wann wird er verfügbar sein?
Wir hatten vor wenigen Tagen h eine Diskussion darüber, wann wir mit einem Impfstoff rechnen können. Es besteht eine sehr gute Chance, dass wir bis Ende Jahr einen Impfstoff zur Verfügung haben. Die Hoffnung besteht vor allem auch deshalb, weil es schon genügend Kandidaten in der letzten Phase der klinischen Entwicklung gibt. Aber damit ist es nicht getan: Die Vermehrung des Impfstoffes ist alles andere als trivial und die Verteilung des Impfstoffes wird ebenfalls eine grosse Herausforderung. Wir reden letztlich von Milliarden von erforderlichen Dosen.
Es gibt Stimmen, die von einem Beginn der Massenimpfung frühstens Ende des zweiten Quartals sprechen. Was denken Sie?
Das klingt für mich eher etwas optimistisch. Den Schätzungen unserer Experten bezüglich der Verfügbarkeit des Impfstoffes Ende Jahr vertraue ich. Über die breitere Verfügbarkeit dagegen kann ich nur spekulieren. Es sind auch Verteilkämpfe im Gang unter Staaten, die fantasievolle Konstrukte gewählt haben, um ihrer Bevölkerungen viele Dosen vorweg zu sichern. (bzbasel.ch)
Die Aussage "Und darin liegt auch das Problem der Initiative: Sie unterscheidet nicht zwischen grossen und kleinen Unternehmen." Ist nachweislich falsch, was ein kurzer Blick in den Initiativtext zeigt (§2b).
Journalismus sollte Aussagen einordnen, nicht einfach wiedergeben.
Ich habe es bereits zu einem anderen Artikel kommentiert: Das ist haarsträubend falsch, das Verschulden bzw. die Sorgfaltspflichtverletzung wird heute schon im Vertragsrecht bzw. bei der Geschäftsherrenhaftung vermutet. Es geht nicht um einen Generalverdacht, sondern einer Beweisregel, die der Tatsache geschuldet ist, dass für die Verletzten innere Tatsachen bei der Gegenseite schwer beweisbar sind. Und die hunderttausenden Unternehmen, die sich richtig verhalten, werden ja gerade NICHT betroffen.