
Sag das doch deinen Freunden!
Wer das Verhältnis
zwischen Schweizern und Ausländern beschreiben will, landet
unweigerlich bei Max Frisch. Sein Satz «Wir riefen Arbeitskräfte,
und es kamen Menschen» ist vielleicht zu oft zitiert worden.
Zeitlos gültig bleibt er trotzdem, besonders wenn man liest, was der Grossschriftsteller 1965 im Vorwort zum Buch «Siamo
Italiani» genau geschrieben hat: «Ein kleines Herrenvolk sieht
sich in Gefahr: Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen
Menschen.»
Das Buch erschien
auf dem Höhepunkt des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms, der eine
grosse Einwanderungswelle zur Folge hatte, vorab aus Italien. Längst
nicht alle Angehörigen des «kleinen Herrenvolks» hiessen die oft
lauten und temperamentvollen «Gastarbeiter» willkommen. «Überfremdung» wurde zum politischen Kampfbegriff. Ein Zürcher
Grossbürger namens James Schwarzenbach lancierte die nach ihm
benannte Volksinitiative, die eine Begrenzung des Ausländeranteils
auf zehn Prozent verlangte und 1970 einen Ja-Anteil von 46 Prozent
erreichte.
In den folgenden Jahren wurden weitere «Überfremdungs-Initiativen» eingereicht, die
ausnahmslos abgelehnt wurden. Wenige Tage vor einer dieser
Abstimmungen erzählte mir ein Schulfreund, wie sein
Vater – Inhaber einer Spenglerei – einem italienischen
Angestellten auftrug, was er am folgenden Montag zu erledigen habe.
Dieser habe geantwortet: «Vielleicht muss ich dann schon ‹s' Köferli›
packen.» Wir lachten, aber für den Italiener war es der bittere
Ernst.
Er musste nicht
packen. Seither sind rund 40 Jahre vergangen. Der Anteil der
ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz beträgt fast 25
Prozent. Mehr als ein Drittel aller Einwohnerinnen und Einwohner hat
einen Migrationshintergrund: Sie sind Ausländer, Eingebürgerte oder
gebürtige Schweizerinnen und Schweizer, deren Eltern beide im
Ausland geboren wurden. In kaum einem europäischen Land leben so
viele Menschen mit «fremden» Wurzeln.
Von «Überfremdung» redet trotzdem kaum noch jemand, zumindest in der Öffentlichkeit.
Menschen mit Migrationshintergrund sind auf den ersten Blick
akzeptiert, man anerkennt, dass sie in Frischs Terminologie «für
den Wohlstand unerlässlich» sind. Dank unseres Bildungssystems gelingt ihnen der Einstieg in die Arbeitswelt. In der
Schweiz brennen keine Asylunterkünfte, es gibt wenige
Übergriffe mit fremdenfeindlichem Motiv. Bei uns findet man auch
keine «Ausländer-Ghettos» wie in Frankreich oder Belgien.
Politiker vor allem
bürgerlicher Couleur brüsten sich gerne damit, wie
ausländerfreundlich die Schweiz doch sei, nicht zuletzt bei
Auftritten im Ausland. Aber ist trifft das auch zu?
Man muss nicht die zahllosen Gehässigkeiten gegenüber Ausländern in den sozialen Medien zitieren, um das schöne Image einer xenophilen Schweiz zu hinterfragen. Der Begriff «Gastarbeiter» mag aus der Mode gekommen sein, doch nach wie vor ist die Ansicht verbreitet, wonach Ausländer «Gäste» in der Schweiz sind, auch wenn sie seit Jahrzehnten hier leben.
Man toleriert sie,
so lange sie Geld bringen oder arbeiten, aber eigentlich
erwartet man, dass sie irgendwann gehen. Und wenn sie sich nicht zu
benehmen wissen, wirft man sie hinaus.
Mit dieser
Einstellung tun sich viele Menschen mit Migrationshintergrund schwer.
Der Publizist Lukas Tonetto hat dazu für die Silvesterausgabe der «Aargauer Zeitung» einen glänzenden Essay verfasst. Er ist ein «halber» Ausländer (Vater Italiener, Mutter Schweizerin), wurde
in Aarau geboren und als Kind eingebürgert. Dennoch bleibt er für
viele ein «Papierlischwiizer» – einer, der «in den Augen
gewisser Kreise» seit seiner Einbürgerung 1977 das Bild der
Schweiz verfälscht.
Wen er mit «gewisse
Kreise» meint, schildert Tonetto anhand einer Anekdote: In Aarau
beobachtete er eine Frau, die aus einem Auto mit Schweizer
Kennzeichen stieg: «Auf der getönten Heckscheibe stand in Fraktur:
Eidgenossin.» In den «gewissen Kreisen» ist dies zu einem Code
geworden, mit dem man sich von denen mit Migrationshintergrund
abgrenzt: «Ich bin Eidgenosse, denn Schweizer kann jeder werden.» Papierlischwiizer eben, höchstens geduldet, kaum akzeptiert.
In seinem Text setzt
sich Lukas Tonetto mit dieser Gefühlslage auseinander, nicht ohne
Spott an die Adresse jener «Eidgenossen», die so stolz seien auf
ihre Mundart und sie dennoch schlechter sprächen als er: «Bei
diesen Schweizern steht dann etwa än Schrank unter dä Träppe, wo
doch bei mir e Chaschte unter der Schtäge steht.» Eine treffliche
Beobachtung: Gerade «senkrechte» Schweizer sprechen nicht selten
eine verhochdeutschte Form des Dialekts.
Dennoch definiert
sich das rechte Spektrum der Gesellschaft mit Vorliebe durch seine
Abgrenzung gegenüber den Ausländern. Auf der linken Seite hingegen
frönt man häufig einer unreflektierten Multikulti-Romantik und
neigt dazu, die unschönen Seiten der Zuwanderung herunterzuspielen.
Dazwischen findet man jene Schweizerinnen und Schweizer, die
Zugewanderte so akzeptieren, wie sie sind. Und jenen nicht geringen
Teil der «Urbevölkerung», dessen Haltung ambivalent ist: Man weiss, dass
die Migranten gebraucht werden, und tut sich trotzdem schwer mit
ihnen.
Lange sah es so aus,
als ob das Pendel in Richtung Akzeptanz schwingen würde. Der Ja-Anteil bei den Überfremdungs-Abstimmungen nahm laufend ab,
von 46 Prozent für Schwarzenbach 1970 bis knapp 37 Prozent für
Philipp Müllers 18%-Initiative im Jahr 2000. Damals erfolgte
die Zuwanderung vor allem in den unteren und oberen
Schichten der Gesellschaft. Die Ausländer erledigten jene Arbeiten, die
die Schweizer nicht machen wollten oder konnten.
Für den Mittelstand
war es eine Win-Win-Situation. Die Ausländer mehrten den Wohlstand,
während er durch den Inländervorrang geschützt war. Die
Personenfreizügigkeit mit der EU brachte diesen Wall zum Einsturz.
Die mittelständische Schweiz sah sich mit Konkurrenz
konfrontiert, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, im öffentlichen
Verkehr. Das Unbehagen nahm zu. Man muss von einem historischen
Versagen der Eliten in Politik und Wirtschaft sprechen, dass sie
diese Entwicklung ignoriert oder kleingeredet haben.
Die Quittung
erhielten sie mit dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative. Schon zuvor hatte die Duldsamkeit gegenüber jenen «Fremden» abgenommen, die unangenehm auffielen. Die
Minarett-Initiative wurde genauso angenommen wie die
Ausschaffungs-Initiative. Muslime dürfen Gebetshäuser haben, aber
man soll sie möglichst nicht sehen. Wenn muslimische Mädchen in der
Schule ein Kopftuch tragen, rufen «gewisse Kreise» den nationalen
Notstand aus. «Kriminelles» Verhalten wird ohnehin nicht
toleriert: Ausländer raus, und zwar subito!
Diese Mentalität
erklärt, warum die Durchsetzungs-Initiative in den Umfragen
auf derart viel Zuspruch stösst, so radikal und rechtsstaatlich
fragwürdig sie sein mag. Die zunehmend unsichere und verworrene
Welt verstärkt die Abwehrreflexe gegenüber den «Fremden». Wir
verlangen von ihnen Integration, meinen aber Assimilation
– sie sollen sich möglichst unsichtbar machen. Ausser sie bringen
viel Geld mit, dann dürfen sie sich (fast) alles erlauben.
Man kann einwenden,
dass die Einstellung gegenüber Ausländern anderswo nicht besser
ist. Die Schweiz fällt nur deshalb auf, weil das Volk über solche
Fragen abstimmen darf. Nur ändert das nichts daran, dass die
Einbürgerung bei uns so hürdenreich abläuft wie in keinem anderen
europäischen Land. Man muss jahrelang im gleichen Kanton leben und sich in dieser Zeit
mustergültig verhalten, einen Test machen, bei dem mancher «Original-Schweizer» durchfallen würde, eine oft happige Gebühr
entrichten und riskiert am Ende dennoch eine Abfuhr durch die
Gemeindeversammlung.
Wer den Pass hat,
ist deswegen noch lange nicht akzeptiert. Davon kann nicht nur Lukas
Tonetto ein Liedlein singen. In der Politik ist der grosse Anteil von
Menschen mit Migrationshintergrund massiv untervertreten. Ein Grund
dafür mag sein, dass viele Secondos den Aufstieg hierzulande mehr
durch berufliche als politische Tätigkeit definieren. Oft aber
werden fremdländisch klingende Namen einfach von den Wahlllisten
gestrichen. Eine Erfahrung, die nicht zuletzt jene Secondos machen
mussten, die in superpatriotischer Überangepasstheit der SVP
beigetreten waren.
Wie es ginge, zeigt
ausgerechnet jenes Frankreich, das wegen seiner Integrationsprobleme
in den Banlieues oft und zu Recht am Pranger steht. Drei der
führenden Politiker des Landes haben keinerlei französische
Wurzeln: Der frühere Präsident und heutige Oppositionsführer
Nicolas Sarkozy hat einen ungarischen Vater und eine
griechisch-jüdische Mutter. Premierminister Manuel Valls ist
Katalane, die Pariser Stadtpräsidentin Anne Hidalgo stammt aus
Andalusien.
Die beiden letzteren
sind nicht einmal in Frankreich geboren, sie kamen mit ihren Eltern
ins Land und wurden eingebürgert. Trotzdem gelten sie als künftige Anwärter auf eine Präsidentschaftskandidatur bei den
Sozialisten. Der vergleichsweise populäre Valls könnte schon
nächstes Jahr den glücklosen François Hollande ersetzen. Bei uns
dagegen wird noch viel Wasser die Aare hinunterfliessen, ehe ein
Secondo oder eine Seconda in den Bundesrat gewählt wird.
Warum tun wir uns so
schwer mit Menschen aus anderen Kulturkreisen? Vielleicht liegt es
daran, dass wir als mehrsprachiges Land selber über keine eindeutige
kulturelle Identität verfügen. Umso mehr definieren wir uns über
die Herkunft. Wer nicht über mindestens einen Elternteil tief im
hiesigen Boden verwurzelt ist, für den gilt: Einmal ein Ausländer,
immer ein Ausländer.
Und die Realität? Sie arbeiten, zahlen Steuern und Abgaben, dürfen aber
ausser in wenigen Kantonen nicht mitbestimmen, wofür ihr Geld
verwendet wird. Wir fordern mit Recht, dass sie unsere
Regeln einhalten, sollten ihnen gegenüber aber nicht päpstlicher
sein als der Papst. Und sie nicht wegen jeder Lappalie vor die Tür
stellen.
Wir sollten Ausländer nicht als «Gäste» betrachten, wie dies «gewisse Kreise» gerne tun, sondern als Mitbewohner.
Wobei er einen klaren Unterschied zwischen beruflich fähigen Zuwanderern und einer generell unerwünschten aus dem kulturfernen Asylsektor, mit Tendenzen zur reinen Inanspruchnahme der soziale Hängematte, erwähnen sollte.
Es gilt also eine effiziente Differenzierung, wie fast in allen Lebensbereichen notwendig, vorzunehmen!
Im Übrigen - wie sagte doch der Schweizer Arzt Paracelsus vor langer Zeit recht trefflich :
„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei."