
Sag das doch deinen Freunden!
«Die Durchsetzungs-Initiative führt in der Praxis zu einer konsequenten und zwingenden Ausschaffung krimineller Ausländer», schreibt die SVP auf ihrer Website zur Abstimmung am 28. Februar. Schon heute lässt sich festhalten: Einhalten wird sie dieses Versprechen nicht. Auch wenn die Vorlage angenommen wird, können längst nicht alle kriminellen Ausländer ausgeschafft werden. Und zwar aus folgenden vier Gründen:
Die erste Einschränkung steht im Initiativtext selbst und betrifft das Gebot der Nichtzurückweisung (Non-refoulement):
Besagter Artikel 25 der Bundesverfassung betrifft den Schutz vor Ausweisung, Auslieferung und Ausschaffung. Dort heisst es unter Absatz 2:
Und unter Absatz 3:
Kann ein krimineller Ausländer also geltend machen, dass ihm in seiner Heimat Verfolgung, Folter oder ähnliches droht, dann wird «die Landesverweisung vorübergehend aufgeschoben». Wie lange dauert «vorübergehend»? Es sei jedem selbst überlassen zu spekulieren, wann ein Iraker christlichen Glaubens wieder sicher in seiner Heimat leben kann. Oder wann der syrische Bürgerkrieg beigelegt wird. Klar ist: In der Praxis kann «vorübergehend» locker Jahre dauern.
Welche Länder sind vom Non-refoulement betroffen? Ein verbindliches Schurkenstaaten-Register gibt es nicht, hingegen führt der Bundesrat die sogenannte Safe-Countries-Liste. Darin legt er fest, in welchen Ländern «nach seinen Feststellungen Sicherheit vor Verfolgung besteht».
Allerdings ist die Liste nicht abschliessend. Sichere Länder wie Australien, Japan und Kanada sind nicht aufgeführt, weil die Schweiz von dort kaum oder gar keine Asylgesuche erhält. Die Liste wird zudem periodisch überprüft und wenn nötig aktualisiert. So wurde im Juni 2014 die Ukraine gestrichen.
Auch die Durchsetzungs-Initiative nimmt Bezug auf diese Liste:
Mit anderen Worten: Stammen straffällige Ausländer aus diesen «sicheren» Staaten, wird vermutet, dass sie keine drohende Verfolgung in ihrer Heimat geltend machen können, um ihre Abschiebung zu verhindern. Allerdings räumen die Initianten durch die Formulierung «von der Vermutung auszugehen» ein, dass die betroffene Person die Möglichkeit hat, diese Vermutung umzustossen und glaubhaft zu machen, dass sie doch verfolgt wird. Tatsächlich geht aus der Asylstatistik hervor, dass hin und wieder auch Personen aus sicheren Ländern Asyl gewährt wird.
Viele straffällige Ausländer stammen aus Staaten, wo ihnen weder Verfolgung noch Gewalt, sondern wenn überhaupt Arbeits- und Perspektivenlosigkeit drohen. Doch auch von ihnen werden nicht alle abgeschoben werden können. Wenn sich die betreffende Person trotz rechtsgültigem Wegweisungsbescheid weigert, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren, wird es mit der Ausschaffung schwierig – und in manchen Fällen unmöglich.
Wie schafft man einen Ausländer, der das nicht will, physisch aus der Schweiz in sein Herkunftsland zurück? Begleitete Rückführungen auf Linienflügen scheitern immer wieder, weil sich die Betroffenen renitent verhalten und der Kapitän deshalb den Zutritt verweigert. In letzter Konsequenz muss ein Sonderflug her, in der Amtssprache «Vollzugsstufe 4» genannt. Wenn nötig an einen Rollstuhl gefesselt, bewacht von bewaffneten Polizeibeamten. Das ist menschlich schwierig, finanziell sehr teuer – und nur mit der Kooperation des entsprechenden Herkunftslands möglich. Und die ist keineswegs immer vorhanden.
Die Schweiz hat mit 44 Staaten Abkommen über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt abgeschlossen. In einzelnen sind die Sonderflüge («Charterflüge») explizit als Möglichkeit erwähnt. Wie das SEM auf Anfrage erklärt, sind Sonderflüge aber auch ohne solche Rückübernahmeabkommen möglich. Aus verschiendenen Medienberichten geht hervor, dass in die folgenden Länder Sonderflüge möglich sind beziehungsweise stattgefunden haben:
Eine detaillierte Liste will das SEM «aus taktischen Gründen» nicht veröffentlichen. Bekannt ist, dass zum Beispiel Algerien, Marokko und Äthiopien keine Sonderflüge gestatten. Kuba akzeptiert angeblich nur «genehme» Staatsbürger.
Zudem ist es vorgekommen, dass Staaten trotz vorheriger Zusage im letzten Moment die Landeerlaubnis verweigerten und der Sonderflug unverrichteter Dinge wieder in die Schweiz zurückkehren musste. Sowohl von Seiten der Schweiz als auch mehrerer Herkunftsländer ist es in der Vergangenheit auch zu Moratorien gekommen, während derer keine Sonderflüge stattfanden.
Müssen kriminelle Ausländer die Schweiz verlassen, brauchen sie grundsätzlich Reisepapiere. Wenn sie diese nicht haben oder nicht beschaffen können, ist eine Ausschaffung folglich nicht möglich – sogar wenn sie freiwillig gehen würden. Wird eine Person offiziell als staatenlos anerkannt, heisst das automatisch auch, dass sie nicht ausgeschafft werden kann.
Die «konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer», wie sie die SVP verspricht, dürfte sich also in der Realität schwierig gestalten. Sie kann durch die Durchsetzungs-Initiavtive erreichen, dass mehr in der Schweiz lebende Ausländer einen Wegweisungsbescheid erhalten. Die Probleme beim Vollzug können sie allerdings nicht lösen. Das weiss die SVP sehr gut, prangert sie genau diesen Umstand doch regelmässig an.
Eine Lösung hat die Partei schon gefunden: Staaten, die sich weigern, ihre straffälligen Bürger per Sonderflug zurückzunehmen, sollen weniger Entiwcklungshilfe bekommen. Ein gleichlautender Vorstoss der SVP scheiterte 2011 im Nationalrat klar und eine 2014 angekündigte Volksinitiative versandete. Doch die Grosswetterlage im Asyl- und Ausländerbereich hat sich seither ebenso verändert wie die Kräfteverhältnisse im Parlament. Gut möglich, dass schon bald über eine Initiative zur Durchsetzung der Durchsetzungs-Initiative abgestimmt werden muss.