Schweiz
Justiz

Sexueller Übergriff: Zürcher Schule hat Lehrer voreilig entlassen

Sexueller Übergriff: Zürcher Schule hat Lehrer voreilig entlassen

02.08.2016, 15:3502.08.2016, 16:56
Mehr «Schweiz»

Das Zürcher Verwaltungsgericht stuft die fristlose Entlassung eines Primarlehrers als «rechtswidrig» ein. Es spricht dem Mann eine Entschädigung und eine Abfindung in Höhe von 13 Monatslöhnen zu. Ein blosser Verdacht auf sexuelle Handlungen rechtfertige noch keine Kündigung, heisst es im Urteil.

Schueler im Gang des Blaesi-Schulhauses in Basel am Montag, 18. August 2014. Wie in fast allen Kantonen der Schweiz dauert die Primarschule neu sechs Jahre. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Lehrer mit Schülern (Symbolbild).
Bild: KEYSTONE

Der 57-jährige Primarlehrer wurde im August 2011 in einer zürcherischen Schulgemeinde angestellt. Bereits im September kam es zu einer Aussprache mit der Schulpflege. Der Behörde waren Gerüchte zugetragen worden, wonach der Lehrer an einer anderen Schule ein zehnjähriges Mädchen sexuell bedrängt haben soll.

In den kommenden Monaten leitete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren ein. Im September 2012 löste schliesslich die Schulgemeinde das Anstellungsverhältnis fristlos auf.

Die ehemalige Schülerin werfe dem Lehrer ein Verhalten vor, das unakzeptabel sei, begründete die Schulpflege die Entlassung. Es sei wiederholt zu Berührungen gekommen, «die man klarerweise als sexuelle Übergriffe bezeichnen muss». Dem Lehrer sei es nicht gelungen, die Vorwürfe «zweifelsfrei aus der Welt» zu räumen.

Ein öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis auf den blossen Verdacht einer strafbaren Handlung aufzulösen, sei unzulässig, hält nun das Verwaltungsgericht in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil fest.

Bei der Entlassung lag keine rechtskräftige Verurteilung vor, wie das Gericht im Urteil betont. Und es weist im Weiteren darauf hin, dass der Lehrer im November 2014 vom zuständigen Bezirksgericht in allen Anklagepunkten freigesprochen wurde.

Dem Vorwurf nicht nachgegangen

Später begründete die Schulpflege die Entlassung sinngemäss auch damit, dass die gegen den Lehrer erhobenen Vorwürfe unabhängig von ihrer strafrechtlichen Würdigung ohnehin eine Weiterbeschäftigung verunmöglichen würden.

Hätte der Lehrer die gebotene Distanz zu Schülern nicht eingehalten, hätte dies zum Entzug des Lehrdiploms führen können – und dies hätte auch eine fristlose Entlassung rechtfertigen können, räumt das Gericht im Urteil ein. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass sich die Vorwürfe erhärtet hätten.

Wie das Verwaltungsgericht kritisiert, habe die Schulpflege jedoch «keine entsprechenden Abklärungen» getätigt und auch keinen Versuch unternommen, den Sachverhalt abzuklären. Sie habe sich einzig auf eine frühere «sehr einseitige Befragung» des zehnjährigen Mädchens abgestützt.

Justiz
AbonnierenAbonnieren

Laut Gericht lagen die angeblichen Vorfälle im Kündigungszeitpunkt bereits neun Jahre zurück. Zudem waren sie bereits vorher dem Volksschulamt bekannt, welches dem Primarlehrer nach einer Supervision den Unterricht ohne weitere Auflagen bewilligt hatte. «Unter diesen Umständen vermochten die Vorwürfe keine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.»

(sda)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Eisenhorn
02.08.2016 17:06registriert September 2014
Keiner will pädophile Lehrer, aber es ist schon krass wie ein einzelner Vorwurf die gesamme Berufslaufbahn ruinieren kann. Und wenn einem dann gekündigt wird ohne das es überhaupt ein Urteil gibt ist das schon sehr heftig.

Ich kenne diverse Leher die unglaublich Angst vor sowas haben.
240
Melden
Zum Kommentar
avatar
Kiyoaki
02.08.2016 18:51registriert Februar 2016
Es gibt einen dänischen Spielfilm mit Mads Mikkelsen (Jagten, Dt. Die Jagd), in dem gezeigt wird, wie schnell ein Gerücht oder Missverständnis ein Leben zerstören kann. Sehr empfehlenswert. Pädophile Lehrer sind das Letzte, aber man sollte solche Fälle genaustens untersuchen, da oftmals bereits das Gerücht einen Menschen in seinem Umfeld völlig diskreditiert und zum Outcast macht in solchen Fällen.
200
Melden
Zum Kommentar
3
Wo die 800'000 Auslandschweizer wohnen – und in welchen 5 Ländern KEIN EINZIGER
Die Schweiz ist eine Nation von Auswanderinnen und Auswanderern. Diesen Schluss legt die Auslandschweizerstatistik nahe. Die Schweizer Gemeinde im Ausland wuchs 2023 um 1,7 Prozent. Nahezu zwei Drittel davon leben in Europa.

Am 31. Dezember 2023 waren 813'400 Schweizerinnen und Schweizer bei einer Vertretung im Ausland angemeldet, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) am Donnerstag mitteilte. 2022 war die Auslandschweizer-Bevölkerung noch um 1,5 Prozent gewachsen.

Zur Story