Sie sind der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Haben Sie überhaupt noch einen Überblick, was die Corona-Massnahmen des Bundes gekostet haben? Daniel Lampart: Ja, vom Bund haben wir natürlich einen Überblick. Wir haben da auch mitgewirkt bei einem Teil der Massnahmen. Was das dann kosten wird, werden wir sehen. Aktuell geht man davon aus, dass alles zusammen bislang gegen 70 Milliarden Franken kosten wird. Bei den Darlehen wird ein grosser Teil des Geldes aber wieder zurückkommen.
Was bedeutet das langfristig für die Finanzen des Bundes? Müssen wir alle dafür aufkommen?
Das Schlimmste, was uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern passieren könnte, ist, dass wir in eine längere, tiefe Rezession fallen und die Arbeitslosigkeit massiv steigt. Wir können daher gottenfroh sein, dass Massnahmen dagegen erlassen wurden und wir keine Regierung wie etwa in den USA haben, die mit der Krise überfordert ist. Dort ist die Arbeitslosigkeit auf über 20 Prozent gestiegen. Wir dürfen nicht vergessen: Der Bund, die Kantone und Gemeinden haben in der Vergangenheit weit mehr als 50 Milliarden an Reserven aufgebaut. Nun ist an der Zeit, den Bürgerinnen und Bürgern etwas zurückzugeben.
Sie werden sich wohl gefreut haben, dass auch der Economiesuisse-Präsident nun fordert, man solle den Betrag aus der «normalen Finanzplanung» herausnehmen und die Schulden über 30 Jahren abstottern …
Es ist schon mal gut, dass niemand denkt, man müsse es so machen wie es der damalige Bundesrat Hans-Rudolf Merz vorgeschlagen hatte. Er wollte Schulden aus einer ausserordentlichen Krise in sechs bis acht Jahren abbezahlt haben – das wäre eine Katastrophe. Das würde die aktuelle Rezession massiv verstärken.
Sind 30 Jahre sinnvoll?
Wir finden es nicht zielführend. Bei den aktuellen Milliarden-Beträgen würde das bedeuten, dass der Bund jedes Jahr über zwei Milliarden Franken einsparen müsste. Besser wäre es, wenn der Bund die Schuld stehen lässt. Wegen den Negativzinsen verdient er sogar Geld damit. Es gibt viele Investoren, die froh sind, wenn sie in der aktuellen Situation auf dem Kapitalmarkt dem Bund Geld leihen können.
Besteht nicht die Gefahr, dass der Haushalt längerfristig aus der Bahn geworfen wird – weil jederzeit eine neue Krise, eine neue Pandemie die Schweiz treffen könnte?
Nein. Ich wiederhole: Bund, Kantone und Gemeinden konnten in den letzten 30 Jahren auf Kosten der Bevölkerung grosse Reserven aufbauen. Wir sprechen hier von Beträgen in der Höhe von weit über 50 Milliarden Franken. Man sollte das jetzt wirklich der Bevölkerung zurückgeben und weiteres soziales Leid verhindern.
Der Bundesrat hat in der Krise mehrmals auf Mechanismen gesetzt, die seit jeher von Gewerkschaften gefordert wurden. Wie fühlt es sich an zu sehen, dass «Ihre Politik» von Bern übernommen wird?
Ich hätte mich gefreut, wenn das vor einer solchen Krise passiert wäre (lacht). Nein, von Freude kann man hier nicht wirklich sprechen. Aber wir sind erleichtert, dass der Bundesrat viele Vorschläge von uns übernommen hat, um Arbeitsplätze zu sichern.
Kann ich das als erstes Zwischenfazit von Ihnen zur Arbeit des Bundesrates verstehen?
Ja, da wurde sehr viel gemacht. Aber es gibt nach wie vor viele Probleme. Etwa bei der Kurzarbeit, bei der ja nur 80 Prozent des Lohns ausbezahlt werden. Personen mit tiefen Einkommen leiden besonders fest, wenn plötzlich ein Fünftel des Lohns wegfällt. Wir fordern deshalb, dass solchen Menschen der volle Lohn ersetzt wird.
Blicken wir auf den Herbst. Die Begrenzungsinitiative steht vor der Türe. Die Schweiz erlebte Monate, in denen die Personenfreizügigkeit ausgesetzt wurde. Wird das ein schwieriger Abstimmungskampf?
Ich glaube, dass es sicher eine andere Diskussion geben wird. Wir haben während der Coronakrise sehr viel gelernt. Etwa, dass die Pandemie sich in Ländern wie Deutschland oder Singapur vor allem dort ausgebreitet hat, wo viele Menschen in miserablen Unterkünften und prekären Zuständen leben – so wie es die Schweiz jahrelang mit den Saisonierarbeitern auch kannte. Das haben wir heute weniger, dank den flankierenden Massnahmen. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind sich bewusst, dass die Schweiz hohe Löhne hat und diese geschützt werden müssen. Die offene Wirtschaft, die dem Land viel ermöglicht hat, kann nicht bestehen, wenn wir zurück zu prekären Situationen und unkontrollierten Aufenthalten zurückkehren.
Sie wollen nun mit der «Überbrückungsrente» diese «flankierenden Massnahmen» ausbauen, damit das Volk die Begrenzungsinitiative ablehnt. Stand heute ist aber unklar, ob diese in der Sommersession überhaupt durchkommt.
Wir werden uns so oder so gegen diese Initiative engagieren. Wir sind sehr beunruhigt, wie stark die Arbeitslosigkeit bei den älteren Arbeitnehmenden ansteigt. Was mich aber erschreckt: Ja, wir haben geschlossene Grenzen und ja, wir haben das Mittel der Kurzarbeit. Und trotzdem gibt es Entlassungen bei den über 55-Jährigen. Sie werden nicht entlassen wegen irgendwelchen Ausländern. Sie werden entlassen von schwarzen Schafen unter den Arbeitgebenden, da muss ich Klartext reden. Und denen muss man das Handwerk legen.
Und was, wenn sich das Parlament nicht auf einen Konsens einigt?
Wir gehen davon aus, dass die Überbrückungsrente durchkommt. Es wäre ein solch grosser Affront gegenüber der Bevölkerung und eine Missachtung der Realität der letzten Monate. Einen solchen Affront gegenüber jenen, die ihr Leben lang gearbeitet und Steuern bezahlt haben, wäre verheerend – und das traue ich dem Parlament nicht zu.
Ich schon. Genau so wie das Parlament nach monatelangen Diskusionen eine Erhöhung der Rente um 70.- abgelehnt hatte, obwohl die Oreist jährlich steigen