Die Zahl der touristischen Übernachtungen in europäischen Städten wuchs seit 2008 um 57 Prozent, mehr als doppelt so schnell wie die Übernachtungen in den jeweiligen Ländern insgesamt. Dies hat eine Studie der 52 wichtigsten Touristen-Städte in Europa gezeigt.
Doch das Wachstum und die Ballung auf ihre Zentren bringt immer mehr Metropolen an den Anschlag. Denn entscheidend für die Qualität des Tourismus ist – neben der Wertschöpfung – ein gesundes Verhältnis zwischen der Zahl der Touristen und den Einwohnern. Ein Verhältnis, das an manchen Orten mittlerweile gehörig aus dem Ruder gelaufen ist.
Für die Olympischen Sommerspiele 1992 wurde viel Geld in das noch relativ unbekannte Barcelona gesteckt, um den Besuchern einen guten Eindruck zu vermitteln. Ganze Stadtteile wurden komplett «aus dem Boden gestampft», der Flughafen renoviert und der Hafen «Port Olimpic» gebaut.
Der Plan ist aufgegangen: Die Besucherzahlen von Barcelona sind seither in die Höhe geschnellt.
Heute kämpft Barcelona mit vielen Tagestouristen, die wenig Geld in der Stadt hinterlassen. Zudem setzte den Einwohnern der Metropole Airbnb zunehmend zu. Die hohe Nachfrage und die günstigen Angebote auf Airbnb (und anderen Vermittlern von Privatwohnungen) sorgten für massive Erhöhungen der Mietpreise. Das wiederum drängt die Einheimischen zunehmend aus der Stadt, weil sie sich Wohnungen in der Innenstadt nicht mehr leisten können.
Abgesehen von den finanziellen Problemen rund um Mietpreise beschweren sich die Einwohner Barcelonas auch über Abfall- und Drogenprobleme, öffentliches Urinieren und Lärm.
Vor zwei Jahren hat die Regierung Konsequenzen gezogen: Per Gesetz wurden die Anzahl Betten in Hotels und gemeldeter Apartments limitiert, der Bau von neuen Hotels im Stadtzentrum von Barcelona wurde komplett verboten – selbst abgerissene Hotels dürfen nicht mehr ersetzt werden.
Über die neue Regelung sind aber nicht alle glücklich. Für nicht gemeldete Unterkünfte – wie sie oft bei Airbnb zu finden sind – ändert sich nämlich nichts. Im Gegenteil: Der einheimische Hotelier Manel Casals kritisiert die Regelung scharf und ist überzeugt, dass nicht gemeldete Unterkünfte dadurch zusätzlichen Aufwind bekämen: «Von den 32 Millionen Menschen, die Barcelona im letzten Jahr besucht haben, wohnten nur 8 Millionen in Hotels. [...] Die Regierung reguliert damit also nicht den Tourismus, sie reguliert nur die Orte, an denen die Touristen schlafen werden.»
In Barcelona hat der übermässige Tourismus eine nicht allzu schmeichelhafte Bezeichnung erhalten: parquetematización – «die Verwandlung in einen Themenpark».
Das berühmteste Beispiel für Overtourism in Europa ist wohl Venedig. Rund 30 Millionen Besucher kommen jährlich in die italienische Wasserstadt, täglich hat es also fast doppelt so viele Touristen wie die 50'000 Einwohner des historischen Zentrums.
Einen beachtlichen Anteil dabei machen die Gäste von Kreuzfahrtschiffen aus: An manchen Tagen kommen über 40'000 Passagiere nach Venedig. Während den paar Stunden, an denen sie hier sind, trinken sie etwas, laufen herum, und verlassen die Stadt wieder – ohne viel Geld in der lokalen Wirtschaft hinterlassen zu haben.
Seit Jahren versuchen besorgte Einwohner Venedigs, die Anzahl Kreuzfahrtschiffe zu limitieren. Durch die Kollision anfangs Juli sind die Forderungen nach einem Verbot in letzter Zeit wieder lauter geworden.
Die italienische Regierung hat jedoch eine andere Lösung im Visier: Tagestouristen sollen Eintritt bezahlen, um sich Venedig ansehen zu dürfen. Zu bezahlen wäre die Ortstaxe möglicherweise direkt über die Verkehrsmittel wie Busse oder Kreuzfahrtschiffe, die die Reisenden nach Venedig bringen. Venedigs Regierung will «ausgewogene Regeln prüfen und damit diejenigen schützen, die in unserer Gegend wohnen, studieren oder arbeiten». Bis die Regel in Kraft tritt, wird aber wohl noch einige Zeit vergehen.
Die Besucherzahlen der berühmtesten Attraktion Perus schossen im letzten Jahr nach oben. Über 1,5 Millionen Personen wollten sich die Ruinenstadt aus dem 15. Jahrhundert anschauen.
Den Behörden wurde es zu viel: Seit Anfang dieses Jahres ist ein neues Ticketsystem in Betrieb. Der Eintritt kostet zwar nach wie vor rund 46 Franken, doch der Zutritt ist auf vier Stunden limitiert. Die Verantwortlichen vor Ort sind zufrieden: «Das neue Ticketsystem am Machu Picchu hat die täglichen Besucherzahlen nicht reduziert, aber war sehr effektiv im Verteilen der Besucherströme.»
Noch vor 10 Jahren war Island eine kaum bekannte Tourismusdestination. Der berühmte Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull im Jahre 2010, die Fotoplattform Instagram und die Erfolge der Fussball-Nationalmannschaft lenkten in den letzten Jahren jedoch viel Aufmerksamkeit auf die kleine Insel.
Heute kommen auf einen Isländer bereits sechs Touristen. Als Folge gingen die Mietpreise in der Hauptstadt Reykjavik durch die Decke, Hotels schossen wie Pilze aus dem Boden. Neben den traditionellen Künstlerateliers und Cafés mit isländischen Musikern stehen nun ein H&M und ein Hard Rock Café.
Aber nicht ganz Island ist vom Phänomen «Overtourism» betroffen. Reykjavik und die umliegenden Sehenswürdigkeiten sind zwar in den Sommermonaten überfüllt – doch die Lösung liegt auf der Hand: Touristen sollen ausserhalb der Hauptsaison kommen – und dabei nicht nur Reykjavik, sondern die ganze Insel erkunden, erklärt Sigríður Dögg Guðmundsdóttir, Marketingchef von «Promote Iceland». Man sehe grosses Potential von Island als Winterdestination, und die Leute scheinen das allmählich wahrzunehmen.
Der rot-weisse Schriftzug «I amsterdam» hat mitgeholfen, die niederländische Hauptstadt in ein Touristenmagnet zu verwandeln. Und plötzlich war er so erfolgreich, dass er zum Problem wurde. Tausende Besucher posierten für ein Selfie – und der Schriftzug wurde zum Symbol für den Massentourismus. Die Regierung liess den zwei Meter hohen Schriftzug vor dem Rijksmuseum daher im vergangenen Dezember wieder entfernen.
Doch die Aktion war eher symbolischer Natur – die Probleme, die die Millionen Touristen jährlich mit sich bringen, sind längst nicht gelöst.
Die Niederländische Tourismusbehörde zieht nun einen Schlussstrich: In ihrem Report «Perspective 2030» erklärt sie, dass es nicht mehr länger darum geht, die Destination Niederlande zu vermarkten, sondern viel eher zu «organisieren und entwickeln».
Dazu gehört auch die Verteilung der Gäste auf die verschiedenen Teile des Landes. Das soll überlaufene Gebiete entlasten und im Gegenzug unbekannte Gebiete von den Tourismuseinnahmen profitieren lassen.
Spätestens seit «Game of Thrones» dort gedreht wurde, ist Dubrovnik ein weltweit beliebtes Touristenziel. Die 300 x 400 Meter grosse Altstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe und lockt jährlich weit über eine Million Touristen an – aktuell wohnen dort gerade mal gut 40'000 Leute.
Den Einheimischen wird es zu viel: In Zukunft sollen nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe pro Tag anlegen dürfen, früher waren es bis zu zehn.
779 Einwohner zählt Hallstatt. Doch seit 2012 ist dort nichts mehr, wie es einmal war. Die Zahl der Busse, die zehntausende Touristen für ein paar Stunden heranfahren, ist von 3440 Reisebussen (im Jahr 2010) auf bereits 19'344 (2018) gestiegen. An manchen Tagen drängen sich fast 10'000 Besucher durch die engen Gassen zwischen Berg und See.
Grund: Hallstatt erlangte vor allem in China Berühmtheit, nachdem dort 2012 eine exakte Nachbildung des Dorfes erschaffen wurde. Dies brachte viel PR und noch mehr Gäste – doch die Schattenseiten sind längst spürbar.
Anfang Jahr beschloss nun der Gemeinderat, dass die Reisebusse den Ort am Hallstätter See ab 2020 nur noch anfahren dürfen, wenn sie eines der begrenzt verfügbaren Zufahrtstickets gekauft haben. Die Mindest-Aufenthaltsdauer soll zudem zweieinhalb Stunden betragen. Und die Gebühren sollen von derzeit 40 Euro auf einen noch unbestimmten Betrag angehoben werden.
Übrigens: Bürgermeister Alexander Scheutz rechnete im vergangenen Dezember für das Jahr 2019 mit Einnahmen von 336'000 Euro – allein durch die Benutzung der 5 öffentlichen Toiletten. Deren Benutzung kostet 1 Euro.
Während Cinque Terre früher ein Geheimtipp war für Reisende ausserhalb der bekannten Routen, stoppen inzwischen viele Bustouren und Kreuzfahrtschiffe täglich in der Region.
Viele Touristen sind für die schlecht ausgebauten Wege vor Ort nicht ausgerüstet. In den letzten Jahren häuften sich Unfälle mit Touristen, die den Nationalpark Cinque Terre mit schlechter Ausrüstung besuchten. Regelmässig mussten Personen in Flipflops mithilfe von Helikoptern von abgelegenen Pfaden evakuiert werden.
Für nächsten Sommer gibt's deshalb neue Regeln: Wer Schuhe mit flachen Sohlen oder sogar Flipflops trägt, zahlt eine Geldstrafe von 50 bis zu 2500 Euro.
Firenze è malata. Florenz ist krank, stand in der Zeitung «La Nazione». «Der Massentourismus erstickt Florenz», schrieb «Die Zeit». Und Giovanni Klaus Koenig, Architekt, Vordenker und Präsident des Ausschusses für Fragen der Bewältigung des Tourismus, warnte: «Man kann auch am Tourismus sterben, durch Überdosen.»
Das war 1985.
Sechs Millionen Touristen pilgerten damals in die Hauptstadt der Toskana. Mittlerweile sind es über 14 Millionen (Stand 2016). Umso bemerkenswerter ist dies, weil die Einwohnerzahl seit den 1970er eher rückläufig ist und heute bei rund 380'000 liegt.
Der renommierte Vordenker und Kritiker Koenig provozierte bereits 1985: «Die Städte müssen das Recht haben, sich zu wehren. Es kann jeder kommen? Wieso?» Er empfahl den Verantwortlichen den Numerus Clausus für Touristen, Preiserhöhungen, und er wollte die Besucher aus dem Zentrum drängen, indem er ein Museum an der Autobahnausfahrt ausserhalb der Stadt vorschlug – durchaus auch mit Kopien der berühmten Kunstwerke, die sich die Touristen dort anschauen sollten.
Es war schon damals mehr Utopie. Im Sommer 2017 wies Bürgermeister Dario Nardella die Stadtreinigung an, immer am Mittag die Kirchentreppen und Piazze zu putzen – und zwar mit viel Wasser. In Florenz ärgert man sich zunehmend über «Billigtouristen», die ihre Sandwiches und Cola-Dosen auf den Plätzen und Treppen der Stadt konsumieren und die Zugänge verstopfen, als wäre die Stadt ein Rastplatz.
Ein Jahr später wurde zudem ein Bussgeld in Höhe von 150 bis 500 Euro angedroht für jene, die rund um die Uffizien sitzen und essen. «Wenn sich die Touristen in Florenz so verhalten, wie bei sich zu Hause, sind sie immer willkommen. Vor allem, wenn sie unsere Gastronomie nutzen», so Bürgermeister Nardella. Von den Billigtouristen allerdings hat nicht nur er genug.
(Mitarbeit: Marius Egger)
Stierkämpfe gibt es seit ca. 2010 dort nicht mehr und der Flamenco gehört nach Andalusien, nicht nach Katalonien. Das ist zwar auch Spanien, aber ganz woanders.
aber Hey, die ganze Schweiz sagt ja auch Grüezi, isst Risotto und trinkt Fendant.