Ob bei Selbstverschulden auch die Heilungskosten überwälzt werden können – darüber diskutieren Politik und bisweilen Gerichte nicht erst seit Corona und der Frage, ob Ungeimpfte ihre Behandlungskosten selber zahlen müssen.
Am strengsten unter den Sozialversicherungen ist die Unfallversicherung. Eine Kürzung von Taggeldern oder Renten – nicht aber der Heilungskosten – droht hier bereits, wenn du einen Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hast. Das Nichttragen eines Motorradhelms führt damit ebenso zu Leistungskürzungen wie etwa das Nichtanlegen eines Sicherheitsgurtes.
Hast du dich einer grossen Gefahr ausgesetzt, ohne angemessene Vorkehrungen zur Minimierung des Risikos zu treffen, bist du ein Wagnis eingegangen und musst möglicherweise ganz auf Geldleistungen verzichten. In einem nicht ganz unbekannten Fall hat so das Bundesgericht entschieden, dass eine Auslandreise trotz eindeutiger Reisewarnung des EDA ein nicht versichertes Wagnis ist und die Versicherung zu Recht die geforderten Geldleistungen verweigert hatte. Ebenso führte ein Unfall bei der Teilnahme an einem Motorradrennen zu einer Streichung der Taggelder, ein Tauchunfall bei einem Tauchgang in über 40 Metern Tiefe zu einer Kürzung um 50 %.
In der Invalidenversicherung gilt der allgemeine sozialversicherungsrechtliche Grundsatz, wonach Leistungskürzungen drohen, wenn die versicherte Person den «Versicherungsfall vorsätzlich (…) herbeigeführt oder verschlimmert» hat.
Im Zusammenhang mit Suchterkrankungen ging die Rechtsprechung «davon aus, die süchtige versicherte Person habe ihren Zustand selbst verschuldet». Vor gut zwei Jahren hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung korrigiert und festgehalten, dass Alkoholsucht nicht selbstverschuldet sei und entsprechend keine Kürzung der Invalidenversicherung rechtfertige. Auch hier gilt jedoch eine Schadenminderungspflicht, so muss die versicherte Person trotz ihrer Alkoholsucht aktiv an zumutbaren medizinischen Behandlungen teilnehmen, andernfalls droht ihr eine Kürzung der Rente.
Wellenartig gibt es Diskussionen darüber, ob eine Krankheit selbstverschuldet sein kann und die so erkrankte Person ihre Heilungskosten selber zahlen muss. Im Fokus steht hier oft der Alkoholmissbrauch: Parlamentarier forderten so beispielsweise Gesetzesänderungen, um die Kostenbeteiligung bei Behandlungen von «Drogen- oder Alkoholexzessen» zu erhöhen oder das Prüfen von Möglichkeiten, «Rauschtrinker» ihre Behandlungskosten selber berappen zu lassen. Der Bundesrat hatte dies abgelehnt, namentlich weil das Verschulden in der Krankenversicherung weder auf die Kostenbeteiligung noch auf die Übernahme von Leistungen einen Einfluss habe.
Ganz so absolut stimmt dies allerdings nicht. Wer seine Zähne beispielsweise schlecht putzt und deswegen in die Zahnklinik muss, zahlt die Rechnung selber: Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt die Kosten der vermeidbaren zahnärztlichen Behandlung nicht.
Selbst wenn es nicht im Gesetz steht, darf die Krankenkasse die Kostenübernahme bei vermeidbaren Eingriffen ablehnen. So stützte das Bundesgericht die Leistungsverweigerung einer Krankenkasse in Bezug auf eine bereits erfolgte Brustverkleinerung grundsätzlich, da im konkreten Fall nicht abschliessend geklärt sei, ob nicht auch eine Physiotherapie die Beschwerden hätte beheben und damit die Operation vermieden werden können: Die Physiotherapie wäre «unter dem Gesichtspunkt der Schadenminderungspflicht (…) aufgrund der zeitlichen Verteilung sowie Dauer und Intensität der Behandlung durchaus zumutbar» gewesen.
Der Vergleich einer Impfung mit Zähneputzen oder Physiotherapie mag hinken – das Verschulden ist auch unserem Krankenversicherungsgesetz nicht ganz fremd.