Die Trennung von Kirche und Staat ist in vielen modernen Staaten eine Selbstverständlichkeit. Zu lang hatten Geistliche politischen Einfluss und verbrüderten sich mit den Machthabern. Mit der Glaubens- und Kultusfreiheit wurden die Freiheiten und Rechte des gemeinen Volkes ausgeweitet, die weltlichen Privilegien der Religionsführer eingeschränkt.
Das Bedürfnis, Einfluss auf die Politik zu nehmen, verspüren fromme Christen vornehmlich aus Freikirchen aber immer noch. Das ist ihnen selbstverständlich unbenommen. Schliesslich haben sie die gleichen Rechte wie Katholiken, Protestanten, Skeptiker oder Atheisten.
Heute biedern sich die Gläubigen nicht mehr bei den Machthabern an, sondern setzen auf spirituelle Methoden, um die säkulare Welt wieder auf den religiösen Pfad zu bringen. Dies zeigt ihre neuste Aktion «Pray for Switzerland». Man ahnt es: Es geht um die National- und Ständeratswahlen.
Die Organisatoren der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA nennen die Aktion «Gebets-Initiative für unser Land und unsere Politik»: «Christinnen und Christen aus Landes- und Freikirchen werden aufgefordert, verbindlich für Kantone und Bundesräte zu beten.»
Mit der Aktion wollen die Gläubigen Politikerinnen und Politiker in der Schweiz im Gebet unterstützen und «die Politik unter Gottes Führung und Segen stellen». Darin liege eine besondere Kraft und Hoffnung für unser Land, schreiben die Organisatoren.
So weit, so klar. Einen fahlen Beigeschmack bekommt die Aktion aber, wenn die Organisatoren behaupten, die Initiative trete ökumenisch und politisch neutral auf. Ihre fadenscheinige und allzu durchsichtige Behauptung: «Das Gebet bewegt und eint alle Konfessionen, und es geht nicht um Parteipolitik.»
Wirklich? In Wahrheit engagieren sich freikirchliche Kreise vornehmlich in der EVP (Evangelische Volkspartei) und EDU (Eidgenössisch-Demokratische Partei). Es geht also sehr wohl um Parteien. Die Gläubigen werden vor allem die frommen Politiker und Kandidaten ins Gebet einschliessen. Und wählen.
Das ist nötig, denn die EVP kommt lediglich auf 1,9 Prozent Wähleranteile, die rechtsnationale EDU auf 1,2 Prozent. Die EVP stellt mit Marianne Streiff und Nik Gugger zwei Nationalräte, die EDU hat seit 2011 keinen Nationalratssitz mehr. Daran wird die Gebetsaktion kaum etwas ändern können.
Die Gebets-Initiative ist vor allem aus religiöser Sicht aufschlussreich. Sie zeigt, dass das spirituelle Ritual für politische Zwecke eingesetzt wird. Die Frommen möchten die Politiker aller Parteien auf übersinnlichem Weg auf die christliche Schiene bringen. Für ungläubige Politiker ist dies wohl ein Versuch der magischen Beeinflussung.
Die Aktion verrät aber auch das religiöse Verständnis der Schweizerischen Evangelischen Allianz, die fast durchwegs von freikirchlich-engagierten Gläubigen geführt wird. Diese glauben offensichtlich, dass Gebete von Gott gehört werden. Und dass Gott sich von Gebeten beeinflussen lässt.
Vor allem: Der Schöpfer hilft ihnen ganz konkret im Alltag, setzt sich für sie ein. Auch in politischen Belangen. Er greift also vermeintlich aktiv in das politische Geschehen und den Lauf der Welt ein.
Da fragt es sich, weshalb EVP und EDU immer noch Miniparteien sind und insgesamt nur zwei Sitze haben. Und: Hat Gott nichts Besseres zu tun, als sich um den Wahlkampf in der Schweiz zu kümmern? Würde er die Kraft nicht besser an jenen vielen Brennpunkten der Welt einsetzen, wo Menschen leiden, verfolgt, gefoltert und ermordet werden? Müssten die Gläubigen nicht eher für diese beten?
Dies zeigt wie unter dem Deckmantel "Gott" Personen beliebig ihre Bedürfnise zurechtbiegen und unter seinem Namen weiterverkünden. "Gotteswille" ist das bestimmt nicht.
Staat und Kirche ist strikt zu trennen - davon sind wir noch weit entfernt!