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Analyse

Bundesrat will auf Social-Media-Plattform X von Elon Musk aktiv bleiben

FILE - Tesla and SpaceX CEO Elon Musk listens as Republican presidential nominee former President Donald Trump speaks at a campaign event at the Butler Farm Show, Oct. 5, 2024, in Butler, Pa. (AP Phot ...
Techmilliardär Musk hat seine Social-Media-Plattform in ein «Shithole» verwandelt. Das scheint viele seriöse Politiker nicht abzuschrecken.Bild: keystone
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Darum will der Bundesrat die Social-Media-Plattform X von Elon Musk weiter unterstützen

Das frühere Twitter ist mit der grössten Abwanderungswelle seit der Übernahme durch Elon Musk konfrontiert. Die Schweizer Regierung bleibt der Plattform vorläufig treu – man beobachte aber die Lage.
20.11.2024, 04:5120.11.2024, 13:42
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Der Hashtag #eXit bringt auf den Punkt, was viele Menschen in Europa und Nordamerika umtreibt.

Sie wollen weg von X. Weg von der Kurznachrichten-Plattform, die der Techmilliardär Elon Musk in einen Tummelplatz für Extremisten verwandelt hat.

Er wolle die «viel zu toxische Atmosphäre» möglichst schnell hinter sich lassen, drückte es der weltbekannte Horrorschriftsteller Stephen King aus.

Viele weitere Persönlichkeiten haben sich ihm bereits angeschlossen. Andere möchten ausharren. Wie grosse Teile der Schweizer Regierung.

watson hat sich auf Spurensuche begeben.

Was tut der Bundesrat?

watson hat bei der Bundeskanzlei angefragt, ob auch die Landesregierung einen «eXit» plant. Der stellvertretende Kommunikationschef Urs Bruderer verneint.

«Für den Bundesrat halten wir bis auf Weiteres an der Plattform X fest. Seinen X-Profilen folgen nach wie vor viele politisch Interessierte, Politikerinnen und Politiker und Medienschaffende.

X ist auch nach wie vor ein wichtiger Kanal für die internationale Regierungskommunikation und erlaubt bei Ereignissen schnelle Stellungnahmen und Reaktionen, wie sie von Regierungen heute erwartet werden.»

Die Bundesverwaltung verfolge die Entwicklungen in den sozialen Medien aufmerksam, betont Bruderer. Die eigenen Fachleute beobachteten, ob die Plattformbetreiber die Nutzungsbedingungen änderten und ob es Veränderungen im Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer gebe. Zudem behalte sich der Bund die Möglichkeit vor, die Social-Media-Strategie bei Bedarf anzupassen.

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X-Profile der Schweizer Regierung
Wie hält es die Schweizer Regierung mit der umstrittenen Social-Media-Plattform X von Elon Musk? In dieser Bildstrecke erfährst du, wie viele, respektiv wenig Follower die Bundesräte und ihre Departemente haben.
quelle: keystone / peter klaunzer
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Wohin flüchten?

Einen Umzug zur Twitter-Alternative Bluesky, die zuletzt einen massiven User-Zuwachs verzeichnete, scheint die Bundeskanzlei derzeit nicht zu planen. Dazu erklärt der stellvertretende Kommunikationschef:

«Eine gleichwertige Alternative zu X gibt es bis heute nicht. Aber die sozialen Medien verändern sich schnell, bestehende Plattformen können an Bedeutung verlieren und neue können entstehen. Wir beurteilen die Situation laufend.»

Wobei: Ein Mitglied der Landesregierung hat bereits ihren persönlichen «eXit» vollzogen. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (SP) twitterte am 31. Oktober:

«X hat sich grundlegend verändert. Diese Plattform entspricht nicht der Debattenkultur, an der ich teilnehmen möchte. Also beschloss ich, sie zu verlassen. Ich lade meine Follower ein, sich mir auf Instagram anzuschliessen!»
quelle: x.com

Zur Erinnerung: 2023 lancierte Mark Zuckerbergs Meta-Konzern den Kurznachrichten-Dienst Threads, um X User abzujagen. Dank der Anbindung an die Social-Media-Plattform Instagram konnte Threads in nur einem Jahr sehr viele neue User gewinnen. Allerdings ist der Erfolg mit Vorsicht zu geniessen. Techjournalist Matthias Schüssler vom «Tages-Anzeiger» konstatiert:

«Der Vergleich von Threads [Instagram] und Bluesky zeigt, dass nicht die absoluten Nutzerzahlen entscheidend sind, sondern der Mix der Anwenderschaft: Obwohl Threads mehr als zehnmal so gross ist, wird dort vor allem Unterhaltung in Form von Memes geboten. Die engagierten Diskussionen sind schon jetzt vor allem auf Bluesky zu finden.»

Doch auch auf X werde nach wie vor «ein breites Themenspektrum abgebildet». Viele User der ersten Stunde hätten sich bislang nicht abgewendet.

Bleiben und kämpfen?

Der Abgang von Bundesrätin Baume-Schneider bei X hat eine Grundsatzdebatte ausgelöst. Einige User vertreten die Meinung, man dürfe eine solche Plattform nicht kampflos den Extremisten überlassen. Vielmehr gelte es, mit guten Argumenten dagegenzuhalten. Diese Haltung vertritt übrigens auch der deutsche Wirtschaftsminister und grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck.

Der deutsche IT-Sicherheitsforscher und Datenschützer Mike Kuketz stellt in seinem persönlichen Blog ein Argumentarium zur Verfügung, warum diese Haltung nichts bringt, sondern im Gegenteil kontraproduktiv ist.

Bringt es etwas, auf X zu bleiben, um dort menschenfeindlichen Ansichten zu widersprechen?

«Klares Nein!

Das wäre, als würde man sich in das Bierzelt einer rechtsextremen Partei setzen, in der Hoffnung, deren Überzeugungen durch Diskussion zu ändern – ein aussichtsloses Unterfangen, das eher deren Bühne stärkt als echte Veränderung bewirkt.»

Sollte man auf X bleiben, um dort gegen menschenfeindliche Ansichten anzugehen?

«Ganz klar: Nein!

Das wäre, als würde man sich mitten auf einen Marktplatz voller Hassprediger stellen und glauben, durch besonnene Worte die Atmosphäre verändern zu können – letztlich bietet man ihnen nur unfreiwillig die Kulisse für ihre Inszenierung. Anstatt Wandel herbeizuführen, stärkt man damit die Plattform und lenkt zusätzliche Aufmerksamkeit auf sie, die sie gezielt für ihre Zwecke einsetzt.»

Sollte man auf X bleiben, um dort Desinformation entgegenzuwirken?

«Klare Antwort: Nein!

Das wäre, als würde man versuchen, ein Feuer mit einem Tropfen Wasser zu löschen, während drumherum Benzin ausgeschüttet wird – am Ende verstärkt man nur die Aufmerksamkeit auf die Brandstifter. Solche Plattformen leben von der Verbreitung falscher Informationen, und jeder Versuch, diese zu korrigieren, wird in ihre Mechanismen eingebaut und trägt dazu bei, ihre Reichweite und Relevanz zu steigern. Anstatt die Desinformation zu bekämpfen, hilft man ihr, noch mehr Sichtbarkeit zu erlangen.»

Sollte man nicht auf X bleiben, um dort gegen «Hate Speech» vorzugehen?

«Ganz klar: Nein!

Das wäre, als würde man in einen Raum voller wütender Menschen gehen und versuchen, mit ruhigen Worten Frieden zu stiften – am Ende wird man nur Teil des Konflikts, ohne etwas zu verändern. Statt die Stimmung zu beruhigen, verstärkt man die Plattform und gibt ihr mehr Aufmerksamkeit, die sie nutzt, um Hass und Hetze weiter zu verbreiten.»

Man könne die von ihm angeführten Vergleiche gerne in Gesprächen, Diskussionen oder auch in sozialen Medien verwenden, hält Mike Kuketz fest. Es gehe darum, gegenüber Dritten deutlich zu machen, warum es wichtig ist, sich von Plattformen wie X zu distanzieren.

Warum kann es sinnvoll sein, den X-Account nicht zu löschen?

Der in seiner Heimat Österreich sehr populäre Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf beschrieb die wehmütige Stimmung vieler langjähriger X-User:

«Es war sehr lange schön mit dir Twitter, aber in den letzten Jahren, seit du dich nur mehr X nennst und täglich immer weiter radikalisierst, war es gar nicht mehr schön, sondern vor allem giftig, voller Lügen, aggressiv und deprimierend.»
quelle: arminwolf.at

Angesichts der täglichen Widrigkeiten, die viele User erlebten, muss allerdings auch die Frage gestattet sein, warum sie es dort so lange aushielten.

Dazu nochmals Armin Wolf:

«Twitter wurde X – und von Irren geflutet: Propaganda-Bots, Neonazis, Rassisten, Sexisten, Incels, Verschwörungsparanoiker, Fake News und Bullies ohne Ende. Und alles ohne Konsequenzen. Einen Account unter einem scheinbaren Klarnamen, auf dem praktisch jeder Tweet nach mehreren Paragrafen strafbar ist, bei X zu melden, ist eine völlig sinnlose Übung.»

Er lösche seinen X-Account noch nicht ganz, so Armin Wolf. Dies, weil er die Plattform leider als tagesaktueller Journalist für seine Arbeit noch brauche. Er werde dort aber «kein Wort mehr posten, keine Kommentare mehr lesen und nicht mehr reagieren».

Viele Journalistinnen und Journalisten dürften es ihm gleichtun und X weiterhin passiv, zu Recherchezwecken nutzen. Tatsächlich sind dort auch weiterhin wichtige Akteure und Institutionen aktiv und verwenden die Social-Media-Plattform für externe Kommunikation.

Den eigenen X-Account nicht zu deaktivieren, ergibt gerade bei bekannten Persönlichkeiten auch noch aus Sicherheitsgründen durchaus Sinn. So kann verhindert werden, dass nach einer 30-tägigen Frist (ohne erneute Anmeldung) alles unwiderruflich gelöscht wird und der Nutzername («Handle») in fremde Hände fällt.

Quellen:

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132 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Vernon Roche
20.11.2024 05:59registriert November 2015
Man beobachtet die Lage. Das Synonym für entscheidungsschwach.
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Das Dreizahn
20.11.2024 06:07registriert Juni 2020
Also wenn ich mir die Post des Bundesrates bei X so anschaue, ist da kaum Interaktion vorhanden. Durchschnittlich 2 Drukos und die sind entweder Bashing von irgendwelchen Spam-Bots, die das Selbe auch unter Beiträge von Watson, 20 Minuten, SRF News usw posten... Da noch Energie reinzustecken ist echt blauäugig...
20310
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Glücklich
20.11.2024 05:41registriert August 2022
‚Die Schweizer Regierung bleibt der Plattform vorläufig treu – man beobachte aber die Lage‘

Schade, hätte mir gewünscht, dass wir hier nicht beobachten, sondern SOFORT JETZT untreu werden …
19634
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