Der umstrittene Schweizer Historiker Daniele Ganser darf am 9. März mit seinem Vortrag «Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?» in Hannover auftreten. Das hat ein Stadtsprecher am Mittwoch auf Nachfrage des watson-Medienpartners T-Online bestätigt.
Auftritte des umstrittenen Historikers in öffentlichen Hallen sorgen derzeit vielerorts für Protest und Empörung. Kritikerinnen und Kritiker werfen dem Schweizer Historiker NS-Vergleiche und Holocaustrelativierung vor. Politikerinnen und Politiker und die jüdische Gemeinde haben bereits eine Demonstration gegen den Auftritt angemeldet.
«Es gibt keine rechtliche Grundlage für das HCC, den Vertrag für eine Veranstaltung mit Herrn Ganser aufzukündigen», sagt ein Sprecher der Stadt Hannover, die im engen Austausch mit anderen Städten stehe. Für das HCC, Tochterunternehmen der Landeshauptstadt, bestehe die rechtliche Verpflichtung, Veranstaltungen unabhängig von den jeweils vertretenen Inhalten durchzuführen, so der Sprecher weiter.
Dies gelte auch unabhängig von der Frage, ob die Veranstaltung politisch kritisiert werde oder nicht. «Anders wäre es nur, wenn erkennbar Gefährdungslagen vorliegen würden», sagt der Sprecher. Das wäre bei dem Auftritt von Daniele Ganser demnach nicht der Fall.
Die Stadt befürchtet zudem eine Klage, sollte die Stadt den Vertrag mit Ganser aufkündigen. «Diese rechtliche Position wurde im vergangenen Jahr durch ein höchstrichterliches Urteil nochmals bestätigt», sagt der Sprecher.
Gemeint ist damit ein Urteil aus dem Januar des Vorjahres, in dem die Stadt München einer kritischen Podiumsdiskussion zu der Frage «Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein?» nach einem Urteil einen städtischen Veranstaltungssaal überlassen musste.
Der Historiker Daniele Ganser war in der Vergangenheit immer wieder mit fraglichen Thesen aufgefallen. So verglich er die «Angst vor der Pandemie» mit der «Angst vor der Diktatur.» Im Rahmen einer Dokumentation zur Corona-Politik sagte Ganser, es herrsche «weltweit Wahnsinn» – eine Einschätzung, die er mit einem Holocaust-Vergleich untermauert. Dessen Wahnsinn, so Ganser, sei lokal gewesen.
«Die Logik seiner Aussagen lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden. Auch das ist eine Form des Antisemitismus», sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty. Erst vergangene Woche hatte Ganser nach t-online-Berichterstattung seinen Vergleich zu den Geschwistern Scholl erneuert.
Mitglieder der Piratenpartei Hannover hatten vergangene Woche das Vorgehen der Stadt kritisiert. Der Vorsitzende des Stadtverbandes, Thomas Ganskow, sagte t-online: «Da es sich beim HCC lediglich um eine ausgelagerte Tochter der Stadt handelt, hätte die Stadt hier sehr wohl Handhabe». Die Partei hatte eine Prüfung angekündigt, wie es zu dem Vertrag mit dem HCC kommen konnte. «Wir werden nicht lockerlassen», sagte Ganskow, der im Falle eines Stadtfindens des Vortrags auch Konsequenzen im HCC gefordert hatte.
Ob «Nachdenkseiten», «Rubikon» oder «KenFM»: Ganser ist in den gängigsten Alternativmedien prominent vertreten. Auch «Compact» hat Ganser in der Vergangenheit Interviews gegeben. Inzwischen wird das Magazin vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Für Patrick Guyton von der «taz» ist Ganser ein «Verschwörungsguru»
Nach Bekanntwerden des Ganser-Auftritts im HCC hatte Rebecca Seidler, Geschäftsführerin der Liberalen Jüdische Gemeinde Hannover, t-online gesagt: «Die Gemeinde sieht dieser Veranstaltung mit grosser Irritation und Sorge entgegen». Ihr zufolge seien «krude Verschwörungserzählungen, die häufig in antisemitischen Sprachbildern enden, keine Grundlage für eine gesunde Debattenkultur, sondern schlichtweg nicht zu akzeptieren».
Auch Michael Fürst, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, unterstützt Seidler in einem Gespräch mit der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung» (HAZ): «Ich habe kein Verständnis für die Zurückhaltung der Stadt Hannover.»
Wegen des Auftritts plant die jüdische Gemeinde nun mit Liam Harrold (Grüne) eine Demonstration am Veranstaltungsdatum vor dem HCC. Der Fraktionssprecher für Kulturpolitik und Antifaschismus sagt T-Online: «Ich verstehe die Argumentation des Rathauses. Im schlimmsten Fall klagt der Veranstalter und die Stadt Hannover muss einen sechsstelligen Schadensersatz zahlen – der dann in rechten Netzwerken landet», befürchtet Harrold.
Es bräuchte stattdessen eine wehrhafte Zivilgesellschaft, die gemeinsam zeige, dass Gansers Thesen in Hannover keinen Platz hätten. Für kommende Woche wäre bereits ein Planungstreffen zusammen mit mehreren Parteien und Verbänden angekündigt.
Auf T-Online-Anfrage erklärt der Sprecher des Veranstalters Nema Entertaiment – im Auftrag von Daniele Ganser –, «dass Kritik an Regierungsentscheidungen in den Leitmedien immer weiter verloren geht und Personen, die sie dennoch üben, regelrecht bekämpft werden». Dies geschehe «durch üble Nachrede, falsche Behauptungen, hinterhältige Hetze und garstige Diffamierungen». Alle Vorwürfe gegen Ganser seien «in der Regel voneinander abgeschrieben, nicht nachrecherchiert und vollkommen haltlos».
Gänzlich anders sieht das Niedersachsens Antisemitismusbeauftragter Gerhard Wegner: «Der Auftritt des Verschwörungstheoretikers Gansers in Hannover ist problematisch», sagt er t-online. «Wir wissen aus vielen Forschungen zum Thema Menschenfeindlichkeit, dass Verschwörungsmythen der Einstieg in Formen von Menschenhass und Antisemitismus sind», so der Theologe und Sozialwissenschaftler weiter.
Derzeit gehen auch Osteuropa-Historiker mit breiter Front gegen Ganser vor. Darunter Martina Winkler in Kiel, Julia Obertreis in Nürnberg, Klaus Gestwa in Tübingen und Franziska Davies in München. Auch in Stuttgart und Kiel formiert sich Protest. Zuletzt hatte sich der schleswig-holsteinische CDU-Politiker Tobias von der Heide für ein Auftrittsverbot ausgesprochen: Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium fordert in einem Instagram-Post, dass die Show abgesagt wird.
Um derlei Auftritte in Hannovers Stadthalle zukünftig zu verhindern, will die Stadt Änderungen in den Geschäftsgrundlagen des HCC vornehmen: «In der kommenden Woche wird Wirtschaftsdezernentin Anja Ritschel zudem eine Ergänzung der Vergabegrundsätze für Veranstaltungen im HCC vorstellen.»
(t-online/dsc)