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Afrika

Legalisierung der Polygamie – Frauen der Elfenbeinküste wehren sich

«Es gibt nur Männer mit mehreren Geliebten» – Streit um Gesetz in der Elfenbeinküste

Ein neuer Gesetzesentwurf in der Elfenbeinküste sorgt für Diskussionen: Polygamie soll legalisiert werden – aber nur für den Mann.
20.07.2022, 21:2721.07.2022, 15:25
Laura Bernasconi
Laura Bernasconi
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Polygamie ist in vielen Teilen der Welt verboten. In westafrikanischen Ländern ist sie aber trotz Verbot nach wie vor weit verbreitet. Eine vorgeschlagene Gesetzesänderung in der Elfenbeinküste sieht nun sogar vor, Polygamie zu legalisieren.

Was derzeit in der Elfenbeinküste für Gesprächsstoff sorgt:

Worum geht es?

Yacouba Sangaré, ein Abgeordneter des ivorischen Parlaments, brachte am 30. Juni einen neuen Gesetzesentwurf ins Parlament ein: Die Polygamie soll legalisiert werden – aber nur für den Mann.

Sangaré ist Mitglied der Regierungspartei The Rally of Houphouëtists for Democracy and Peace (RHDP) und bezeichnet das derzeitige Eherecht an der Elfenbeinküste als «allgemeine Heuchelei», wie Al Jazeera berichtet. Denn laut der Umfrage des Pew Research Center von 2019 leben in der Elfenbeinküste trotz Verbot rund 12 Prozent der Bevölkerung in polygamen Haushalten.

Der von ihm eingereichte Gesetzesentwurf soll zur Änderung eines Gesetzes vom Juni 2019 führen. In dem Gesetz ist festgelegt, dass niemand eine neue Ehe eingehen darf, bevor die erste aufgelöst ist. Zudem hält der Gesetzesentwurf fest, dass nur staatliche Beamte befugt sind, eine Ehe zu legalisieren.

Feministinnen protestieren gegen die Legalisierung der Polygamie.
Feministinnen protestieren gegen die Legalisierung der Polygamie.Bild: Screenshot Twitter @chanellafrica1

Polygamie, Polygynie und Polyandrie?

Polygamie bezeichnet eine Form der «Vielehe», also das Führen von mehreren gleichzeitigen Beziehungen. Beim Gesetzesentwurf der Elfenbeinküste geht es darum, dass ein Mann mehrere Frauen heiraten darf – man spricht in diesem Fall von Polygynie. Das Gegenteil von Polygynie ist Polyandrie, was bedeutet, dass eine Frau mehrere Ehemänner hat.

Wie argumentieren die Befürworter des Gesetzesentwurfs?

Sangaré ist der Meinung, dass der Gesetzesentwurf darauf abziele, die Frauen zu schützen. Da Frauen, die derzeit in polygamen Beziehungen lebten, keine Ansprüche und Rechte geltend machen könnten, wenn die Beziehung aufgelöst werde.

Und so seien Frauen nach einer Trennung oft auf sich alleine gestellt. Sie hätten keine Sicherheit und manchmal blieben sie mit Kindern zurück, die sie alleine aufziehen müssten. Sangaré sagt darum, dass sein Gesetzesentwurf zum Schutz der Frauen beitragen werde.

«Der Feminismus ist ein Import aus dem Westen. Wir haben unsere eigenen kulturellen Werte.»

Die Gemeinschaft akzeptiere es, Sangaré zufolge, wenn ein Mann mehrere Ehefrauen habe. Deshalb passe die aktuelle Gesetzeslage nicht zur Realität. France 24 zitiert einen Befürworter Sangarés, der während einer hitzigen Debatte in einem Lokal gesagt hat:

«Wir können nicht einfach Gesetze kopieren, die in westlichen Ländern eingeführt wurden. Wir müssen den Menschen die Wahl lassen.»

Ein weiterer Befürworter sagt gegenüber France 24:

«Der Feminismus ist ein Import aus dem Westen. Wir haben unsere eigenen kulturellen Werte. Wenn ein Mann zwei oder drei Ehefrauen haben kann, heisst das nicht unbedingt, dass eine Frau das gleiche Recht haben sollte. Das würde nicht funktionieren. Das würde nur Chaos verursachen.»

Und wie argumentieren die Gegner?

Frauenrechtsorganisationen und feministische Gruppen sind anderer Meinung. Sie sind empört und sagen, dass dieser Gesetzesentwurf ein Rückschritt im Kampf gegen die Bekämpfung der Ungleichheit der Geschlechter sei.

Die Rechtsexpertin Désirée Okobé ist eine der Frauen, die sich öffentlich gegen den Gesetzesentwurf ausspricht. Ihr zufolge wäre die Legalisierung der Polygamie ein Rückschlag für die ivorischen Frauen, welche immer noch mit Ungleichheiten und Diskriminierungen zu kämpfen hätten. In einem Telefoninterview mit France 24 meinte sie:

«Ein Mann entscheidet sich aus persönlichen, egoistischen Gründen dafür, mehr als eine Frau zu haben. Die Öffnung dieser Tür würde zu einem Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft führen.»

Okobé stimmte zwar Sangaré zu, dass es mehr Gesetze zum Schutz der Frauen brauche. Jedoch sei dieser spezifische Gesetzesentwurf nicht im Interesse der Frauen verfasst worden.

«Es ist eine Ausrede, um das Unrecht zu rechtfertigen. Das ist nicht für Frauen. Hier geht es nur darum, dass Männer ihren Willen durchsetzen.»

Die schärfste Kritikerin von Sangarés Plan ist die ehemalige Ministerin für Solidarität und Frauenrechte, Constance Yai. Sie bekämpft den Entwurf vehement. Bei einer Pressekonferenz am 11. Juni, organisiert von der ivorischen Liga für die Rechte der Frau, sagt sie:

«In der Elfenbeinküste gibt es keine Polygamie. Es gibt nur Männer, die mehrere Geliebte haben.»

Sie ergänzt, dass das Dokument im Widerspruch zur Verfassung von 2016 stünde. Diese besagt, dass alle Ivorer frei und gleich vor dem Gesetz geboren sind und bleiben. Niemand dürfe aufgrund seiner Rasse, seiner ethnischen Zugehörigkeit, seines Clans, seines Stammes oder seines Geschlechts privilegiert oder diskriminiert werden.

Auch die UN-Menschenrechtskommission sei für die Abschaffung des Gesetzesentwurfs und für das Verbot der Polygamie, schreibt France 24.

Warum gilt die Gesetzesänderung nur für Männer?

Die Frauenrechtsorganisationen hätten auch auf die Doppelmoral in diesem Fall hingewiesen. Denn der Gesetzesentwurf soll nur die Polygynie, nicht aber die Polyandrie legalisieren, schreibt France 24. Constance Yai fragt darum frustriert auf der Pressekonferenz:

«Die männliche Polygamie ist nicht die einzige mögliche Form der Vereinigung. Wären wir aber in der Lage, auch die weibliche Polygamie zuzulassen, um dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Frauen und Männern gerecht zu werden?»

Ihre Haltung stiesse im Internet auf gemischte Reaktionen. Die Ivorer stimmen nicht alle der vollkommenen Gleichberechtigung der Frauen zu.

Wie geht es weiter?

Das umstrittene Polygamie-Gesetz muss noch mehrere Stufen durchlaufen, bevor es überhaupt dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Gemäss Sangaré könnte es zwischen fünf Monate und fünf Jahre dauern. Der Abgeordnete meinte aber, er habe es nicht eilig, «diese Dinge brauchen immer Zeit».

Trotzt der Kontroverse über seinen Gesetzentwurf beharre er darauf, dass die Stimmen der Feministinnen nicht repräsentativ für die öffentliche Meinung seien.

«Die Stimmen der Feministinnen sind nicht repräsentativ für die öffentliche Meinung.»

Zum jetzigen Stand seien noch keine nationalen Meinungsumfragen durchgeführt worden. Die Meinung der Ivorer Gesellschaft über die Polygamie sei noch unbekannt, sagt er weiter.

Rechtsexpertin Désirée Okobé glaubt, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Legalisierung von Polygamie sei. «Ich glaube nicht, dass eine Mehrheit der Ivorer oder der Frauen dieses Gesetz unterstützt», sagte sie gegenüber Al Jazeera. «Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Unsere Gesellschaft hat sich verändert und weiterentwickelt.»

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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Trouble
20.07.2022 21:49registriert Februar 2016
«Der Feminismus ist ein Import aus dem Westen.» – sagt er im aus dem Westen importierten Fernsehen.
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Ratchet
21.07.2022 01:44registriert Mai 2015
«In der Elfenbeinküste gibt es keine Polygamie. Es gibt nur Männer, die mehrere Geliebte haben.»
Ziemlich auf den Punkt gebracht. Im Grunde genommen geht es um untreue Männer, die statt sich scheiden zu lassen sich ungefragt eine neue Freundin aussuchen. Das Liebesdreieck kann dem Staat egal sein, das Hauptproblem sind aber Kinder. Die werden dann überall erzeugt, doch gross Verantwortung übernimmt der Vater nur selten.
Was es also braucht ist nicht Polygynie, sondern bessere Kinderschutzgesetze, die Väter mehr verpflichten, gerade bei aussereherlichen Kinder.
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Raupe aka Raclonette
20.07.2022 22:10registriert Februar 2019
Wenn etwas ganz bestimmt nicht zur Weiterentwicklung und Modernisierung der Gesellschaft beiträgt, dann wenn dieses Gesetz durchgesetzt wird.
Da ich aber aus dem Westen bin, habe ich eigentlich garnichts zu sagen...
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