
Ein ukrainischer Soldat an der Front.Bild: keystone
Analyse
Die Ukraine ist die Geisel in einem gewaltigen geopolitischen Poker um eine neue Weltordnung.

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Der Chef der deutschen Marine, Kay-Achim Schönbach, erklärte vor ein paar Tagen in einem Interview, der Westen müsse in der Ukraine-Frage mehr Verständnis für Putin aufbringen. Es gehe schliesslich darum, Russland als Partner im Ringen gegen China zu gewinnen. Schönbach musste nach diesen Äusserungen sofort zurücktreten. Zu Recht. Die Aussagen waren nicht nur eine diplomatische Katastrophe, sie waren auch kreuzfalsch. In der Realität geschieht genau das Gegenteil: Russland und China haben sich gegen den Westen verbündet und wollen eine neue Weltordnung durchsetzen. Aber der Reihe nach.
Die beiden Staatsoberhäupter Wladimir Putin und Xi Jinping sind überzeugt, dass sich die USA auf dem Niedergang befinde. Die Supermacht sei intern zerstritten wie noch nie seit dem Bürgerkrieg und aussenpolitisch seit dem Desaster in Afghanistan desavouiert. Deshalb sei die Supermacht nun sturmreif geworden. Beide, Russland und China, glauben zudem, sie hätten mit den USA noch eine Rechnung offen – und jetzt sei die Zeit gekommen, diese zu begleichen.
Wenn Putin am 4. Februar zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Peking reist, dann wird er bei Xi nicht nur auf viel Verständnis stossen, er kann auch auf die stillschweigende Billigung seiner Pläne in der Ukraine rechnen. Die beiden Staatsoberhäupter sind sich einig in ihrer Feindschaft gegenüber den USA und dem Westen. Sie verfolgen dabei folgende Ziele:
Das will Wladimir Putin
Als Putin im April 2008 an einem Nato-Gipfel in Bukarest den damaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush traf, sagte er zu ihm: «George, du musst verstehen, dass die Ukraine gar keine Nation ist. Sie ist ein Teil von Osteuropa, und der grösste Teil ist uns zugesprochen worden.» Das berichtet Fiona Hill in einer Kolumne in der «New York Times». Sie war die Russland-Expertin dreier US-Präsidenten.

Wladimir Putin verfolgt eine militärische Übung.Bild: keystone
Was die Ukraine ist und was nicht, darüber gibt es im Westen und in Russland zwei sehr verschiedene Ansichten. Die Situation ist undurchsichtig, milde ausgedrückt. Mary Elise Sarotte, Geschichtsprofessorin an der Johns Hopkins University, hat darüber ein Buch geschrieben («Not One Inch: America, Russia, and the Making of Post-Cold War Stalemate»). Das Magazin «The New Yorker» zitiert sie wie folgt:
«Eine extreme Position, die oft in Amerika zu hören ist, lautet: Wir haben den Russen nie etwelche Zusagen gemacht. Das ist ein totaler Mythos. Die Russen sind psychotisch. Die russische Position andererseits lautet: Wir sind total verraten worden, darüber kann kein Zweifel bestehen.»
Putin ist nicht nur vom Verrat überzeugt, sondern auch, dass seine beiden Vorgänger Michail Gorbatschow und Boris Jelzin unfähige Weicheier waren und von den Amerikanern über den Tisch gezogen wurden. Deshalb will er nun, wie Fiona Hill schreibt, «den Vereinigten Staaten eine Dosis ihrer eigenen bitteren Medizin verpassen. Er ist überzeugt, dass sich die USA in der gleich misslichen Lage befindet wie Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion.»
Tatsächlich hat der Kollaps der UdSSR die politische Landschaft Europas grundlegend verändert. Sarotte stellt dazu fest:
«So wie ein Gletscher sich langsam über eine Landschaft verbreitet und sie dabei vollständig umkrempelt, so hat die Ausdehnung der NATO ostwärts die politische Landschaft verändert und dabei die Wahrzeichen für das 21. Jahrhundert hinterlassen.»
Putin will mehr, als die Ukraine heim ins Reich holen. Er will, wie es Fiona Hill formuliert, die Amerikaner aus Europa vertreiben. Seine Botschaft an Joe Biden lautet daher: «Goodbye Amerika. Und passt auf, dass euch die Türe beim Abgang nicht in den Hintern tritt.»
Das will Xi Jinping
Chinas Zorn auf den Westen geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Zuge der Kolonialisierung wurde das Reich der Mitte zuerst gedemütigt und dann zerschlagen. Es folgten blutige Bürgerkriege, die Okkupation durch die Japaner und nochmals ein äusserst blutiger Bürgerkrieg, bis Mao Zedong das Land wieder vereinigen konnte. Mit Ausnahme von Taiwan, nach wie vor ein schmerzhafter Dorn in Chinas Körper.
Wie Putin sieht auch Xi den Zeitpunkt für eine Abrechnung mit dem Westen gekommen. Die «Unipolarität» der Amerikaner – der unangefochtene Machtanspruch der USA – muss endlich gebrochen werden. Wie Putin befürchtet auch Xi, dass die Amerikaner Verschwörungen zum Sturz der Regierung unterstützen. Und wie Putin ist Xi auch überzeugt, dass China eine Gesellschaftsordnung gefunden hat, die derjenigen des dekadenten liberalen Westens weit überlegen ist.
Xis Ambitionen gehen allerdings noch weiter als diejenigen von Putin. Er will die Amerikaner nicht nur aus dem Pazifik vertreiben. Wie Rush Doshi in seinem Buch «The Long Game» feststellt, will Xi dafür sorgen, dass China die USA als neue Supermacht ablösen wird. Doshi ist ein chinesischer Wissenschaftler, der für das Weisse Haus arbeitet.
Das will Joe Biden
Nach dem Sieg im Kalten Krieg haben die USA die Doktrin verfolgt, jederzeit in der Lage zu sein, gleichzeitig zwei grosse Kriege führen zu können. Dieses Ziel ist endgültig illusorisch geworden. Wie der Politologie-Professor Hal Brands im «Foreign Affairs» feststellt, sind die USA heute «ein überdehnter Hegemon mit einer defensiven Strategie geworden, die nicht mehr im Einklang mit der Aussenpolitik steht.»
Für die USA ist der Ukraine-Konflikt eine lästige Ablenkung. Russland ist für sie keine Grossmacht mehr, sondern, wie es einst der verstorbene Senator John McCain formuliert hat, «eine grosse Tankstelle, die vorgibt, eine Nation zu sein».

Hat Russland als «grosse Tankstelle» bezeichnet: Der verstorbene US-Senator John McCain.Bild: AP/AP
Tatsächlich ist die russische Wirtschaft etwa gleich gross wie die italienische. Ökonomisch gesehen sind Putins Grossmachtsansprüche absurd. China hingegen hat heute schon die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und wird bald die grösste haben.
Biden will daher die von Donald Trump begonnene Militärpolitik weiterführen und sich primär auf China konzentrieren. Deshalb hat er auch den Rückzug aus Afghanistan angeordnet. Gleichzeitig will er Verbündete gegen China finden. Daher hat er kürzlich ein Abkommen mit Australien und Grossbritannien abgeschlossen, dass modernste Unterseeboote im Pazifik für Sicherheit sorgen.
Putin zwingt Biden nun jedoch, sich wieder um Europa zu kümmern. «Die Überdehnung schränkt die Optionen in einer Krise ein», stellt dazu Brands fest. «(…) Die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten sich zunehmend auf China ausrichten, führt dazu, dass sie weniger Optionen in anderen Gebieten haben.»
Der Ukraine-Konflikt ist somit weit mehr als ein Kampf um regionale Machtansprüche. «Es ist auch eine Schlacht um Ideen» stellt dazu die «Financial Times» fest. Es geht letztlich darum, ob sich im geopolitischen Ringen die liberale Ordnung des Westens behaupten kann – oder ob sich die autoritären Modelle von Russland und China durchsetzen können.
Ein neues Gesetz in Uganda schränkt die Rechte homosexueller Menschen noch mehr ein. Die Höchststrafe: der Tod. International wird Kritik laut.
Ungeachtet scharfer internationaler Proteste hat Ugandas Präsident Yoweri Museveni ein umstrittenes Anti-LGBTQ-Gesetz unterzeichnet, das bei «homosexuellen Handlungen» bis zu lebenslange Freiheitsstrafen vorsieht. Museveni unterschrieb am Montag nach Angaben von Parlament und Präsidialbüro im Onlinedienst Twitter eine leicht geänderte Fassung des «Anti-Homosexualitäts-Gesetzes 2023», welches das Parlament Anfang Mai auf den Weg gebracht hatte.