Zuerst kappte er die Militärhilfe, jetzt verbietet er auch seinen Geheimdiensten, der Ukraine wichtige Informationen zukommen zu lassen. Donald Trump lässt im Verrat an der Ukraine nichts aus. Trotzdem sieht es nicht so aus, als ob der US-Präsident das geschundene Land in die Knie zwingen könnte. Andriy Zagorodnyuk, der ehemalige Verteidigungsminister, stellt in einem Essay in «Foreign Affairs» klar: «Die Führung der Ukraine hat mit überwältigender Unterstützung der Menschen in der Ukraine entschieden, dass Aufgeben keine Option ist.»
Gleichzeitig fügt Zagorodnyuk hinzu, dass die russische Armee noch weit von den vom Kreml gesteckten Zielen entfernt ist: «Putin mag in der Lage sein, einige taktische Durchbrüche zu bewerkstelligen, aber er wird seine maximalistischen Ziele nicht erreichen.»
Das ist mehr als Pfeifen im Wald, und zwar aus zwei Gründen: Die Hoffnung, dass Europa tatsächlich in die Lücke springt, welche die Amerikaner hinterlassen, und die Tatsache, dass Russlands Armee noch weit von einem Sieg entfernt ist.
So stellt George Barros vom Institute for the Study of War (ISW) – bekannt für präzise und unabhängige Analysen des Krieges in der Ukraine – im «Atlantic» fest, die Russen würden keine bedeutenden Städte einnehmen: «Im vergangenen Jahr eroberten sie weitgehend unbewohnte Steppe mit einer Handvoll von Dörfern und einzig zwei wichtige Städte», so Barros.
Der Preis, den die Russen dafür bezahlen, ist horrend, selbst wenn die Zahlen, welche die Ukraine nennt – mehr als 400’000 Tote und Verwundete – wahrscheinlich übertrieben sind. Nicht nur Menschenleben werden von Wladimir Putin im grossen Stil geopfert. Vieles deutet darauf hin, dass den Russen auch bald das Material ausgehen wird. Die noch aus der Sowjet-Ära stammenden Panzer und Kanonen scheinen weitgehend vernichtet zu sein. Russische Infanteristen fahren nicht mehr in Schützenpanzern zur Front, sondern in chinesischen Leichtfahrzeugen, Motorrädern – oder sie reiten gar auf Eseln und Maultieren.
Zudem hat sich der Krieg massiv verändert. Waren einst Panzerfäuste und 155-Millimeter-Artillerie-Munition entscheidend, sind es heute die Drohnen. Gemäss Barros werden derzeit die meisten russischen Soldaten damit getötet. Und diesbezüglich haben die Ukrainer keine Probleme. Nochmals Barros, diesmal in der «New York Times»: «Die Verteidigungsindustrie der Ukraine hat gewaltige Fortschritte gemacht und kann vieles, was derzeit gebraucht wird, selbst herstellen.»
Alles deutet darauf hin, dass auch die Hoffnungen auf Europa berechtigt sind. Innert Tagen hat sich die Stimmung auf dem alten Kontinent massiv verändert. Die EU hat soeben einen Vorschlag veröffentlicht, der 150 Milliarden Euro für eine gemeinsame Aufrüstung der Verteidigung vorsieht. «Wir leben in äusserst bewegten und gefährlichen Zeiten», begründet Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diesen Schritt.
Gemäss dem «Guardian» werden derweil im Vereinigten Königreich Pläne geschmiedet, wonach eine europäische Luftwaffe mit 120 Kampfjets gebildet werden soll, welche den Himmel der Ukraine beschützt. Der «Sky Shield» genannte Plan könnte «einen grösseren militärischen, politischen und sozioökonomischen Einfluss haben als 10’000 europäische Bodentruppen», heisst es in einem soeben veröffentlichten Papier. Der Plan hat gewichtige Unterstützer, etwa Philip Breedlove, der ehemalige Oberbefehlshaber der US Air Force, Sir Richard Shirreff, ein ehemaliger General der britischen Armee, und Aleksander Kwaśniewski, der ehemalige Präsident Polens.
Die Gefahr, dass diese Jets in einen direkten Konflikt mit den Russen geraten könnten, ist minim. Moskau wagt es nicht, seine Jets über die bestehenden Grenzen zur Ukraine fliegen zu lassen. Die Distanz zu den im Westen der Ukraine stationierten Jets von «Sky Shield» würde damit mehr als 200 Kilometer betragen.
Am erstaunlichsten ist jedoch der Sinneswandel in Deutschland. Friedrich Merz, der künftige Bundeskanzler, schreckt nicht davor zurück, bisher unantastbare deutsche Tabus über Bord zu werden. Soeben hat er zusammen mit seinem wahrscheinlichen Koalitionspartner SPD einen Plan verkündet, der vorsieht, die Staatsausgaben in den nächsten zehn Jahren um rund eine Billion Euro zu erhöhen. Die Schuldenbremse wird somit zur Makulatur, jetzt gilt die Maxime, die einst Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank, geprägt hat: «Whatever it takes».
Deshalb schreckt der künftige Kanzler auch vor einem Manöver nicht zurück, das nicht ohne Risiken ist: Er will seinen Plan noch vom alten Bundestag absegnen lassen, um so ein Störmanöver der Linken und der AfD zu verhindern.
Merz geht es nicht nur um die militärische Sicherheit Europas, sondern auch um einen wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands. «Das sind sehr gute Nachrichten für die militärischen Kapazitäten und das Wirtschaftswachstum», sagt denn auch Jens Südekum, Wirtschaftsprofessor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.
Investitionen in die Verteidigungsindustrie sind mehr als Investitionen in toten Stahl. Sie wirken auch wie ein Ankurbelungs-Programm für die gesamte Wirtschaft und könnten dafür sorgen, dass der technologische Rückstand auf die USA und China aufgeholt werden kann. Dass Deutschland gleichzeitig endlich auch massiv in seine Infrastruktur investieren will, wird diesen Effekt noch verstärken.
Trotzdem wäre es naiv zu glauben, Trumps Verrat hätte keine Folgen für die Ukraine. Um ihre Städte zu schützen, ist Präsident Wolodymyr Selenskyj auf das Luftabwehrsystem Patriot angewiesen, seine Generäle auf die Informationen, die sie bisher von den amerikanischen Geheimdiensten erhalten haben. Beides können die Europäer nicht im gleichen Mass kompensieren.
Es besteht jedoch die Hoffnung, dass Trump einmal mehr eine seiner unzähligen Kehrtwendungen vollzieht, zumal Selenskyj sich mittlerweile bei ihm entschuldigt hat. Mike Waltz, der amerikanische Sicherheitsberater, hat in einem Interview mit Fox News einen solchen Sinneswandel bereits angedeutet: «Sollte es uns gelingen, in den Verhandlungen (über Rohstoffe) eine Lösung zu finden und vertrauensbildende Massnahmen auf den Tisch zu legen, dann wird der Präsident sich das ganze nochmals genau anschauen und die getroffenen Massnahmen aufheben.»