International
Analyse

US-Wahl: Warum Donald Trump Joe Biden nachtrauert

Donald Trump vermisst Joe Biden nach seinem Rückzug. Trump schaut traurig auf einen abtretenden Joe Biden im Hintergrund.
Bild: watson/Keystone SDA
Analyse

Warum Donald Trump jetzt Joe Biden nachtrauert

Der Ex-Präsident findet kein Mittel gegen den «Wahlkampf der Freude» des Duos Harris/Walz.
13.08.2024, 05:0313.08.2024, 14:43
Mehr «International»

Was hat Donald Trump bloss über Joe Biden gelästert. Dumm, ja strohdumm sei er, und generell der schlechteste amerikanische Präsident aller Zeiten. Jetzt schlägt der Ex-Präsident plötzlich ganz andere Töne an. So weit er überhaupt zu diesen Emotionen fähig ist, zeigt er Mitleid. Die Präsidentschaft sei Biden gestohlen worden, erklärte Trump jüngst an einer Pressekonferenz. «Ich war nie sein Fan, wie ihr wahrscheinlich bemerkt habt», so Trump. «Er hatte eine brutale Debatte. Aber das heisst nicht, dass man ihm die Präsidentschaft einfach wegnehmen darf.»

Trumps Krokodilstränen kommen nicht von ungefähr. Seit Biden nicht mehr im Rennen ist, treten die Schwächen des Ex-Präsidenten umso deutlicher zutage. So stellt Peggy Noonan im «Wall Street Journal» fest: «In diesen Tagen machen sich die Menschen zum ersten Mal Gedanken über das Alter von Trump. Er ist 78. Er kann sich nicht mehr konzentrieren, seine Botschaft nicht mehr hinüberbringen. Wird er – eine weitere Ironie des Jahres 2024 – selbst zu einem Joe Biden?»

FILE - Republican vice presidential candidate Sen. JD Vance, R-Ohio, left, and Republican presidential candidate former President Donald Trump, shake hands at a campaign rally in Atlanta, Aug. 3, 2024 ...
Kein fröhliches Paar: Donald Trump und J. D. Vance.Bild: keystone

Nicht nur das Alter erinnert die Menschen an den Präsidenten, auch die Art und Weise, wie er seinen Wahlkampf führt. Während Kamala Harris und Tim Walz von einer Rally zur nächsten eilen, bunkert sich Trump wie einst Biden in seiner Residenz in Florida ein und hält dort wirre Pressekonferenzen ab. Vergangene Woche absolvierte er den einzigen Auftritt in Montana, einem tiefroten Bundesstaat, den er auf jeden Fall gewinnen wird.

Die harte Wahlkampf-Arbeit überlässt er derweil seinem Angriffshund J. D. Vance. Der gesalbte Vize macht jedoch einen schlechten Job. Er wirkt nicht nur wie direkt aus einer Retorte gestiegen, immer wieder macht er sich auch lächerlich. So hat er kürzlich seinem Konkurrenten Walz vorgeworfen, er sei ein «typischer San-Francisco-Liberaler». Dabei geht mehr Mittlerer-Westen-Amerikaner als bei Walz nicht. Der ehemalige Lehrer, Football-Trainer und Reserve-Soldat war übrigens letzten Monat zum ersten Mal in seinem Leben in San Francisco; Vance hat vier Jahre lang dort gewohnt.

Fakten sind wichtig in einem Wahlkampf, fast noch wichtiger sind jedoch die Emotionen, welche die Kandidaten bei den Menschen auslösen. Diesbezüglich könnten die Unterschiede zwischen Trump/Vance und Harris/Walz grösser nicht sein. Der Ex-Präsident beschwört einmal mehr die Apokalypse herauf. Er übertreibt nicht nur masslos, wenn es um Immigration und Inflation geht, er prophezeit gar eine Depression wie in den Dreissigerjahren und einen dritten Weltkrieg, sollten die Demokraten die Wahlen gewinnen.

Democratic presidential nominee Vice President Kamala Harris is welcomed by running mate Democratic vice presidential nominee Minnesota Gov. Tim Walz before she delivers remarks at a campaign rally in ...
Ein sehr fröhliches Paar: Kamala Harris und Tim Walz.Bild: keystone

Harris/Walz schlagen ganz andere Töne an. Sie unterscheiden sich damit nicht nur von Trump/Vance, sondern – zumindest, was den emotionalen Auftritt betrifft – auch von Joe Biden. Der Präsident gewann vor vier Jahren, weil er sich zurückhielt und so dafür sorgte, dass die Aufmerksamkeit auf Trump und dessen chaotischer Amtsführung vor allem während Corona lag. «2020 war Trump ein unbeliebter Amtsinhaber, deshalb funktionierte diese Strategie», stellt Ezra Klein in der «New York Times» fest. «2024 war Biden der unbeliebte Amtsinhaber, deshalb hat diese Strategie nicht geklappt.»

Biden ist es nie gelungen, seine unbestrittenen Leistungen den Wählern zu verklickern. Anstatt glücklich darüber zu sein, dass die amerikanische Wirtschaft die Corona-Krise weit besser als alle anderen überstanden hat und endlich ein Infrastruktur-Programm durch den Kongress geschleust werden konnte, klagten die Joe Sixpacks über Inflation, Zuwanderung und Kriminalität, obwohl diese in Bidens Amtszeit massiv abgenommen hat.

Selbst die Demokraten konnten sich nicht für ihren Präsidenten erwärmen. «Wir werden ihn wählen, selbst wenn er tot ist», schworen sie zwar, doch sie taten dies in einer Stimmung wie Ehemänner, die von ihren Gattinnen dazu aufgefordert werden, den Kehrichtsack vor die Türe zu tragen.

Festivalgoers are seen at Outside Lands Music Festival on Saturday, Aug. 10, 2024, in San Francisco, Calif. (Photo by Amy Harris/Invision/AP)
Fröhlich sind auch die Kamala-Anhänger.Bild: keystone

Vor allem ist es Biden nicht gelungen, die jungen Wähler anzusprechen. Genau dies schaffen Harris/Walz mit ihrem «Wahlkampf der Freude». Dank der Sängerin Charli XCX ist Harris nun eine «Göre» («Brat») – und das ist äusserst positiv gemeint. Jeder Teenager weiss mittlerweile, was es mit dem Kokosnussbaum auf sich hat, auf TikTok und anderen sozialen Plattformen sind die positiven Memes über Harris/Walz geradezu explodiert.

«Aus unterschiedlichen Gründen sind Harris und Walz beide extrem meme-bar, clip-bar und leicht zu remixen», stellt Ezra Klein fest und beschreibt den Effekt wie folgt: «Biden hat Trump grösser gemacht, Harris verzwergt ihn».

Die Freude-Strategie zahlt sich aus. Obwohl Meinungsumfragen zu diesem Zeitpunkt immer noch mit Vorsicht zu geniessen sind, ist es doch bemerkenswert, dass Harris inzwischen Trump in einigen Umfragen national und auch in einigen Swing States überholt hat. Das und die Tatsache, dass die Rallys von Harris/Walz rekordgrosse Zuschauermengen anlocken, schlägt Trump offenbar sehr auf den Magen. Er sei «nahe an einem öffentlichen Nervenzusammenbruch», meldet das Newsportal Politico.com. Neuerdings versteigt sich Trump gar zur absurden Behauptung, die Zahl der Besucher bei den Harris-Rallys sei gefakt.

Democratic vice presidential nominee Minnesota Gov. Tim Walz arrives to speak at a campaign rally at the University of Nevada, Las Vegas on Saturday, Aug. 10, 2024. (AP Photo/Jae Hong)
Lockt die Massen an: Tim Walz.Bild: keystone

Der Stimmungswechsel der letzten Wochen ist erstaunlich, ja einmalig. Das hindert Nörgeler und Bedenkenträger nicht daran, das Haar in der Suppe zu suchen. All dies sei ein «Sugar high», ein Strohfeuer, das sich bald legen werde, orakeln sie. Mag sein. Doch angesichts der Tatsache, dass es Harris und Walz dank dieses «Sugar high» gelungen ist, weit mehr als 300 Millionen Dollar Spendengelder einzusammeln und dass sich landesweit Hunderttausende freiwillige Wahlhelfer gemeldet haben, können die Demokraten nicht schlecht damit leben.

Natürlich ist die Wahl noch keinesfalls gewonnen. «Wir sind die Underdogs», betont Harris daher immer wieder. Und ja, bis zu den Wahlen geht es immer noch rund drei Monate, politisch eine Ewigkeit. In dieser Zeit sind weitere Überraschungen nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich.

Doch die bleierne Last, die über einer Biden-Wiederwahl lag, ist von den Demokraten abgefallen. Die Hoffnung, Trump erneut schlagen zu können, ist berechtigt. Dafür macht sich eine andere Angst breit: Was wird geschehen, sollte der Ex-Präsident tatsächlich verlieren? Wird er versuchen zu verhindern, dass die Wahlen zertifiziert werden, oder wird es gar zu neuen Gewaltausbrüchen kommen?

Auch diese Sorgen sind berechtigt, doch zunächst halten wir uns an die bewährte amerikanische Redewendung: «Let’s cross that bridge when we come to it.» (Lasst und diese Brücke überqueren, wenn wir dort angelangt sind.)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
The Unstoppable Kamala Harris
1 / 34
The Unstoppable Kamala Harris
Ist sie etwa auf direktem Weg ins Weisse Haus? Ins Oval Office? Die Air Force One? Hier begleiten wir Kamala Harris von ihren ersten Schritten bis heute.
quelle: via x
Auf Facebook teilenAuf X teilen
So präsentierte sich der neue Vielleicht-Vizepräsident Tim Walz
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
107 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Auster N
13.08.2024 06:09registriert Januar 2022
Es hat halt Spass gemacht solange er einen Krümel Hoffnung sah Biden zu schlagen. Bei Harris/Walz hat er keinen Krümel mehr. Nicht mal den Staub eines ehemaligen Krümels. Und er weiss das ganz genau. Der Straftäter wird letztlich wirklich noch im Gefängnis landen und alle seine Missetaten werden auf ihn zurück kommen.
1906
Melden
Zum Kommentar
avatar
tychi
13.08.2024 06:20registriert Juli 2016
Und da kommt wieder Biden ins Spiel. Verliert Trump die Wahl, was mittlerweile sehr wahrscheinlich ist, kommt es zu Ausschreitungen. Biden als amtierender Präsident wird dann jedoch hart durchgreifen können, während sich Harris eher zurückhaltet und auf ihre Amtszeit vorbereitet. Biden hat den Rücken frei. Dank Trump und dem Supreme Court genießt er sogar Immunität.
1737
Melden
Zum Kommentar
avatar
Frankygoes
13.08.2024 06:17registriert März 2019
Für Trump ist immer noch 2020. Die Erde hat sich weitergedreht und er kann sich nicht darauf einstellen. Und er zeigt es allen unentschlossenen Wählern. Gut so. Noch so ein 4D-Schachspieler halt..
1154
Melden
Zum Kommentar
107
Scholz attackiert Merz: «Führung sieht anders aus»

Bundeskanzler Olaf Scholz hat CDU-Chef Friedrich Merz wegen des Abbruchs der Migrationsgespräche mit der Ampel-Koalition persönlich und in scharfer Form kritisiert. Beim Sommerfest des konservativen Seeheimer Kreises der SPD in Berlin warf der Kanzler dem Unionsfraktionsvorsitzenden am Abend Verantwortungs- und Führungslosigkeit vor.

Zur Story