Grosses Aufatmen war angesagt, als am Sonntagabend um 20 Uhr Marine Le Pens Niederlage bei der Stichwahl in Frankreich feststand. Der Titel einer Story auf «Zeit Online» brachte die Gefühlslage vieler Menschen in Europa zum Ausdruck: «Gerade noch mal so.» Die «Grande Nation» und der Kontinent sind demnach knapp an der Katastrophe vorbei geschrammt.
Ganz so dramatisch war es jedoch nicht. Die Wiederwahl von Emmanuel Macron als Präsident war weniger stark gefährdet, als viele Medien und selbst «Experten» im Vorfeld befürchtet hatten. Mit 58,5 Prozent schnitt er sogar besser ab als in allen Umfragen. Einmal mehr zeigte sich: Frankreich flirtet gerne mit den Populisten, wählt sie aber nicht.
Dennoch wäre es falsch, zur Tagesordnung überzugehen. Die hohe Abstinenz, die Enthaltungen und die mehr als 40 Prozent für Le Pen sind ein Indiz für eine grosse Unzufriedenheit. Denn sowohl der Arbeitgeberverband als auch die Chefs der beiden grössten Gewerkschaften hatten vor der Wahl der Rechtsextremistin gewarnt.
Sie hatten allen Grund dazu. Marine Le Pen mochte sich ein sanfteres Image verpasst und ihre öffentlichen Auftritte aufpoliert haben, was sich nicht zuletzt in der Fernsehdebatte mit Macron zeigte. Ihr Programm und jenes des Rassemblement National aber bleibt «die Ablehnung des Andersartigen und der Rückzug auf sich selbst», so die Gewerkschafter.
Der Vorrang alles Französischen ist der Imperativ von Le Pens Politik, auch auf europäischer Ebene. Nach aussen hat sie sich vom Frexit distanziert, dem Austritt aus der Europäischen Union. In Wirklichkeit strebt sie diesen weiterhin an, und noch mehr: Sie will die EU in ein imaginäres und zersplittertes «Europa der Nationalstaaten» umwandeln.
Zur Umsetzung ihrer Ziele will sie die Institutionen in Paris und Brüssel mit Volksabstimmungen ausmanövrieren – Marine Le Pen ist eine gelehrige Schülerin der SVP. Das hätte massive Turbulenzen und heftige Proteste zur Folge gehabt. Mit Le Pens Niederlage sind Frankreich und Europa fünf «trumpistische» Jahre erspart geblieben.
Gefreut darüber hätte sich Wladimir Putin, den Le Pen bis zum Ukraine-Krieg bewundert hat. Insgeheim tut sie dies wohl nach wie vor. Er arbeitet seit Jahren auf eine Schwächung und Zerschlagung der europäischen Einheit hin. Und mit einer Präsidentin Le Pen wäre einer der Motoren des Prozesses ausgefallen und vielleicht irreparabel beschädigt worden.
Es wäre gerade in diesen Zeiten des Krieges ein verheerendes Signal gewesen. Ein gewisses Aufatmen ist deshalb angebracht. Gleichzeitig ist dies wohl nur eine Atempause, denn auf Europa dürften schwierige Jahre zukommen. Der durch den Krieg erzeugte Schulterschluss konnte dank Macrons Wiederwahl fürs Erste bewahrt werden.
Wirtschaftlich aber drohen turbulente Zeiten. Die Verwerfungen durch Krieg und Pandemie lassen auch in Europa die Inflation ansteigen. Frankreich ist weniger betroffen als andere Länder, dank relativ hoher Unabhängigkeit bei der Energieversorgung. Aber Experten warnen vor dem Schreckgespenst Stagflation: Inflation plus Nullwachstum oder Rezession.
Das könnte die finanzpolitischen Spielräume erheblich einschränken und den Populisten mit ihren einfachen Rezepten Auftrieb geben. In Frankreich gilt dies auch für jene von links. Jean-Luc Mélenchon mag sich vehement von Le Pen abgrenzen, doch auch er ist gegen die EU, gegen Deutschland und gegen die Nato. Und bis zum Krieg bewunderte er Putin.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in fünf Jahren in Frankreich zum Duell der beiden Extreme kommen wird, vor allem falls sich die politische Mitte im Kampf um Macrons Nachfolge aufsplittern sollte. Auch deshalb ist der alte und neue Präsident in seiner zweiten Amtszeit gefordert. Der Kampf um die Seele Europas ist noch nicht gewonnen.
Immerhin gibt es andere positive Signale. Ebenfalls am Sonntag wurde im kleinen EU-Land Slowenien der vom ungarischen Regierungschef Viktor Orban unterstützte Rechtspopulist Janez Jansa abgewählt. Er hatte Slowenien in die Nähe der «illiberalen» Achse mit den Regierungen in Budapest und Warschau gerückt. Gewonnen hat eine neue liberale Partei.
In Bulgarien, einem der korruptesten EU-Länder, siegte bei den Wahlen im letzten Jahr ebenfalls eine neue Partei, die von zwei Harvard-Absolventen gegründet wurde. Solche Ergebnisse zeigen, dass die Menschen in erster Linie kompetent und «sauber» regiert werden wollen. Es ist und bleibt die Herausforderung für die Zukunft Europas.
Das die da 41% holte ist schon etwas beunruhigend. Was wäre z.b ohne Krieg gewesen?