Dieses Jahr gab es bereits vier Corona-Wellen, die kurz hintereinander aufgetaucht und wieder verschwunden sind. Ausgelöst wurden sie durch kleine Einflussfaktoren wie Wetter- oder Temperaturänderungen. Für Drosten ist dies ein Anzeichen dafür, dass Corona sich von einer Pandemie zu einer Endemie entwickelt. Also kein globales, sondern nur noch ein lokales Phänomen. Dies zeige sich auch durch ein drastisches Sinken des R-Wertes – und dies ganz ohne Masken, Abstandsregeln und Quarantäne.
Drosten spricht auch davon, dass das Virus in eine Art Sackgasse geraten sei: Seit diesem Jahr mutiere es nur noch innerhalb der Omikron-Variante. Es könne nicht einfach ohne Weiteres zurück zu einer Delta-ähnlichen Variante. «Es ist ein wenig festgefahren und optimiert gegenwärtig nur nach – wobei es [...] in unmittelbarer Zukunft wahrscheinlich auch etwas von seiner Virulenz opfern muss.»
Eine neue Variante müsste also von ganz unten im Stammbaum kommen, so Drosten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass durch erneute massive Verbreitung irgendwo eine «Revolution» geschieht. Er sieht vor allem China als Ort für so ein Szenario.
«Weltweit ist die Immunität recht homogen verteilt, in Industrieländern durch Infektion auf dem Boden der Impfung, in ärmeren Ländern sogar durch mehrfache Infektion der Bevölkerung», so Drosten. In China sei dies jedoch nicht der Fall, dort habe es noch immer Lücken bei der Impfung, vor allem bei der älteren Bevölkerung.
Es sei aber auch möglich, dass gar nichts geschehe und das Virus in seiner Ecke bleibe. Dann würde es eben, ähnlich der Grippe, endemisch zwischen den Hemisphären im Winter hin und her wandern und «recht zahm» werden.
Der Virologe ist insgesamt zufrieden mit der Handhabung der Krise. Klar habe hier die Politik falsch entschieden und da die Wissenschaft Irrtümer publiziert. Aber ihm falle kaum etwas ein, wo grobe Fehlentscheidungen gefällt wurden.
Er beklagt sich jedoch auch über den teils fehlenden Miteinbezug der klinischen Forschung: «Klinische Forschung kann nur an Universitätskliniken stattfinden. In Deutschland wird aber die Hälfte der Forschungsförderung, bevor sie überhaupt eine Universität erreichen könnte, in die grossen Forschungseinrichtungen investiert. Die haben keine Krankenhausbetten.»
Drosten stört sich auch an den Stimmen, die im Nachhinein kritisch über die Massnahmen wettern. Man solle ja einmal unser Omikron mit demjenigen aus Hongkong vergleichen. Dort wurde die Bevölkerung in der ersten Omikron-Welle nicht wirklich mit Massnahmen geschützt; in der Folge starben viele Menschen. Es sei ein klassisches Präventionsparadox: Man befürchtet viel, man handelt, es passiert tatsächlich weniger, eben weil man gehandelt hat.
Drosten ist zuversichtlich, dass man global gesehen gut auf die nächste grosse Pandemie vorbereitet sein wird – vorausgesetzt, man setze weiterhin auf Forschungsförderung und Entwicklungszusammenarbeit. Und welchen Erreger sieht der Virologe als Pandemie-Kandidat? Influenza H2N2, ein Grippevirus, das bereits in den 50er-Jahren um die Welt gegeistert ist. Er erwartet aber nicht, dass in nächster Zeit wieder eine solche Pandemie durchbrechen wird.
Drosten fürchtet sich aber auch vor der erneuten Bildung von politischen Blöcken nach der Corona-Zeit. So hatte sein Institut eine jahrelange Zusammenarbeit mit einer Moskauer Forschungsinstitution – diese fällt nun natürlich weg. Auch das Wirken mit China dürfte in Anbetracht der politischen Situation schwieriger werden. (cpf)