Seit Tagen beschäftigt der Absturz eines DHL-Frachtflugzeugs in der litauischen Hauptstadt Vilnius Deutschland. Zentral ist dabei die noch immer unbeantwortete Frage nach der Ursache. Wie der «Spiegel» nun berichtet, kam es in den letzten Minuten vor dem Absturz zu diversen fragwürdigen Entscheidungen.
»Eine erste Sichtung und vorsichtige Deutung der spärlichen verfügbaren Daten lässt eher auf ein fliegerisches als auf ein technisches Problem schliessen«, meinte Flugkapitän und Flugzeugbauingenieur Claus Cordes.
In mehreren Videos ist der Endanflug des Flugzeugs bis zum Absturz zu sehen. Für den Endanflug gibt es fixe Regeln. Die Geschwindigkeit darf kurz vor der Landung nicht zu hoch sein, aber sollte auch nicht zu niedrig sein, um die Maschine kontrollierbar in der Luft zu halten.
Wie es im Bericht, an dem auch Experten beteiligt sind, heisst, war die Maschine beim Anflug «sehr schnell, vielleicht zu schnell» unterwegs. Die Piloten hätten die Flugzeugnase zudem zu rasch nach unten gedrückt. Diese Vermutungen werden durch öffentliche Flugdaten bestätigt.
Es stellt sich nun die Frage, wieso die Piloten den Anflug nicht abgebrochen haben. Gemäss dem Wetterbericht waren die Bedingungen zur Zeit der Landung gut. Es herrschte klare Sicht und es gab auch keinen Nebel. Auch die Landebahn sollte gut zu erkennen gewesen sein.
Grund für den Verzicht auf den Abbruch des Landeversuchs könnte eine unglückliche Verkettung von Umständen sein. Bereits die Kontaktaufnahme mit der Fluglotsin klappte erst beim zweiten Versuch.
Verwirrung löste die danach folgende Anweisung der Fluglotsin aus. Die Piloten wussten nicht, ob sie den Anflug lediglich planen oder bereits beginnen durften. Auf Nachfragen bestätigte ihnen die Fluglotsin die Freigabe des Landeanflugs. Die Maschine flog zu diesem Zeitpunkt im Sinkflug mit 550 Kilometer pro Stunde.
Aufgrund der hohen Geschwindigkeit missglückte der Anflug und musste wiederholt werden. Die Crew wurde angehalten, auf eine neue Frequenz zu wechseln. Die Crew schien dabei etwas falsch verstanden und eine Ziffer überhört zu haben. Obwohl Piloten Anweisungen der Fluglotsen immer wiederholen müssen, funktionierte dies hier nicht: Die Piloten gaben eine falsche Frequenz wieder und die Fluglotsin korrigierte sie nicht. Daraus folgte, dass die Crew ins Leere funkte. Auch die Anweisungen des Towers bekamen sie nicht mehr mit.
Gemäss den Flugdaten versuchte die Crew danach, die Geschwindigkeit zu vermindern, dabei sanken sie aber zu stark. Einige Zeit später war nichts mehr zu hören auf den Frequenzen.
All dies hält noch nicht Stand für eine umfassende Erklärung. Piloten sind sich Zeitdruck im Alltag gewöhnt und sie sind darauf vorbereitet. Auch Missverständnisse kommen vor.
Es gab auch Vermutungen über einen Anschlag. Dagegen spricht aber, dass kein Notfall vermeldet wurde. Gemäss einem verletzten Crewmitglied gab es auch keine Anzeichen auf ungewöhnliche Bewegungen an Bord der Maschine.
Realistischer ist die Theorie, dass die Piloten damit bemüht waren, das Flugzeug zu kontrollieren und den Kontakt zu den Fluglotsen wiederherzustellen. Mehr Antworten werden durch die Befragung des ersten Offiziers und die Auswertung der Flugschreiber erhofft. (kek)