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Wie zwei deutsche Lehrer zur Zielscheibe einer ganzen Region wurden

«Verpisst euch nach Berlin» – zwei Lehrpersonen werden zur Zielscheibe einer Hetzkampagne, als sie über rechtsradikale Vorfälle an einer Schule in Südbrandenburg berichten.
«Verpisst euch nach Berlin» – zwei Lehrpersonen werden zur Zielscheibe einer Hetzkampagne, als sie über rechtsradikale Vorfälle an einer Schule in Südbrandenburg berichten.Bild: AP

Wie zwei deutsche Lehrer zur Zielscheibe einer ganzen Region wurden

Zwei Lehrer berichten öffentlich über rechtsradikale Vorfälle an einer Schule in Brandenburg. Statt Lob zu erhalten, werden sie zur Zielscheibe einer Hetzkampagne. Der Fall ist bezeichnend dafür, wie eine Gemeinde den Nationalsozialismus verherrlicht.
30.07.2023, 06:0909.08.2023, 21:47
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Hakenkreuze an den Tischen, Naziparolen im Gruppenchat, rassistische Sprüche gegen Mitschülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sowie Gewaltandrohungen. All das soll in der vermeintlich idyllischen Gemeinde Burg in Brandenburg zum Schulalltag gehört haben.

Davon berichteten die beiden Lehrpersonen Laura Nickel und Max Teske. Sie wandten sich im April zunächst anonym mit einem Brandbrief an die Öffentlichkeit – ein Hilferuf.

Vergeblich hätten sie versucht, die rechtsextremen Vorfälle mit Aufklärung zu bekämpfen: Sie berichteten der Schulleitung von den Vorfällen, unterrichteten mehr zum Thema der NS-Vergangenheit, luden einen dunkelhäutigen Rapper ein und sprachen mit Schülerinnen und Schüler, die anderen Gewalt androhten.

«Das Rufen von demokratiefeindlichen Parolen füllt die Schulflure.»

Doch nichts davon habe geholfen. Im Gegenteil. Teske und Nickel wurden zur Zielscheibe einer ganzen Gemeinde. Sie gelten seither als Nestbeschmutzer und Denunzianten, die Vorfälle werden bis zur Verharmlosung relativiert.

Angesprochen auf ein Foto, das eine Gruppe Schülerinnen und Schüler zeigt, die den rechten Arm zum Hitler-Gruss ausstrecken, rechnete der lokale AfD-Politiker Jean-Pascal Hohm gegenüber ARD als Erstes vor, dass nur 10 Personen den Arm strecken würden – und nicht 13.

Die Schüler posieren für ein Foto mit Hitlergruss und teilten es in den sozialen Medien.
Die Schüler posieren für ein Foto mit Hitlergruss und teilten es in den sozialen Medien.screenshot: das erste

Der Hilferuf

Nachdem die beiden Lehrer kein Gehör bei der Schulleitung gefunden hatten, wandten sie sich mit einem Brandbrief an die Öffentlichkeit.

«Wir erleben eine Mauer des Schweigens und der fehlenden Unterstützung seitens Schulleitungen, Schulämter und Politik bei der Bekämpfung demokratiefeindlicher Strukturen.» Das Ausmass der Beleidigungen an ihrer Schule gehe bis in die verfassungsfeindliche Verbreitung von rechtsextremen Symbolen, Schriften, Musiktiteln und Gewalt.

«Mit dem Problem standen wir praktisch alleine da, viele andere Lehrpersonen schauten einfach weg», sagt Lehrer Teske in der Sendung Kontraste auf ZDF.

Tische und Wände der Schule sollen mit rechtsextremen Symbolen und Zeichen bemalt worden sein.
Tische und Wände der Schule sollen mit rechtsextremen Symbolen und Zeichen bemalt worden sein.screenshot: das erste

Nickel, die Geschichte und Englisch unterrichtet, sowie Teske, der Mathematik- und Geografie lehrt, forderten die Politik auf, rechtsradikale Probleme an Schulen zu erkennen und offen zu bekämpfen. Denn:

«Schulen sollen Orte der Angstfreiheit, Weltoffenheit und Sicherheit für jeden sein und dürfen Feinden der Demokratie kein Zuhause bieten.»

Die Hetzkampagne

In der Gemeinde Burg im Spreewald, in der die Schule liegt, sei die Verherrlichung des Dritten Reiches in der Mitte der Gesellschaft angekommen, berichtet Das Erste. Rechtsextreme Strukturen haben sich in Brandenburg verfestigt, die rechtspopulistische und rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) verzeichnete 2019 in der Region einen Wahlrekord.

Teachers Laura Nickel, right, and Max Teske speak to The Associated Press during an interview in Cottbus, Germany, Wednesday, July 19, 2023. Two teachers in eastern Germany tried to counter the far-ri ...
Laura Nickel und Max Teske wandten sich an die Öffentlichkeit. Bild: AP

Wie stark der Rechtsextremismus in der Gemeinde vertreten ist, zeigt sich auch anhand der Reaktionen auf den Brandbrief. Nach der Veröffentlichung sind die Lehrpersonen zur Zielscheibe einer Hetzkampagne geworden. Ihre Gesichter sind auf Klebern mit der Überschrift «Verpisst euch nach Berlin» an Laternen geklebt worden. In den sozialen Medien wurde gar zur Jagd auf die beiden aufgerufen, weil sie die «Ortschaft in den Dreck gezogen» hätten, erzählen die Lehrpersonen.

Teacher Laura Nickel shows her cell phone with pictures of stickers on a lamp pole showing images of her and colleague Max Teske with the caption "piss off to Berlin" during an interview wit ...
Nach der Veröffentlichung des Brandbriefs sind die Lehrpersonen Zielscheibe einer Hetzkampagne geworden.Bild: AP

Die Ausprägung des Rechtsextremismus in Regionen wie in Süd-Brandenburg spiegelt sich auch in den Schulen wider, sagt Alfred Roos, Geschäftsführer der regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA), zum «Tagesspiegel».

Doch warum sind gerade Jugendliche so empfänglich für rechtsextremes Gedankengut? «Rechtsextremismus wird vor allem von den Eltern vererbt, weil es nicht genügend tabuisiert und aufgearbeitet wurde», erklärt Robert Lüdecke der Amadeu Antonio Stiftung gegenüber dem ZDF.

Bei den oben genannten Vorfällen würde es sich bislang nur um Ausnahmen handeln, sagt der Landesschülerrat. Schulen sollten aber mit aller Kraft versuchen, gegen solche Tendenzen in der Schülerschaft gegenzulenken.

Behördlicher Maulkorb

Doch in diesem Fall ist das Gegenteil der Fall. Die Lehrpersonen werden aufgrund ihres Brandbriefes an den Pranger gestellt – von den Eltern und von Behörden.

Dem Fernsehsender liegt der Elternbrief vor, darin steht: «Uns liegen Informationen vor, dass die beiden ‹Lehrer› politisch aktiv sind und ihr eigenes Bild von Demokratie haben.» Die Absender forderten die Entlassung der beiden Pädagogen. Die beiden hätten sowohl die Schule als auch die Schüler denunziert. Zu den Vorwürfen gebe es keine Beweise, keine bestätigten Fakten und vor allem sei gar nichts passiert.

«Wie kann es sein, dass Lehrer ein ganzes Dorf in den Schmutz ziehen?»
Elternbrief

Stattdessen versuchen die Kritikerinnen und Kritiker, darunter die Ex-Bürgermeisterin Ira Frackmann, ein anderes Thema in den Vordergrund zu rücken: Migrationsprobleme. In ihren Augen werden die Vorwürfe ins Extreme gezogen. Andere Verhaltensweisen würden unter den Teppich gekehrt werden. «Dass viele der Neubürger mit einem Messer herumlaufen, darüber wird nicht gesprochen», sagt Frackmann in der ARD.

ARCHIV - 09.05.2023, Brandenburg, Cottbus: Der Lehrer Max Teske und seine Kollegin Laura Nickel hatten vor etwa drei Monaten einen zun�chst anonymen Brandbrief �ber rechtsextreme Vorf�lle an ihrer Sch ...
Die beiden Lehrpersonen wollen die Schule wegen starker Anfeindungen aus der rechten Szene nun verlassen.Bild: DPA

Seitens der Schulbehörde bekommen die Lehrpersonen keine Rückendeckung. Statt Lob ernten sie Kritik. Steffen Freiberg, Bildungsminister von Brandenburg und Mitglied der SPD, sieht es offen kritisch, dass die beiden sich an die Öffentlichkeit gewandt haben. Auf die Frage, wie sich die Lehrpersonen hätten verhalten sollen, antwortet er: «Schauen Sie sich eine Brandschutztafel an, dann heisst es als Allererstes: Ruhe bewahren.»

Entmutigt durch die fehlende Unterstützung sowie aufgrund von Anfeindungen ergreifen die beiden Lehrpersonen die Flucht. Sie werden die Schule und die Region verlassen. «Wir können das nicht mehr. Wir müssen uns selbst und unsere Familien schützen», sagt Laura Nickel.

Hass ohne Ende

Das rechtsextreme Spektrum freut sich über den Abgang. So schreibt beispielsweise Jean-Pascal Hohm, Vorsitzender der AfD Cottbus auf Twitter: «Bürgerliches Engagement wirkt: Linksradikaler Denunziant verlässt die Schule in Burg.»

Nach Angaben der Polizei sind an der Schule bereits 16 Strafanzeigen im Zusammenhang mit rechtsextremen Vorfällen bekannt. In einigen der Fälle sei Anzeige erstattet worden, in anderen werde von Amt wegen ermittelt. Dabei seien einige Ermittlungen eingestellt worden, weil es sich bei den Tatverdächtigen um Personen unter 14 Jahren handle.

Das allerdings scheint die Region nicht zu beunruhigen.

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197 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dante&Lupus
30.07.2023 07:31registriert November 2022
In den sozialen Medien wurde gar zur Jagd auf die beiden aufgerufen, weil sie die «Ortschaft in den Dreck gezogen» hätten, erzählen die Lehrpersonen.

Alle Achtung den zwei Lehrpersonen,welche so couragiert gegen ein "Unrecht" mit Aufklärung vorgehen wollten.
Das Nest beschmutzt,haben wohl eher der grösste Teil dieses Dorfes Burg.
Wirklich beunruhigend wie sich ein Teil unserer Gesellschaft entwickelt.
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cille-chille
30.07.2023 07:35registriert Mai 2014
Tiefbraune Suppe

Kann das nur schwer nachvollziehen.
Manchmal scheint es mir, dass die deutsche Politik, der deutsche Rechtsstaat ähnlich funktioniert, wie die deutsche Bahn.

Jahrzehntelange Vernachlässigung von Infrastruktur (bei der Bahn) und jahrzehntelange Vernachlässigung von Themen und ganzen Regionen (sicherlich seit November 89).
25727
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Bits_and_More
30.07.2023 10:10registriert Oktober 2016
Ich wuchs in einer ländlichen Gemeinde auf und gerade in der Realschule gab es immer wieder Nazi Sympathisanten. Meist von ein paar Schülern ohne Rückhalt im Elternhaus. Es liefen Hitlerreden auf dem Pausenhof, die Clique wurde grösser und aus Gruppendruck wurden auch ''normale'' Schüler reingezogen ohne wirklich die Hintergründe zu verstehen.

Zum Glück griff ein Lehrer radikal durch. Filme, Aufklärung, Theaterstücke usw. Er tratt sehr autoritär auf und duldete keine Störung der Rädelsführer.
Nach ein paar Monaten war die Phase vorbei und grossen Dank an diesen Lehrer.
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