
Ein Bild der Zerstörung nach der Bombardierung eines ukrainischen Supermarktes durch die russische Armee. Deutsche Prominente fordern in einem weiteren offenen Brief, der Westen müsse mehr tun für einen Waffenstillstand – und stellen die Waffenlieferungen für die Verteidiger infrage.Bild: keystone
30.06.2022, 13:2330.06.2022, 17:47
Deutsche Prominente haben in einem erneuten offenen Brief Politikerinnen und Politiker dazu aufgefordert, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine durch Verhandlungen zu beenden. Zudem stellen die Prominenten infrage, ob Waffenlieferungen der richtige Weg seien.
«Mir macht es schon ein wenig Angst, wie wenig wehrhaft Teile der Gesellschaft sind. ‹Nie wieder› habe ich auch immer so verstanden, dass wir uns Angriffskriegen mit allem, was wir haben, entgegenstellen.»
Politikwissenschaftler Carlo Masala – in einer Reaktion auf die Forderungen der Prominenten
Was steht im Appell?
In dem Appell mit dem Titel «Waffenstillstand jetzt!», der am Mittwoch in der Wochenzeitung «Die Zeit» veröffentlicht wurde, fordern bekannte deutsche Persönlichkeiten wie der Philosoph Richard David Precht, Schriftstellerin Juli Zeh sowie Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar einen «konzertierten Vorstoss» für Verhandlungen.
Europa stehe vor der Aufgabe, den Frieden auf dem Kontinent wiederherzustellen und ihn langfristig zu sichern. Hierzu bedarf es der Entwicklung einer Strategie zur möglichst raschen Beendigung des Krieges, heisst es im Brief. Je länger die derzeitigen westlichen Massnahmen andauerten, desto unklarer werde, «welches Kriegsziel mit ihnen verbunden ist».
Eine weitere Fortsetzung des Krieges würde Tausende weitere Kriegsopfer bedeuten, heisst es. Auch die humanitäre Notlage auf der ganzen Welt – darunter die Hungersnot in Afrika – könnte sich weiterhin zuspitzen. Zudem bestehe die Gefahr einer atomaren Eskalation. Allerdings heisst es auch:
«Verhandlungen bedeuten nicht, wie manchmal angenommen wird, der Ukraine eine Kapitulation zu diktieren. Einen Diktatfrieden Putins darf es nicht geben.»
Wie reagiert der Militärexperte?
Der Militärexperte Carlo Masala hat sich auf Twitter kritisch zu dem offenen Brief geäussert. Er schreibt:
«An keiner Stelle wird das Problem erörtert, dass die Russische Föderation wiederholt gesagt hat, dass dieser Krieg nur zu ihren Bedingungen beendet wird. An keiner Stelle wird eine Lösung dafür angeboten, wie man die territoriale Integrität der Ukraine (und zwar der ganzen) wiederherstellt. Es wird nur darauf verwiesen, dass es bislang nicht genügend Anstrengungen des ‹Westens› gab, eine diplomatische Lösung zu suchen.»
quelle: twitter

Carlo Masala hat eine Professur für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München.Bild: bmvg.de
Im Twitter-Thread kritisiert er ausserdem, der offene Brief spreche wichtige Punkte gar nicht an:
«Welche Anreize kann es [für] Russland geben? Keine Aussage. Welche Anreize kann [man] der Ukraine geben? Keine Aussage. Wie sollen die territorialen Fragen gelöst werden? Keine Aussagen. Wie könnten Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen? Keine Antwort.»
Im Brief werde zu Recht darauf hingewiesen, dass der «regionale Krieg» viele globale Konsequenzen habe, so Masala. Aber da gebe es nur einen Verursacher: Russland.
Dann zieht der Politikwissenschafter noch einen historischen Vergleich zwischen dem aktuellen Ukraine-Krieg und Nazideutschland kurz vor dem Zweiten Weltkrieg:
«Ja, dieser Krieg bedroht die globale Stabilität. JEDER russische Sieg wird sie noch mehr und nachhaltiger bedrohen. Habe mich lange davor gescheut, eine solche Metapher zu benutzen. Aber jetzt mach ich es. Es ist gerade 1937.»
Welche Reaktionen gibt es sonst noch?
Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, zeigte sich auf Twitter empört: «Nicht schon wieder, was für ein Haufen pseudointellektueller Versager. Sie alle sollten sich endlich mit ihren defätistischen Ratschlägen zum Teufel scheren», so der streitlustige Diplomat.
Der Sicherheitsforscher Georg Löfflmann, Assistenzprofessor an der University of Warwick, zieht ebenfalls ein kritisches Fazit, was den Inhalt des offenen Briefes betrifft:
Mein Fazit: Ein analysefreies Sammelsurium von Verhandlungsappellen, das angesichts der militärischen Lage und der offen imperialistischen Expansionspolitik Russlands so hilflos wie realitätsfern wirkt, und dazu Aggressor und Angegriffene moralisch auf die gleiche Stufe stellt.
Gab's das nicht schon mal?
Ja.
Bereits im April hatten Prominente einen offenen Brief an den deutschen Kanzler Olaf Scholz verfasst. Darin wurde der SPD-Politiker aufgefordert, nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Damals initiierte die Feministin Alice Schwarzer den Brief, der von 28 Erstunterzeichnern unterstützt wurde. Viele andere Prominente und Fachleute reagierten damals kritisch auf die Forderungen.
Die in Polen geborene deutsche Journalistin und Autorin Alice Bota kommentiert nun:
Quellen
Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA
(dsc)
Dildos anstatt Waffen
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Video: watson
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