Alice Schwarzer mag keine Einmischungen. Oder Durchmischungen. Sie mag es nicht, wenn sich der Westen einmischt. Weshalb sie einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz gegen Waffenlieferungen an die Ukraine in ihrer Zeitschrift «Emma» lanciert hat. Sie findet aber auch Männer aus anderen Kulturkreisen in Deutschland höchst problematisch. Sie mag es nicht, wenn muslimische Frauen in Deutschland Kopftücher tragen.
Deutschlands prominenteste Feministin kam schon umstritten zur Welt. Also nicht als Kind natürlich. Sie wuchs bei ihren Grosseltern in Wuppertal auf, erlebte einen «mütterlichen» Grossvater, der sich liebevoll um sie kümmerte, und eine emanzipierte Grossmutter, die sich für alles, nur nicht die klassische Frauenrolle interessierte.
Die Treppe, die sie als Kind zum grosselterlichen Häuschen am Waldrand immer hochgeklettert und im Winter auf dem Schulthek runtergerutscht ist, zeigt die bald 80-Jährige jetzt im Dokumentarfilm «Alice Schwarzer» von Sabine Derflinger. 11 Monate lang hat die österreichische Regisseurin mit Schwarzer verbracht, ist mit ihr gereist, hat Gespräche geführt, Archive durchforstet, Weggefährtinnen interviewt, wir erleben eine tolerante, weltoffene, weitherum respektierte Frau. Und einen Kniefall von einem Film. Was ebenso berechtigt wie unberechtigt ist.
Berechtigt, weil Alice Schwarzer in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren als Pionierin des Feminismus enorm viel geleistet hat. In Deutschland. Aber auch in Frankreich. Die Aufnahmen aus Paris, wo sie 1971 das MLF, das Movement Libération de la femme, mitbegründete, sind mitreissend. Abertausende junger Frauen gingen auf die Strasse, feierten die befreite Sexualität und verlangten kostenlose Verhütung und das Recht auf Abtreibung.
Eines Tages klingelten sie bei der von allen verehrten Simone de Beauvoir und fragten: «Machen Sie mit?», und die von der Radikalität und Vitalität der Jungen begeisterte de Beauvoir, die damals 63 war, schloss sich den Demonstrantinnen an. Im Pelzmantel. Ihr Lebensgefährte, der Philosoph Jean-Paul Sartre, sass unterdessen zuhause, befürwortete den Kampf der Frauen grundsätzlich, fragte sich aber, ob eine «Organisation ohne Männer» tatsächlich der richtige Weg sei.
Alice Schwarzer gehört zur sogenannten «Zweiten Welle» von Feministinnen. Zur «Ersten Welle» zählen alle, die sich zwischen der französischen Revolution und der Machtergreifung der Nationalsozialisten feministisch engagiert hatten – und so zum Beispiel für die Einführung des Frauenwahlrechts 1918 in Deutschland sorgten. Die Zweite Welle beginnt in der Nachkriegszeit, nimmt in den 60ern an Fahrt auf und wird grob bis zur Jahrtausendwende gerechnet. In Europa war Schwarzer die Kapitänin auf dem feministischen Dampfer.
Vieles hat sie als Erste zu einer öffentlichen Debatte gemacht: Am 6. Juni 1971 organisierte sie – nach französischem Vorbild – die «Stern»-Aktion «Wir haben abgetrieben» mit 374 Frauen, darunter Prominente wie Romy Schneider und Senta Berger. 1974 drehte sie für die ARD einen Dokfilm, bei dem sie eine Frau zur Abtreibung begleitete und diese in allen Details zeigte. Der Film wurde tatsächlich ausgestrahlt, aber im dritten, nicht im ersten Programm.
Sie brachte Pornografie und Prostitution aufs Tapet – nicht, ohne dabei früh schon mit jüngeren Frauen aneinander zu geraten. Aber manchmal entsteht ein Gespür für und gegen ein Thema eben erst, wenn es überhaupt jemand anstösst. Wovor sich Alice Schwarzer nie fürchtete. Auch nicht davor, selbst zum Stein des Anstosses zu werden. Was damals in den etablierten Medien gegen sie veröffentlicht wurde, übertrifft jeden sozialmedialen Shitstorm von heute. Sie war die Hexe, die man durch Vergewaltigung therapieren sollte. Der Widerstand befeuerte sie.
Alice Schwarzer hatte schon damals immer Recht und redete jeden und jede nieder. Manchmal mit so viel Charme und unschlagbarem Witz, dass selbst ihr grösster Widersacher nur noch sagen konnte: «Da kann ich Ihnen jetzt wirklich nicht widersprechen.» Manchmal redete sie sich in jenen Dampfwalzen-Furor, wie er vor einigen Tagen in ihrem Interview mit einer Journalistin der «Welt» zu beobachten war. Einsichtig ist sie dabei nie. Fehler gesteht sie auch keine ein. Begeistert kann sie vor alten Aufnahmen von sich selbst sitzen und ihrer eisernen Konsequenz über die Jahrzehnte applaudieren.
Die Verkaufskunst der Journalistin Alice Schwarzer lag in der Verquickung von Sachkenntnis und Boulevard. Ihre Aktionen waren plakativ, dreist und griffig. Wenn etwa der «Stern» zu viele nackte Frauen auf dem Cover hatte, zeigte Schwarzers Zeitschrift «Emma» eben nackte Männer auf ihrem, einer davon war 1993 Smudo von den Fantastischen Vier.
Sieht man die Geschlechterklischees, gegen die es früher zu streiten galt, heute, ist das oft zum Lachen. Etwa, wenn Schwarzer das Bild einer nackten, mit Fussfesseln beschwerten Grace Jones auf dem Cover des «Stern» anprangert. «Stern»-Chef Henri Nannen sagt dazu: «Ja, die hat sie halt an! Frauen behängen sich öfter mit Ketten!» Es gab damals in Deutschland keinerlei Gespür für Sexismus oder Rassismus. Nur auf den Faschismus konnte man sich einigen.
Schwarzers Credo war: Die Frau ist immer Opfer. Und: Frauen müssen nichts besser als Männer machen, sie müssen bloss alles auch machen dürfen, was Männern zusteht. Eine ihrer unbeliebtesten Forderungen – sie nennt sie im Film ihre «Avantgarde-Position» – war die Einführung der Militärpflicht für Frauen. Jüngere Feministinnen, das muss man ihr zugute halten, hat sie immer grosszügig ermutigt. Stellt euch auf die Schultern meiner Arbeit und schaut nach vorn, denn ihr seid die Zukunft, nicht ich, pflegte sie im Direktkontakt gern zu sagen.
Heute gilt sie als der alte weisse Mann par excellence unter den Frauen. Längst leistet sie sich prekäre, starrsinnige und selbstgerechte Positionen, denen man weit kritischer begegnen müsste, als Sabine Derflinger dies in ihrem Film tut. Aber der Film ist nun mal kein objektiver Dokfilm, sondern eine Kollaboration.
2004 hält Roger Köppel anlässlich eines Hamburger Medienpreises eine Laudatio auf Alice Schwarzer, bezeichnet sich als «stillen Bewunderer, heimlichen Fan» und sagt, sie habe «einen Urinstinkt für die Aufdeckung der Schwachstellen des Gegners». In seiner «Weltwoche» ist ihr ein guter Platz sicher. Heute identifiziert sich WeWo-Kolumnistin Tamara Wernli gerne mit Schwarzer, wenn es um Kritik von Seiten der woken Community geht. Und Roger Köppel lobte vor wenigen Tagen auf seinem YouTube-Kanal «Weltwoche Daily» ausführlich Schwarzers «mitteilungswürdigen, nacherzählungswürdigen Kommentar zum Ukraine-Konflikt» gegen die «Tsunami-Welle der Gleichförmigkeit, die vor allem über die deutschen Medien hinwegrollt».
Normalerweise findet Alice Schwarzer die «Bild» richtig, richtig schlimm. Nur 2007 nicht. Da wird sie angefragt, an einer Werbekampagne für die Boulevard-Zeitung teilzunehmen, was sie begeistert tut. Sie wirbt mit dem Slogan: «Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht.» Und sie findet es geil, in einer Reihe mit – meist toten – Männern wie Gandhi und Willy Brandt zu stehen. Schwarzer ist leidenschaftlich gerne prominent.
Alice Schwarzer hat ein Lieblings-Ferienland: Burma. In einem Artikel in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» am 31. Mai 2008 preist sie «die Kraft der Wasserbüffel» und «dieses so wunderschöne Land mit seinen so liebenswerten Menschen», verharmlost das burmesische Militärregime als «das kleinere Übel» und geisselt die Einmischung des Westens nach den verheerenden Folgen eines Taifuns. Es ist der klassische antiimperialistische Reflex aus Kalten-Kriegs-Zeiten.
Die Beziehung zur «Bild» ist jetzt super. Ab September 2010 wird Schwarzer zur «Bild»-Prozess-Kolumnistin im Fall Jörg Kachelmann. Sie berichtete dabei aus der Perspektive des mutmasslichen Opfers, nimmt Partei und ist von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Trotz Kachelmanns Freispruch zeigt sie sich bis heute uneinsichtig: «Ich muss sagen, ich bin auf weniges in meinem Leben so stolz. Weil ich dem mutmasslichen Opfer eine Stimme gegeben habe», sagt sie in Derflingers Dokfilm.
2014 zeigt sich Alice Schwarzer selbst an. Grund: Sie hat ein geheimes Konto in der Schweiz. Und dies seit den 80er-Jahren. Grosse Teile ihrer Einnahmen an Bestsellern wie «Der kleine Unterschied» und TV-Auftritten dürften auf dieses Konto geflossen sein. Was konkret bedeutet, dass sie für zehn Jahre Strafe zahlen muss, nämlich rund 200'000 Euro. Die weiteren 20 Jahre sind, leider, leider, verjährt.
2014 ist schon wieder ein Machthaber «das kleinere Übel», jetzt nicht in Burma, sondern in Russland. «Putin scheint heute das kleinere Übel», schreibt Schwarzer angesichts der Annexion der Krim. «Warum ich trotz allem Putin verstehe!» ist der Titel ihres Einwurfs. Nicht Russland will die Krim erobern, nein, «der Westen» schreitet «unaufhaltsam gen Osten»! Die «West-Medien» behandeln Putin «mit Herablassung»! Der Westen ist «hoffärtig»! Man muss Putin einfach verstehen.
Das Kürzel TERF steht für Trans-Exclusionary Radical Feminism. Also für Feminismus, der sich nicht auch für trans Personen stark macht. J.K. Rowling wird immer wieder vorgeworfen, eine TERF zu sein. Alice Schwarzer ist eine TERF in Reinkultur. Am 31. März 2022 redet sie in der Sendung «Gredig direkt» gegen den «Hype» der Geschlechtsangleichung. Sie unterscheidet dabei zwischen «echten Transsexuellen», die «untherapierbar» seien, und Abertausenden von anderen, die verblendete Opfer «irgendeiner Mode» und einer «wahnsinnigen Entwicklung in der westlichen Welt» seien. Sie erwähnt absurde Zahlen ohne Quellen und beschreibt den Zugang zu operativen Eingriffen als fahrlässig leicht, was er nun wirklich nicht ist.
Die Schweizer Möglichkeit einer Personenstandsänderung ist für sie «völlig wahnsinnig». Belegen und ausführen kann sie das alles nicht, sie kann sich während der Sendung nur immer wiederholen. Und natürlich hat sie dazu schon «eine Streitschrift» verfasst. Und natürlich ist sie «wahrscheinlich die einzige Journalistin in Deutschland», die sich seit Jahren richtig mit dem Thema auseinandersetzt.
«Alice Schwarzer» läuft ab dem 12. Mai im Kino.
Beide sitzen im ach so bösen Westen und trollen gegen das westliche System, das sie im Guten Russland wahrscheinlich ein paar Jahre im Gulag eingebracht hätte. Sie haben Verständnis für Putin und dessen Taten.
Vielleicht wäre es besser, wenn sie dem ach so bösen Waten den Rücken kehren und ins gelobte Land nach Russland ziehen.
Das bringe aber nichts, denn echte Emanzipation habe damit zu tun, dass die Männer einsehen, dass sie von ihrem Podest heruntersteigen und man sich auf Augenhöhe begegnet.
Wenn ich mir diese sich selbst überhöhende Schwarzer heute betrachte, merke ich wie recht meine Mutter mit ihrer Einschätzung hatte.