International
Deutschland

Ausstieg aus Ampel-Koalition: FDP-Papier bereitete «D-Day-Szenario» vor

epa11718652 Former German Finance Minister Christian Lindner delivers a speech at the German Parliament Bundestag in Berlin, Germany, 13 November 2024. German Chancellor Scholz delivered a government  ...
Die FDP-Spitze hat ein Papier veröffentlicht, das verschiedene Szenarien für einen möglichen Ausstieg aus der Ampel-Koalition durchspielt. Bild: keystone

Ausstieg aus Ampel-Koalition: FDP-Papier bereitete «D-Day-Szenario» vor

28.11.2024, 20:1628.11.2024, 23:34
Mehr «International»

Die Veröffentlichung eines detaillierten Papiers der FDP zum Ausstieg aus der Ampel-Regierung sorgt bei den Ex-Koalitionspartnern für Empörung. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch warf der FDP-Führung vor, die Öffentlichkeit wiederholt getäuscht zu haben und forderte eine Entschuldigung von Parteichef Christian Lindner.

Miersch kritisierte es gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) als «zynisch», dass die FDP in dem Papier für den Zeitpunkt des Ampel-Bruchs in ihrem Papier das Wort «D-Day» benutzt und den nachfolgenden Wahlkampf als «offene Feldschlacht» bezeichnet. «Die FDP-Führung hat die Verwendung dieser Begriffe stets bestritten», betonte er.

FDP schreibt von «D-Day» und «Feldschlacht»

In dem Papier taucht die Formulierung D-Day mehrfach auf. In einem Interview bei RTL/ntv hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte betont: «Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden.»

Aus dem Englischen kann D-Day mit «Tag X» übersetzt werden - oder auch «Tag der Entscheidung» meinen. Im Deutschen wird der englische Begriff aber vor allem im Zusammenhang mit der Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus benutzt. Der D-Day am 6. Juni 1944 markierte dafür den Auftakt. Er steht aber auch für ein unmenschliches Blutvergiessen, Zehntausende Tote und Verwundete. Zur Streitmacht der Alliierten gehörten damals vor allem US-Amerikaner, Briten, Kanadier, Polen und Franzosen.

Djir-Sarai bemühte sich in der «Welt» nach der Veröffentlichung des Papiers um Schadensbegrenzung: «Das Papier ist auf Ebene der Mitarbeiter entstanden. Niemand aus der Führung der FDP kannte das Papier.» Einen Grund zurückzutreten, sehe er nicht.

FDP hat «nichts zu verbergen»

Auf X schrieb die FDP zuvor: «Wir haben nichts zu verbergen.» In einer dazu veröffentlichten Erklärung von Djir-Sarai hiess es: «Wir haben niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass ohne eine Wirtschaftswende ein Ende der Ampel ein möglicher Ausgang des von uns sogenannten Herbstes der Entscheidungen sein könnte.» Er sprach von einer Skandalisierung der Vorbereitung auf Szenarien. «Wenn die gesamte deutsche Medienlandschaft zu diesem Zeitpunkt bereits über das Ende der Ampel spekulierte, dann ist es nur professionell, sich auf diese Option einzustellen.»

SPD-Chef Lars Klingbeil schrieb auf der Plattform X: «Es ist gut, dass langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein Bild machen können.» Grünen-Fraktionschefin Britta Hasselmann übte ebenfalls auf X Kritik: «Ein Parlament ist kein Schlachtfeld, und das Ringen um die besten Ideen und Konzepte gehört zu unserer lebendigen Demokratie. Diese FDP sollte keine Verantwortung für unser Land übernehmen.»

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) äusserte sich knapp: «Mein Amtseid lautete, meine Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen - und nicht dem Wohle einer Partei.»

Die FDP hat ihr Papier zu möglichen Ausstiegsszenarien aus der Ampel-Koalition selbst veröffentlicht, nachdem das Nachrichtenportal «Table.Briefings» darüber berichtet hatte. Das achtseitige Dokument - offensichtlich eine Powerpoint-Präsentation - ist überschrieben mit «D-Day Ablaufszenarien und Massnahmen».

Noch am Abend der Veröffentlichung kamen aus der FDP auch erste selbstkritische Töne: «Jetzt ist ausschliesslich Selbstkritik und Aufarbeitung gefragt», sagte das FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann der Deutschen Presse-Agentur. «Die Wortwahl ist der Sache nicht dienlich, eine Verschriftlichung mit dieser Tonalität nicht nachvollziehbar.» Dass man sich aber in einer Situation, wie man sie in der Regierung gehabt habe, mit Ausstiegsszenarien auseinandersetze, sei folgerichtig gewesen, nicht nur für die FDP. Bei dem entsprechenden Treffen sei sie aber nicht dabei gewesen.

Nach dem Ampel-Aus hatten bereits erste Berichte Diskussionen über Ursachen und Urheber des Koalitionsbruchs ausgelöst. «Zeit» und «Süddeutsche Zeitung» berichteten, dass in mehreren Treffen der engsten FDP-Führung seit Ende September Szenarien für ein Ende der Koalition durchgespielt worden seien - die Rede war von einem «Drehbuch».

Diskussion über «Idealen Zeitpunkt» zum Koalitionsausstieg

Im nun veröffentlichten Papier ist zum Beispiel davon die Rede, dass der «ideale Zeitpunkt» und ein «avisierter Ausstieg» aus der Koalition zur Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November liegen könnte. Am 6. November kam es tatsächlich zum Bruch des Bündnisses – aber indem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister entliess.

In dem Papier war zuvor abgewogen worden: Der «avisierte Ausstieg» zu diesem Zeitpunkt berge Risiken wegen der gleichzeitig stattfindenden US-Präsidentschaftswahl. Um sich davon «etwas zu entkoppeln», könne ein Ausstieg zu Beginn der 45. Kalenderwoche am 4. November erfolgen. Bei einer Verschiebung nach hinten werden andere Hindernisse angeführt: die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, der geplante Grünen-Parteitag und ein eigener Parteitag, der vorbereitet und zu dem eingeladen werden müsste.

Vorbereitetes Lindner-Statement

Festgehalten wird auch ein «Kernnarrativ» – also eine Hauptbotschaft, mit der der Ausstieg verknüpft werden könnte. Fundamentale Gegensätze in der Wirtschaftspolitik zwischen Rot-Grün und der FDP seien nicht durch Kompromisse zu überbrücken. Die Bundesregierung sei selbst zum grössten Standortrisiko geworden. «Die deutsche Bevölkerung sollte in vorgezogenen Neuwahlen entscheiden, welchen Weg Deutschland zukünftig geht», heisst es weiter. Auch ein vorbereitetes Statement von Lindner ist bereits enthalten und Szenarien, wann, wo und über welche Kanäle man den Ampel-Bruch am besten verkünden könnte.

FDP spricht von «Arbeitspapier»

Die FDP bezeichnet das Dokument als «Arbeitspapier», das vom Bundesgeschäftsführer der Partei zum ersten Mal am 24. Oktober erstellt worden sei, veröffentlicht nun in der letzten Version vom 5. November. «Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition», heisst es.

Vor allem zwischen SPD und FDP tobt bereits ein Kampf um die Deutungshoheit, inwiefern das Zerwürfnis von einer Seite provoziert worden ist. So sprach Lindner von einer «Entlassungsinszenierung» durch den Kanzler. Scholz liess erkennen, womöglich hätte er die Entscheidung zur Entlassung Lindners früher treffen müssen. (sda/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die neue deutsche Regierung: Das Kabinett von Kanzler Scholz
1 / 19
Die neue deutsche Regierung: Das Kabinett von Kanzler Scholz
Am 8. Dezember wurde Scholz vom Bundestag zum neuen Kanzler gewählt und das neue Kabinett bestehend aus neun Männern und acht Frauen ernannt und vereidigt. Wir geben eine Überblick über alle Posten, angefangen mit dem Bundeskanzler: Olaf Scholz (SPD)
quelle: keystone
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das sagen Scholz, Habeck und Lindner zum Ampel-Bruch
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
13 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
M3rmegil
28.11.2024 21:09registriert Oktober 2023
«Wir haben niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass ohne eine Wirtschaftswende ein Ende der Ampel ein möglicher Ausgang des von uns sogenannten Herbstes der Entscheidungen sein könnte.»
und Lindners FDP hat alles dafür gemacht diese Wirtschaftswende ja nicht herbeizuführen.
396
Melden
Zum Kommentar
avatar
walk the line
28.11.2024 20:46registriert Oktober 2024
Todesmut hat sie ja, diese FDP, das muss man ihr lassen.

Was kommt als nächstes? Der Plan, dass auch die Selbstauslöschung der eigenen Partei geplant war und 'so what' ist ja Wahlkampf?

Viel Spass dabei. Denkt ruhig alle Szenarien durch. Währenddessen regieren andere und machen (gute) Arbeit.
345
Melden
Zum Kommentar
avatar
zaunkönig
28.11.2024 22:29registriert November 2015
Diese FDP braucht echt niemand mehr. Möge sie unter der 5% Hürde ihrem Ende entgegendümpeln. Was wohl “Genschmann” dazu gesagt hätte?
233
Melden
Zum Kommentar
13
Misstrauensvotum setzt Regierung in Frankreich ab

Mit einem Misstrauensvotum hat die Opposition in Frankreich die Mitte-Rechts-Regierung von Premierminister Michel Barnier zu Fall gebracht. Marine Le Pens Rechtsnationale und das linke Lager stimmten in der Nationalversammlung gemeinsam gegen die Regierung und erreichten so die nötige Mehrheit.

Zur Story