Wirtschaft
International

Deutschland: Warum Friedrich Merz die Schuldenbremse reformieren will

Bild
Analyse

Warum jetzt auch Friedrich Merz die Schuldenbremse reformieren will

In Deutschland zeichnet sich eine wirtschaftspolitische Wende ab: Der Fetisch Schuldenbremse könnte bald fallen.
15.11.2024, 13:5815.11.2024, 17:32
Mehr «Wirtschaft»

Olaf Scholz hat seinen Finanzminister Christian Linder entlassen, weil dieser stur an der Schuldenbremse festhalten wollte. Diese schreibt vor, dass der Staatshaushalt grundsätzlich ausgeglichen sein muss und nur in Notsituationen davon abgewichen werden darf. Für Lindner, den Anführer der wirtschaftsfreundlichen FDP, war dieses fiskalpolitische Instrument eine heilige Kuh, die nicht belästigt, geschweige denn geschlachtet werden durfte.

Die Schuldenbremse passt perfekt in den Ordoliberalismus, der ökonomischen Theorie, die in Deutschland nach wie vor die Volkswirtschaftslehre dominiert. Gemäss dieser Lehre sind Staatsschulden erste Schritte auf dem Weg in die Hyperinflations-Hölle. Auch bei der Bevölkerung ist sie beliebt, denn im vergangenen Jahrhundert sind die Menschen gleich zweimal wegen einer solchen Hyperinflation verarmt.

epa04826764 German Chancellor Angela Merkel (L) and German Finance Minister Wolfgang Schäuble (R) talk during a meeting at the German Bundestag in Berlin, Germany, 01 July 2015. The session will focus ...
Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, die Eltern der Schuldenbremse.Bild: EPA/DPA

Die deutschen Politiker, selbst die Sozialdemokraten, wagten es deshalb nicht, gegen das Joch der Schuldenbremse aufzubegehren. Angela Merkel hat sie 2009 mit dem Hinweis auf die sparsame schwäbische Hausfrau eingeführt und in der Verfassung verankert. Der inzwischen verstorbene Finanzminister Wolfgang Schäuble beharrte ebenfalls auf einer «schwarzen Null» im Staatshaushalt, komme da, was wolle.

In der Eurokrise hat sich die Schuldenbremse-Politik der Deutschen bewährt. Dank eines schwachen Euros lief die Exportindustrie – vor allem die Autoindustrie – auf vollen Touren. Mit China hatte sich zudem ein neuer und riesiger Markt aufgetan. Deutschland war eine Zeit lang gar stolzer Exportweltmeister.

Als grösste Wirtschaftsmacht von Euroland sahen sich deutsche Politiker, allen voran Schäuble, auch in der Rolle eines Zuchtmeisters der Länder, die sich nicht an die im Maastricht-Vertrag vorgeschriebenen Limiten für die Staatsverschuldung hielten (3 Prozent des Bruttoinlandprodukts im laufenden Jahr, 60 Prozent des BIP insgesamt).

Vor allem die Länder rund um das Mittelmeer bekamen die deutsche Knute nach der Eurokrise zu spüren. Sie wurden nicht nur mit dem wenig schmeichelhaften Übernamen PIGS bedacht, sie mussten die deutsche Austeritätspolitik übernehmen und hatten wegen des Euros keine Option, die Härten mit einer Abwertung der Währung abzumildern.

Die Schuldenbremse als Klotz am Bein der deutschen Wirtschaft

In der Covid-Krise hoben selbst die Deutschen die Schuldenbremse kurzfristig auf. Weil weniger Geld als geplant für die Bekämpfung der Pandemie gebraucht wurde, blieben gar 60 Milliarden Euro in der Kasse übrig. Die Ampel-Regierung wollte dieses Geld für Investitionen in die Dekarbonisierung der Wirtschaft verwenden. Da schritt das Verfassungsgericht ein und schob diesem Ansinnen einen Riegel.

Was die Staatsfinanzen betrifft, sind die Deutschen daher wieder Musterschüler geworden. Im laufenden Jahr wird das Defizit voraussichtlich 1,75 Prozent des BIP betragen, die Gesamtverschuldung ist wieder auf 64 Prozent des BIP gesunken. Das wirtschaftliche Umfeld hat sich jedoch völlig verändert, die heilige Kuh Schuldenbremse ist zu einem riesigen Klotz am Bein der deutschen Wirtschaft geworden.

Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze hat in einem Interview mit watson ein vernichtendes Urteil über die deutsche Wirtschaftspolitik gefällt: «Deutschland betreibt die schlechtestmögliche Wirtschaftspolitik, besonders nach Covid. Deutschland hat eine schwache Nachfrage, keine Investitionen und verliert technologisch den Anschluss.»

Tatsächlich ist die deutsche Wirtschaft in den vergangenen fünf Jahren kaum gewachsen. Auch 2025 ist man auf der anderen Seite des Rheins froh, wenn man eine Rezession verhindern kann, denn das Herz der deutschen Wirtschaft, die Autoindustrie, ist angeschlagen. Der wichtige chinesische Markt ist eingebrochen, weil die einheimischen Elektroautos deutlich billiger sind. Der sich wohl verschärfende Handelskrieg zwischen den USA und China macht die Lage ebenfalls nicht einfacher.

FILE - New cars for export wait for transportation on a vehicles carrier vessel at a dockyard in Yantai in east China's Shandong province on Nov. 2, 2023. Chinese auto sales slumped in June, 2024 ...
Chinesische Autos warten darauf, verschifft zu werden.Bild: keystone

«Donald Trump is bad news for German business», titelt der «Economist» in seiner aktuellen Ausgabe. Der Bald-wieder-Präsident hasst Handelsdefizite, und das Leistungsbilanzdefizit der Amerikaner mit den Deutschen ist gewaltig. Im vergangenen Jahr betrug es 83 Milliarden Dollar. Deshalb werden sich Mercedes, BMW und VW auf höhere Strafzölle gefasst machen müssen, und das in einer Zeit, in der vor allem VW bereits laut über Werkschliessungen nachdenkt.

Auch was den Krieg in der Ukraine betrifft, werden die Deutschen unter Trump zu leiden haben. Ob und wie dieser Krieg beendet wird, wird sich zeigen müssen. Klar ist auf jeden Fall, dass Trump die Finanzlast weitgehend auf Europa und damit auf Deutschland abschieben wird. Putins Angriffskrieg hat den Deutschen somit nicht nur höhere Energiepreise, sondern auch höhere Militärausgaben beschert.

Investieren muss Deutschland auch in die Infrastruktur. Einstürzende Brücken in Dresden und der erbärmliche Zustand der Deutschen Bahn lassen grüssen. Will man den technologischen Abstand zu den USA und China nicht noch grösser werden lassen, sind auch auf diesem Gebiet grosse Investitionen nötig.

All dies ist mit der Politik der schwäbischen Hausfrau nicht mehr zu stemmen. «Wir brauchen gewaltige Investitionen, und wir brauchen sie rasch», sagte der Wirtschaftsprofessor Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf gegenüber der «Financial Times». «Mit der Schuldenbremse ist dies nicht möglich.» Sie müsse daher dringend reformiert werden, so Südekum weiter. «Ansonsten wird Deutschland unregierbar.»

13.11.2024, Berlin: Friedrich Merz (r), CDU-Bundesvorsitzender und Unionsfraktionsvorsitzender, schaut w�hrend der Debatte nach der Regierungserkl�rung des Bundeskanzlers im Plenum des Bundestags zu C ...
Geht auf Distanz zu Christian Lindner: Friedrich Merz.Bild: keystone

Diese Einsicht dämmert auch Friedrich Merz, der mit grösster Wahrscheinlichkeit schon bald der nächste deutsche Bundeskanzler sein wird. Verschiedentlich hat er daher angedeutet – zuletzt an einem Wirtschaftsgipfel der «Süddeutschen Zeitung» –, dass er bereit sei, die Schuldenbremse zumindest zu reformieren. Allerdings, so betont Merz, dürfen die Schulden bloss für Investitionen in die Zukunft, nicht aber für Sozialausgaben verwendet werden.

Nicht nur Merz ist bereit, an der Schuldenbremse zu rütteln. Verschiedene Landesfürsten der CDU wollen dies mittlerweile ebenfalls. Sie leiden noch mehr darunter als der Bund. Kai Wegner, der CDU-Bürgermeister von Berlin, geht gar so weit, dass er mittlerweile erklärt, Deutschland sei «wegen der Austeritätspolitik ruiniert worden».

Tatsächlich muss man sich in Berlin langsam veräppelt vorkommen. Die Deutschen halten eisern an ihrer Austeritätspolitik fest, während sich in den USA das Staatsdefizit aktuell auf sieben Prozent des BIP beläuft. Unter Trump werden die Staatsschulden gemäss der Einschätzung verschiedener Ökonomen noch weiter steigen. Auch Frankreich wird die Maastricht-Kriterien einmal mehr nicht einhalten, von Italien gar nicht zu sprechen.

Friedrich Merz hat seine Zeit in der politischen Wüste bei Blackrock verbracht, er ist mit der angelsächsischen Ökonomie vertraut. Diese kennt den Fetisch Schuldenbremse nicht. Will Merz seine Landsleute von diesem Fetisch entwöhnen, dann hat er allerdings noch ein hartes Stück Arbeit vor sich. Er muss nicht nur zuerst die Wahlen gewinnen – er muss dann das Verfassungsgericht in Karlsruhe von der Legalität seines Handelns überzeugen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Bundeskanzler Deutschlands
1 / 10
Die Bundeskanzler Deutschlands
Deutschlands erster Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg: Konrad Adenauer (CDU) wird 1949 gewählt. Er verabschiedet sich 1963 nach dreifacher Wiederwahl freiwillig von seinem Amt.
quelle: keystone
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das sagen Scholz, Habeck und Lindner zum Ampel-Bruch
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
153 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Platon
15.11.2024 16:22registriert September 2016
Eigentlich ist es der reinste Skandal, der in Deutschland abläuft! Die CDU war mit ihrer Klage gegen die Regierung dafür verantwortlich, dass das Verfassungsgericht den Haushalt der Ampel kassiert hat und Deutschland nun dermassen in der Tinte steckt. Merz wird dafür wahrscheinlich noch mit dem Kanzleramt belohnt und tut dann genau das, was die Ampel vorhatte. Es gibt wohl nichts unehrlicheres als CDU-Politik!
439
Melden
Zum Kommentar
avatar
Nestor_Leroy
15.11.2024 16:53registriert Oktober 2024
Aha. Jetzt wo der Merz vielleicht Kanzler werden könnte, ist er für die Lockerung der Schuldenbremse. Als Lösung der Probleme Deutschlands. Vorher war er mit Lindner dagegen. Was zeigt, wie Politiker ticken. Sie suchen keine Lösungen fürs Land, sondern erst kommt der Politiker, dann die Partei und dann? Nochmals der Politiker. Später? Die Partei. Sie veräppeln die vernünftigen Wähler, bis die genug haben von der Politik. Dann? Beklagt die Politik das schwindende Vertrauen in die Demokratie, die sie selber demontieren.
241
Melden
Zum Kommentar
153
UBS-Studie zählt 2682 Milliardäre – doppelt so viele wie noch 2015

Die Zahl der Superreichen und ihr Vermögen ist innerhalb von zehn Jahren deutlich gestiegen: Im April 2024 gab es laut einer Studie der UBS 2682 Milliardäre. Das sind gut 50 Prozent mehr als im März 2015.

Zur Story