Otto Šimko setzt sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer den Kampf gegen die russischen Invasoren gewinnen.
Der 99-jährige Slowake blickt auf ein sehr bewegtes Leben zurück. Nun hat er eine deutliche Botschaft:
Die britische BBC konnte kürzlich mit dem Holocaust-Überlebenden und Weltkriegs-Partisanen sprechen. Aktueller Anlass ist eine aussergewöhnliche Spendenaktion, an der sich viele slowakische Bürgerinnen und Bürger beteiligen. Sie wollen nicht hinnehmen, dass ihre Regierung der von Russland überfallenen Ukraine wichtige Hilfe verweigert.
Gegenüber der BBC erklärt der 99-Jährige:
Šimkos Kritik bezieht sich auf die populistisch-nationalistische Regierung seines Heimatlandes. Das slowakische Kabinett verfolgt eine auffallend russlandfreundliche Politik. Ministerpräsident Robert Fico kam im Oktober (erneut) an die Macht und verkündete prompt, man werde «keine weitere Ladung Munition» mehr in die Ukraine schicken.
Wegen des Mangels an Artillerie-Granaten, Raketen und Luftabwehrmitteln kämpfen die ukrainischen Streitkräfte bekanntlich mit wachsender Verzweiflung darum, ihre Frontlinien gegen den russischen Vormarsch zu verteidigen.
Die Regierung im Nachbarland Tschechien startete eine Initiative zur Beschaffung grosser Mengen Artilleriemunition auf dem globalen Waffenmarkt, der sich inzwischen rund 20 Länder angeschlossen haben. Aber nicht die Slowakei.
Ministerpräsident Fico behauptete öffentlich, dass die westliche Unterstützung und Aufrüstung der Ukraine den Krieg nur verlängere und Kiew stattdessen seine Waffen niederlegen und um Frieden mit Moskau bitten sollte.
Das wollten initiative Bürgerinnen und Bürger nicht hinnehmen.
Wie die BBC berichtet, führte «ein zufälliges Gespräch» des Weltkriegs-Veteranen Otto Šimko mit einem Journalisten und einem Philosophen zu der Idee, slowakische Hilfe für die Ukraine per Crowdfunding zu finanzieren.
Die Initiative «Mier Ukrajine» (Frieden für die Ukraine) war geboren. Das gesammelte Geld fliesst direkt in die Munitionsbeschaffungs-Aktion der tschechischen Regierung.
Die Crowdfunding-Kampagne biete Menschen, die nicht der Meinung der Regierung seien, ein willkommenes Ventil, hält die BBC in ihrem Bericht fest. Und tatsächlich: Seit dem Start am vergangenen Dienstag haben fast 50'000 Slowakinnen und Slowaken an die 3 Millionen Euro gespendet.
Die Sammelaktion läuft unter dem Slogan «Wenn die Regierung nicht will, dann tun wir es» und wird gemäss Zuzana Izsakova, Firmenanwältin bei Siemens, Aktivistin und Mitinitiantin von «Frieden für die Ukraine», fortgesetzt.
Gemäss der tschechischen Regierung sind bis zu 1,5 Millionen Artillerie-Granaten auf dem Weltmarkt verfügbar. Und Otto Šimko erklärte gegenüber der BBC, er habe nicht gezögert, auf seine eigene Rente zurückzugreifen, um den Kampf der Ukraine gegen den Totalitarismus zu finanzieren.
Otto Šimko wurde am 1. Juni 1924 in der slowakischen Kleinstadt Topoľčany in der Familie eines angesehenen Anwalts und späteren Richters geboren. Sie waren Juden und erlebten ab 1939 und der Einführung einer ultranationalistische Einparteiendiktatur, wie ihre Mitbürger immer stärker in antisemitische und nazifreundliche Gefilde abdrifteten.
1942 wurde die Familie, mit Ausnahme des Vaters, der wegen der Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Partei bereits als politischer Gefangener inhaftiert war, in ein Deportationslager in Žilina transportiert. Ein Onkel rettete sie vor dem Tod in einem Vernichtungslager, indem er sie gerade noch rechtzeitig mit gefälschten Taufscheinen ausstattete.
Als im August 1944 der slowakische Nationalaufstand ausbrach, beteiligte sich Otto als Partisan an den Kämpfen, die von russischen Kommunisten angeführt wurden. Er wurde aber verhaftet und musste im Gefängnis eine Reihe brutaler Verhöre ertragen. Nur durch einen glücklichen Zufall konnte er der Abschiebung ins KZ durch Flucht entgehen.
Während eines bewachten Spitalaufenthalts, organisiert durch das Rote Kreuz, öffnete er unbemerkt ein Fenster und sprang heraus. Otto schaffte es in die Stadt Nitra, wo sich bereits seine Mutter und Grossmutter versteckten. Hier half ihm die Untergrundbewegung und bot ihm Unterschlupf.
Nach Kriegsende zog er nach Bratislava, wo er 1949 sein Jurastudium abschloss und eine Anstellung beim Staat erhielt, also der kommunistischen Tschechoslowakei.
Seine idealisierten Vorstellungen von der kommunistischen Herrschaft hielten sich allerdings nicht, wie aus Berichten zu seinem bewegten Leben hervorgeht. In der Zeit, als die Partei Scheinprozesse gegen Feinde durchführte, sei er als Jude und «politisch unzuverlässiger Mensch» seiner Funktion enthoben und zur Arbeit in einer Fabrik verbannt worden.
Er arbeitete als Drechsler und später als Lehrer in einem Lehrlingsheim sowie auch als Journalist. In den Beruf des Anwalts konnte er erst nach vielen Jahren zurückkehren, als er 1971 aus der Redaktion seiner Zeitung entlassen wurde.
Erst die «Sanfte Revolution» – also der Systemwechsel der Tschechoslowakei vom Realsozialismus zur Demokratie im Jahr 1989 – befreite ihn nach seinen eigenen Worten endgültig – und das sowohl innerlich als auch äusserlich.
2004 trat Otto Šimko der jüdischen Gemeinde an seinem Wohnort bei. Nicht etwa aus religiösen Gründen – er sei Atheist, erklärte er später in einem Interview. Seine Motivation sei vielmehr gewesen, jener Schicksalsgemeinschaft beizutreten, mit der er die gleiche Vergangenheit teile.
Vom Journalisten gefragt, wie er nach dem Horror des Holocausts weiterleben konnte, sagte er: «Niemand kann das Geschehene rückgängig machen und ich habe die Wahl. Entweder betrete ich das Licht eines neuen Tages oder ich versinke im Dunkel der Erinnerungen. Ich wähle Licht.»
Danke für diesen Bericht.