Elon Musk ist ausser Rand und Band: Wie ein Berserker arbeitet sich der reichste Mann der Welt momentan am politischen Establishment in Europa ab. Nachdem er Bundeskanzler Olaf Scholz und den britischen Premier Keir Starmer wahlweise als «unnützen Idioten» und «antidemokratischen Tyrann» betitelt hat, wird er am Donnerstag auf seiner Internet-Plattform «X» (ehemals Twitter) nachlegen.
Angekündigt ist ein ausgiebiges Live-Gespräch mit der AfD-Chefin Alice Weidel. Spätestens dann werden seine über 200 Millionen-Follower wissen, weshalb Musk die europaskeptische und putinfreundliche AfD für die einzige Partei hält, welche Deutschland noch vor dem Untergang retten könne, wie er es selbst ausdrückt. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl darf sich Weidel über die Gratis-Publicity freuen, was sie natürlich auch tut.
Nur noch 3 Tage! Am 9. Januar ab 19 Uhr findet der angekündigte Space mit Elon Musk und mir auf X statt.
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) January 6, 2025
Only 3 days to go: On January 9th at 1pm EST, the announced Space with Elon Musk and me will go live on X. pic.twitter.com/pbN1ah1Wse
Während sich Scholz im Berliner Kanzleramt demonstrativ gelassen zeigt, ist man andernorts weniger zurückhaltend. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Beispiel wirft Musk vor, eine neue Bewegung der «internationalen Reaktionären» zu befördern und sich direkt in die Wahlen in Europa einzumischen. Sein Aussenminister forderte die EU-Kommission am Mittwoch dazu auf, endlich aktiv zu werden. Gefragt, ob Musks Onlinedienst verboten werden sollte, wie es in Brasilien der Fall ist, antwortete Jean-Noël Barrot: «Das ist nach unseren Gesetzen möglich.»
Wird Brüssel also dem Duo Musk-Weidel den Stecker ziehen? Wohl kaum. Die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut in Europa, und wie jeder andere habe auch der Elon Musk das Recht, uneingeschränkt seine Gedanken zu äussern, so ein Sprecher der EU-Kommission. Dass er seine kontroversen Statements abfeuert und die AfD-Chefin interviewt, ist insofern völlig in Ordnung. Klar ist zudem auch: Elon Musk ist nicht die «ARD» und hat keinen öffentlichen Auftrag, auf seinem Profil allen Parteien einen Sendeplatz zu gewähren.
Allerdings heisst das nicht, dass alles entspannt wäre zwischen Brüssel und Musk. Im Gegenteil: Seit einem Jahr schon läuft eine EU-Untersuchung gegen «X» im Rahmen des neuen Gesetzes über die Digitalen Dienste (DSA). Es geht unter anderem um versteckte Werbung, Nutzertäuschung durch nicht verifizierte Konten mit «blauen Häkchen» oder illegale Inhalte wie Videos des Hamas-Massakers. Der wichtigste Teil dreht sich aber um die Algorithmen: Das sind jene geheimen Formeln, mit denen X entscheidet, welche Beiträge auf der Seite erscheinen.
Mittlerweile ist klar, dass Musk seit seiner Übernahme von X im Jahr 2022 kräftig an den Algorithmen geschraubt hat. Das fällt jedem auf, der die Plattform auch nur sporadisch nutzt. Am offenkundigsten zeigt es sich bei den Beiträgen von Musk selbst. Ungefragt werden einem diese in die Timeline transportiert, selbst wenn man dem 53-jährigen Multimilliardär nicht folgt. Das wird auch beim Weidel-Interview nicht anders sein. Dass Musk gerne mal Fake News oder zumindest an Desinformation grenzende Beiträge verbreitet, macht es nicht besser.
Musk selbst argumentiert mit der Meinungsfreiheit. Lässt sich aber beweisen, dass er X zu seiner persönlichen Propaganda-Maschine umfunktioniert hat und es systemische Mängel gibt, dürfte er ein Problem bekommen. Im schlimmsten Fall drohen Bussen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes, was bei Musks Tech-Imperium auch für den reichsten Mann der Welt schmerzhaft wird.
Warum also handelt die EU nicht, wenn die Untersuchung schon so weit fortgeschritten ist? Die Erklärung ist einfach, auch wenn sich in Brüssel niemand öffentlich dazu äussern will: In nicht einmal zwei Wochen wird Musk Teil der neuen US-Regierung sein und bei der EU-Kommission will man es um jeden Preis vermeiden, mit Präsident Donald Trump schon vor seinem Amtsantritt in Streit zu verfallen. Dafür gibt es dann noch genügend Gelegenheiten, wie zum Beispiel den angekündigten Zollkrieg wegen Trumps flächendeckenden 20-Prozent-Strafen gegen alle europäischen Produkte. Da ist es der EU doch lieber, wenn sie noch ein Ass im Ärmel hat.
Wo soll das alles enden?