International
Frankreich

Aufruf zur Freilassung des algerischen Schriftstellers Boualem Sansal

FILE - Algerian author Boualem Sansal, a members of the Jury, at the press conference speaks during the 62 edition of International Film Festival Berlinale, in Berlin Thursday, Feb. 9, 2012. (AP Photo ...
Boualem Sansal 2012 an der Berlinale.Bild: keystone

«Lebenslänglich für eine SMS»: Aufruf zur Freilassung des Schriftstellers Boualem Sansal

Eine algerische Nachrichtenagentur hat die Verhaftung des französisch-algerischen Schriftstellers Boualem Sansal am 16. November in Algier in einer scharf formulierten Meldung bestätigt. Literaturnobelpreisträger, aber auch Salman Rushdie, schliessen sich dem Aufruf des Goncourt-Preisträgers Kamel Daoud an, Sansals Freilassung zu fordern.
24.11.2024, 06:4624.11.2024, 13:51
Antoine Menusier / watson.ch/fr
Mehr «International»

Algérie Presse Service, die Nachrichtenagentur, die dem algerischen Informationsministerium untersteht, bestätigte am Freitagabend in einem in scharfem Ton gehaltenen Artikel, dass der 75-jährige französisch-algerische Schriftsteller Boualem Sansal am 16. November in Algier festgenommen worden sei. Die Agentur sprach nicht von einem Verschwinden, sondern von einer Festnahme.

«Die Verhaftung von Boualem Sansal, einem Pseudointellektuellen, der von der französischen extremen Rechten verehrt wird, hat die Profis der Empörung wachgerüttelt», schreibt die Agentur auf ihrer Internetseite. «Die komische Aufregung eines Teils der französischen politischen und intellektuellen Klasse über den Fall Boualem Sansal ist ein weiterer Beweis für die Existenz einer hasserfüllten Strömung gegen Algerien», fügte sie hinzu.

«Das makronito-zionistische Frankreich»

«Das makronito-zionistische Frankreich, das sich über die Verhaftung Sansals empört, hat der Welt immer noch nicht erklärt, ob es die nötige Souveränität besitzt, um Benjamin Netanjahu verhaften zu können, sollte er jemals am Flughafen Charles De Gaulle auftauchen», fährt Algérie Presse Service fort und bezieht sich auf den Haftbefehl, den der Internationale Strafgerichtshof gegen den israelischen Premierminister ausgestellt hat.

Im folgenden Beitrag des algerischen Staatsfernsehens über die Verhaftung von Boualem Sansal erinnert der Tonfall an den des russischen Fernsehens, das über den Westen spricht, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht:

Hintergrund der Verhaftung könnte der Konflikt um die Westsahara sein: Ende Oktober hat Paris – sehr zum Missfallen Algiers – die marokkanische Souveränität über das zwischen Marokko und Mauretanien gelegene Gebiet anerkannt.

Laut «Le Monde» hat Boualem Sansal kürzlich in einem Interview «mit dem rechtsextremen französischen Medium ‹Frontières› (...) die marokkanische Version eines Königreichs übernommen, das vom kolonialen Frankreich des 19. Jahrhunderts um einen Teil seiner Gebiete zugunsten dessen beschnitten wurde, was viele Jahrzehnte später nach einem schrecklichen Unabhängigkeitskrieg Algerien werden sollte». In ihrem Leitartikel schreibt die französische Tageszeitung:

«Die noch bestehenden Streitigkeiten sind eine Angelegenheit der Staaten, ihrer Interessen und nur ihrer Interessen. Kein Einzelner darf zur Geisel werden.»
«Le Monde»

Der Aufruf von Kamel Daoud und Nobelpreisträgern

In Frankreich und anderswo wächst die Solidarität mit dem algerischen Schriftsteller, der in diesem Jahr auch die französische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Nobelpreisträger für Literatur mobilisieren sich für Boualem Sansal, heisst es auf der Website von «Le Point». «Die Literaturnobelpreisträger Annie Ernaux, Jean-Marie Le Clezio, Orhan Pamuk und Wole Soyinka sowie Salman Rushdie, Peter Sloterdijk, Andreï Kourkov, Roberto Saviano, Giuliano da Empoli und Alaa el Aswany schliessen sich unserem von Goncourt-Preisträger Kamel Daoud initiierten Solidaritätsaufruf an und fordern seine sofortige Freilassung.»

Der französisch-algerische Schriftsteller Kamel Daoud erhielt 2024 mit «Houris» – einem Roman, der sich mit den Schrecken des algerischen Bürgerkriegs in den 1990er Jahren auseinandersetzt – den Goncourt-Preis, da das Buch in Algerien verboten ist und sein Autor vom Regime verunglimpft wird. Daoud schreibt in einem von «Le Point» veröffentlichten Aufruf unter anderem:

«Heute wende ich mich mit tiefer Besorgnis an Sie. Mein Freund, der algerische Schriftsteller Boualem Sansal, wurde am Samstag, dem 16. November, verhaftet. Diese tragische Nachricht spiegelt eine alarmierende Realität in Algerien wider, wo die Meinungsfreiheit angesichts von Repressionen, Inhaftierungen und der Überwachung der gesamten Gesellschaft nur noch eine Erinnerung ist.»
Kamel Daoud

«Alles ist möglich: Lebenslänglich für eine SMS ...»

«Jetzt ist alles möglich: Lebenslänglich für eine SMS, Gefängnis für einen genervten Seufzer. Sansal sieht aus wie ein alter, lächelnder biblischer Prophet. Er provoziert Leidenschaften und Freundschaften ebenso wie den Hass der Unterwürfigen und Eifersüchtigen.»
Kamel Daoud
«Boualem Sansal, der für seinen Mut und sein Engagement bekannt ist, war stets eine kritische Stimme gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und den islamistischen Totalitarismus. In Algerien leben Schriftsteller und Intellektuelle, Verleger und Buchhändler in Angst vor Repressalien, Spionagevorwürfen und willkürlichen Verhaftungen, Gerichtsverfahren und Verleumdungen sowie gewalttätigen Medienangriffen auf ihre Mitarbeiter und Angehörigen.»
Kamel Daoud

Mit der Verhaftung von Boualem Sansal scheint Algerien eine Kraftprobe mit Frankreich anzustreben. Mit welchen Ergebnissen?

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Top Ten der am meisten angefochtenen Bücher in den USA 2020
1 / 12
Top Ten der am meisten angefochtenen Bücher in den USA 2020
«George» von Alex Gino
Der Roman ist für Kinder geschrieben und erzählt die Geschichte des trans Mädchens Melissa. Melissa wurde bei der Geburt als Junge eingestuft und George genannt. Dem Buch des genderqueeren Autors Alex Gino wird vorgeworfen, es verletze religiöse Gefühle, missachte traditionelle Familien-Werte und sei nicht kindgerecht. (bild: orellfüssli)
quelle: orellfüssli
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Tausende Menschen stranden zwischen Algerien und dem Niger
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Jimmy Dean
24.11.2024 09:29registriert Juli 2015
“Das makronito-zionistische Frankreich, das sich über die Verhaftung Sansals empört, hat der Welt immer noch nicht erklärt, ob es die nötige Souveränität besitzt, um Benjamin Netanjahu verhaften zu können”

absolut mentale Gymnastik wie man von einem Schriftsteller und einem Disput über ein Stück Wüste zu dieser Konklusion kommt. Das ist nicht mal mehr Whataboutism, bravo 🤦🏼‍♂️
287
Melden
Zum Kommentar
3
    Aktivisten: 16 Tote bei schweren Angriffen in Syrien

    Bei einer Reihe von Angriffen auf Sicherheitskräfte in Syrien sind Menschenrechtsaktivisten zufolge mindestens 16 Menschen getötet worden. Es seien die schwersten Angriffe gegen Sicherheitskräfte seit dem Sturz des früheren Machthabers Baschar al-Assad im Dezember, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit.

    Zur Story