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Darum schlägt Marokkos König Erdbebenhilfe aus

20th Anniversary Of Accession Of King Mohamed VI Handout - King Mohammed VI of Morocco accompanied by Crown Prince Moulay El Hassan attends the ceremony of the 20th anniversary of the sovereign s acce ...
König Mohamed VI. von Marokko. (Archivbild)Bild: www.imago-images.de

Nationalstolz und ein Stück Wüste – darum schlägt Marokkos König Erdbebenhilfe aus

Als «Bruderland» wollte Frankreich den Opfern des marokkanischen Erdbebens zu Hilfe eilen. König Mohamed VI. lehnt aber dankend ab. Es ist ein Fall von Nationalstolz – und nationaler Demütigung.
12.09.2023, 15:1612.09.2023, 16:45
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Mental liegt Frankreich näher denn je bei Marokko: Seit dem jüngsten Erdbeben berichten Pariser Fernsehstationen live und teils rund um die Uhr über die Katastrophe; alle Hilfswerke, dazu auch Städte, Departemente und Regionen sammeln Geld für die «solidarité Maroc». Die Regierung in Paris hat fünf Millionen Euro bereitgestellt. Sie mobilisierte Rettungsteams mit Spürhunden und viel Medizin.

Nur: Gestartet sind sie bis heute nicht. Marokko hat die Angebote Grossbritanniens, Spaniens, Katars und der Vereinigten Arabischen Emirate angenommen – nicht aber von Frankreich, mit dem das ehemalige Protektorat Geschichte, Sprache und zum Teil auch Kultur teilt. Rettungshelfer, die am Samstag im Nu von Paris aus gestartet waren, bleiben in Marrakesch stecken.

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Nach dem Erdbeben in Marrakesch. Bild: keystone

Bruderländer im Clinch

Warum diese absurde Situation? Politisch liegt Marokko heute Lichtjahre von Frankreich entfernt. Zwischen den zwei «Bruderländern», wie sie der aus dem Maghreb stammende Innenminister Gérald Darmanin nennt, herrscht seit Monaten Eiszeit. Der franko-marokkanische Journalist Mustapha Tossa erklärte, schuld sei in erster Linie die Weigerung Frankreichs, die Westsahara als marokkanisches Staatsgebiet zu akzeptieren.

Hintergrund Westsahara
1976 entliess Spanien die Kolonie Westsahara in die Unabhängigkeit. Die Befreiungsbewegung der Sahrauis – die Frente Polisario – rief darauf die Demokratische Arabische Republik Sahara aus. Nach dem Abzug der Spanier besetzten jedoch Marokko und Mauretanien die Westsahara und teilten sich das Gebiet auf. 1979 zog sich Mauretanien aus der Westsahara zurück, worauf Marokko auch diesen Teil besetzte – gegen den Widerstand der Frente Polisario. Seit dem Waffenstillstand von 1991 kontrolliert diese einen Streifen im Osten und Süden des Gebiets; Marokko hat einen über 3000 km langen Wall errichtet, um die Sahrauis aus seiner Zone fernzuhalten. Die Republik Westsahara ist von etwa 80 Staaten anerkannt worden, von denen aber rund 30 die Anerkennung zurückgezogen oder suspendiert haben. (dhr)

Mehrere Länder wie Spanien haben die seit Jahrzehnten umstrittene Wüstenregion als marokkanisch akzeptiert. Paris liegt eher auf der Linie Algeriens, das die Westsahara Marokko streitig macht. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs setzt Präsident Emmanuel Macron noch stärker als bisher auf die algerische Karte, um auch Öl- und Gaslieferungen zu gewährleisten.

Demokratische Arabische Republik Sahara, Westsahara
Bild: Shutterstock

Macron hatte die Marokkaner schon 2022 verärgert, als er die Zahl der Visa halbierte. Das sorgte für viel Unmut in einem Land, wo die arme Bevölkerung meist nur einen Weg zu mehr Wohlstand kennt - Frankreich. Französische Touristen können dagegen nach wie vor ohne Visum nach Marokko einreisen.

Der marokkanische König Mohamed VI. hat deshalb seinen Botschafter in Paris im Januar zurückberufen. Zudem ärgerte er sich dem Vernehmen nach über ein Video, in dem er womöglich betrunken im nächtlichen Paris zu sehen ist - obwohl er als guter Muslim keinen Alkohol trinken sollte. Die marokkanischen Zeitungen berichteten keine Zeile darüber, doch via französische soziale Medien erfuhren es die Untertanen des Königs trotzdem.

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Die verzweifelte Suche nach Überlebenden.Bild: keystone
epa10852707 A group of young men set up a makeshift camp at an open area in Moulay Brahim, south of Marrakesh, Morocco, 10 September 2023, following a powerful earthquake. A magnitude 6.8 earthquake t ...
Notdürftige Unterkünfte nach dem Erdbeben.Bild: keystone

Von einer Pariser Zeitung erfuhren sie zudem am Samstag, dass sich ihr König in Frankreich wegen einer Immunkrankheit hatte pflegen lassen - um nach dem Beben in aller Hast nach Rabat zurückzujetten und dort eine vom Fernsehen übertragene Krisensitzung zu inszenieren. Nun wissen die Marokkaner, warum sich ihr König fast einen Tag lang nicht über das Beben geäussert hatte.

All dies soll Mohamed so erbost haben, dass er die Franzosen nun mit seiner Ausladung bewusst zu demütigen suchte. Die französische Regierung versucht ihr Unverständnis über die Haltung des Königs zu verhehlen. Minister Darmanin bestritt wider besseres Wissen, dass in dieser Affäre «politische Gründe» mitspielten. Aussenministerin Catherine Colonna meinte ihrerseits, Marokko sei ein souveränes Land. Frankreich stehe weiter zur Verfügung, um Hilfe zu leisten. Die Ministerin nannte es einen «deplatzierten Streit».

Beidseits spielen Gefühle von Nationalstolz und zugleich von nationaler Demütigung hinein: In Marokko stört man sich daran, dass Frankreich zuerst gar nicht erst fragte, ob seine Hilfe erwünscht sei. Die Franzosen wiederum sind eingeschnappt, weil Rabat nicht sie zu Hilfe holt, sondern ausgerechnet die Briten, mit denen Paris unter anderem auch seit Kolonialzeiten eine tiefgehende Rivalität verbindet.

Das Resultat ist auf jeden Fall gravierend. In Marokko sind wohl Zehntausende von Bewohnern entlegener, jetzt abgeschnittener Dörfer seit drei Tagen ohne jede Hilfe. Dabei sind die ersten 72 Stunden nach einem Beben aber absolut ausschlaggebend – nachher kommt die Hilfe zu spät.

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47 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Magnum
12.09.2023 15:32registriert Februar 2015
Wer aus falsch verstandenem Stolz und politischen Gründen in einer nationalen Notlage internationale Hilfe ausschlägt, lässt die eigene Bevölkerung im Stich. Schande über diesen Monarchen.
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conszul
12.09.2023 15:40registriert August 2014
Ob dieser falsche Nationalstolz für den Monarchen gut ausgeht? Was passiert wohl, wenn die stark vom Erdbeben betroffene Bevölkerung von abgewiesenen Hilfsangeboten und gleichzeitig nicht erfolgte Hilfe vom eigenen Staat erfährt?
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El Mussol
12.09.2023 16:01registriert Mai 2023
"Wer nicht will, der hat schon.", sagt man wohl dazu.
Leider geht's mal wieder zu Lasten der Bürger. 😔
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