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Gesellschaft & Politik

Proteste in Ecuador: Eine Chronologie der Eskalation

Ecuador wird von massiven Protesten durchgeschüttelt – eine Chronologie der Eskalation

Ein Aufruf einer indigenen Organisation hat in Ecuador eine massive Protestwelle ausgelöst, der sich auch Gewerkschaften und Studierende angeschlossen haben. Seit über zwei Wochen wird bereits protestiert. Eine Chronologie der Eskalation.
29.06.2022, 19:25
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13. Juni

Ausgebrochen sind die Proteste in Ecuador am 13. Juni. Auslöser war ein Aufruf der mächtigen Dachorganisation für indigene Gruppen des südamerikanischen Landes. Conaie (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador, auf Deutsch: Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors) hat aufgrund der ansteigenden Lebensmittel- und Energiepreise zum Widerstand aufgerufen. Die Treibstoffpreise haben sich seit 2020 fast verdoppelt. Die Indigenen stellen 10 konkrete Forderungen an die Regierung – darunter eine Senkung der Treibstoffpreise, eine Kontrolle der Lebensmittelpreise sowie den Stopp von Bergbau auf indigenen Territorien.

Indigenous Leader Leonidas Iza,center, talks with protesters at a blockade point during a national protest against the government of Guillermo Lasso called mainly by indigenous organizations in Cotopa ...
Der Anführer von Conaie: Leonidas Iza.Bild: keystone

Gemäss Angaben den Behörden folgen dem Aufruf 3800 Personen, wobei diverse Strassen blockiert werden. Auch der Anführer der Conaie, Leonidas Iza, nimmt daran teil.

epa10011764 Ecuadorian indigenous people close the main entrance road to Quito as part of a national day of mobilization in the Chasqui sector, Cotopaxi province, Ecuador, 13 June 2022. A partial clos ...
Indigene blockieren die Hauptstrasse, die in die Hauptstadt Quito führt.Bild: keystone

Der seit einem Jahr amtierende ecuadorianische Präsident Guillermo warnt, dass er die Übernahme von Strassen und Ölplantagen im Amazonas durch Protestierende nicht dulden werde.

Vergangene Proteste indigener Gruppen
Proteste indigener Gruppen hatten zwischen 1997 und 2005 zum vorzeitigen Ende von drei Regierungen in Ecuador beigetragen. Auch im Oktober 2019 kam es zu landesweiten Protesten, die sich gegen die Wirtschaftspolitik des damalig amtierenden Präsidenten Lenin Moreno richteten. Zudem forderten sie die Wiederaufnahme der abgesetzten Benzinsubvention. Nach Protesten vom 2. bis 13. Oktober wurde die Benzinsubvention wieder aufgenommen.

14. Juni

Lenonidas Iza wird wegen Verdachts auf «Sabotage» festgenommen, was die Indigenen erst recht auf Strasse treibt. Die Proteste werden in mindestens 11 der 24 ecuadorianischen Provinzen weitergeführt.

epa10013783 A young man attacks a police car during protests against the Government of Guillermo Lasso, in Quito, Ecuador, 14 June 2022. University students demonstrated outside a Unit of the Prosecut ...
In Quito marschierten Indigene, um gegen die Festnahme Izas zu protestieren.Bild: keystone

In Quito versammelten sich Indigene vor dem Büro der Staatsanwaltschaft, um die Freiheit Izas zu fordern.

Protesters shout outside the Flagrancia Unit of the Prosecutor's Office during a protest demanding the freedom of Indigenous leader Leonidas Iza who was arrested at dawn after calling for protest ...
Zwei indigene Frauen verlangen die Freiheit Izas.Bild: keystone

15. Juni

Iza wird freigelassen. Ihm wird vorgeworfen, den öffentlichen Verkehr lahmgelegt zu haben.

epa10015274 Young people march against the Government of Guillermo Lasso, in Quito, Ecuador, 15 June 2022. The national strike called by the indigenous movement against the economic policy of the Gove ...
Hauptsächlich Studierende marschieren am 15. Juni durch die Strassen der ecuadorianischen Hauptstadt.Bild: keystone

Die Protestbewegung wächst schnell an. Sowohl Studierende auch als andere unzufriedene Gruppen schliessen sich den Indigenen an.

Demonstrators clash with police during protests against the economic policies of President Guillermo Lasso, near the government palace in Quito, Ecuador, Wednesday, June 15, 2022. (AP Photo/Dolores Oc ...
In der Nähe des Regierungspalastes kam es zu Zusammenstössen mit der Polizei, wobei diese Tränengas einsetzte.Bild: keystone

16. Juni

Erneut wird die Hauptstrasse in Richtung Quito blockiert, wofür brennende Pneus, Baumstämme und Steine verwendet werden. Auch in 14 weiteren Provinzen kommt es zu Strassenblockaden.

A man burns tires during a march against the government of Guillermo Lasso called mainly by Indigenous organizations, in Quito, Ecuador, Thursday, June 16, 2022.(AP Photo/Dolores Ochoa)
Bild: keystone

Ecuadorianische Bürger, Studierende, Gewerkschafter und Mitglieder diverser sozialer Gruppen ziehen in das historische Zentrum von Quito, um weiter zu protestieren.

epa10017400 People protest against the Government of Guillermo Lasso, during protests against the Government of Guillermo Lasso, in Quito, Ecuador, 16 June 2022. Ecuadorian citizens, students, trade u ...
Bild: keystone

17. Juni

Präsident Lasso trifft sich mit Anführenden indigener Gruppen. Er kündigt eine kleine Erhöhung der monatlichen Subvention für die Ärmsten in Ecuador an. Zudem sollen armen Familien die Schulden erlassen werden. Damit erfüllt er allerdings nur einen Bruchteil der Forderungen der Indigenen, weshalb diese weiter protestieren. Als Reaktion darauf ruft Lasso in drei Provinzen den Ausnahmezustand aus. Dabei wird die Vereinigungs-, Versammlungs- und Transitfreiheit für 30 Tage ausgesetzt.

epa10019413 Demonstrators play folk music during a protest against the Government of Guillermo Lasso, in Quito, Ecuador, 17 June 2022. A large march of students, unions, and peasants once again marche ...
Demonstrierende spielen auf den Strassen Quitos traditionelle Volksmusik.Bild: keystone

Mit dem Ausnahmezustand erklärte Lasso zudem den Stadtbezirk Quito zur «Sicherheitszone» und unterstellt sie den Streitkräften.

18. Juni

Die Strassenblockaden gehen nicht spurlos an Ecuadors Wirtschaft vorbei. Blumen – eines der wichtigsten Exportgüter Ecuadors – verrotten aufgrund der Strassensperren, klagen die Produzenten. Auch die Ölproduktion leidet massiv, was für die Regierung mit grossen Verlusten einhergeht.

epa10021462 Ecuadorian soldiers patrol near the Government Palace in Quito, Ecuador, 18 June 2022. President Guillermo Lasso declared a state of emergency in the provinces of Imbabura, Pichincha, whos ...
Soldaten patrouilleren vor dem Regierungspalast.Bild: keystone

19. Juni

Die Proteste reissen auch am siebten Tag nicht ab. Tausende von Menschen ziehen durch die Strassen Quitos.

Indigenous protesters arrive to Quito to demonstrate in the capital against the economic policies of the government of President Guillermo Lasso, in Quito, Ecuador, Sunday, June 19, 2022. (AP Photo/Do ...
Bild: keystone

20. Juni

Lasso weitet den Ausnahmezustand auf sechs Provinzen aus. Er wirft den Protestierenden vor, nur Chaos und seine Absetzung zum Ziel zu haben.

Demonstrators ride trucks as they arrive to the capital to protest against the government of President Guillermo Lasso, in Quito, Ecuador, Monday, June 20, 2022. (AP Photo/Dolores Ochoa)
Protestierende reisen mit Trucks in die Hauptstadt ein, um zu protestieren.Bild: keystone

Tausende von Protestierenden marschieren friedlich in Richtung des Stadtzentrums von Quito.

epa10024751 Indigenous people who are part of the protests against the Government of President Guillermo Lasso, enter Quito, Ecuador 20 June 2022. Thousands of Indigenous people have begun to arrive i ...
Montagnacht trafen Tausende von Indigenen in der Hauptstadt ein.Bild: keystone

21. Juni

Am achten Protesttag versuchen rund 500 Indigene, das Haus der Ecuadorianischen Kultur zu besetzen, wie die Zeitung «El Universo» berichtete. Die Generalstaatsanwaltschaft teilt mit, ihr Hauptsitz sei angegriffen worden. Die Polizei feuert Tränengas in die Menge, Sicherheitskräfte beschlagnahmen Brandsätze, Schilder und Speere.

Demonstrators protest against the government of President Guillermo Lasso in Quito, Ecuador, Tuesday, June 21, 2022. (AP Photo/Dolores Ochoa)
Proteste am 21. Juni in Quito.Bild: keystone

«Die Streitkräfte werden nicht zulassen, dass die verfassungsmässige Ordnung verletzt wird», sagt Verteidigungsminister Luis Lara. «Soziale Proteste sind legitim, solange sie die Rechte der Mehrheit der Bürger auf ein Leben in Frieden nicht gefährden.»

epa10026827 Demonstrators stand in front of riot police, on the streets of Quito, Ecuador, 21 June 2022. The center of Quito was the scene of new disturbances due to clashes between protesters and pol ...
Erneut blockierten Protestierende Strassen in der Hauptstadt.Bild: keystone

In Puyo, einer Stadt im Amazonas, stirbt ein Demonstrant bei Zusammenstössen mit der Polizei. Gemäss Anwälten und Anwältinnen von Menschenrechtsorganisationen sei er von einer Tränengasbombe im Gesicht getroffen worden. Die Polizei widerspricht. Er sei gestorben, weil er mit einem explosiven Gerät hantiert habe.

22. Juni

Der Tod des Demonstranten schürt die Wut der Indigenen noch mehr. In Puyo zünden Demonstrierende eine Polizeistation an und zerstören eine Bank.

Noch am selben Tag marschierten Protestierende friedlich durch die Altstadt Quitos.

epa10028500 Demonstrators carry out a peaceful march, during the tenth day of indigenous mobilizations, in the historic center of Quito, Ecuador, 22 June 2022. Among the demands of the protesters are  ...
Bild: keystone

23. Juni

Trotz der Repression durch die Polizei wächst die Protestbewegung immer weiter an.

24. Juni

Al Jazeera fragt die Protestierenden vor Ort nach ihren Motiven. Seit Lasso an der Macht sei, seien sämtliche Preise gestiegen, sagt eine Person. Das Problem: Die Löhne seien gleich geblieben.

Eine weitere Person klagt über ausfallende Ernten als Konsequenz der steigenden Preise:

«Dünger war früher beispielsweise 15 oder 20 Dollar wert, jetzt kostet er bis zu 50 oder 40 Dollar. Manchmal haben wir alles verloren [die gesamte Ernte]. Wir ernten also nichts mehr.»

Die indigenen Gruppen leiden noch immer unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, die sie besonders hart getroffen hat.

25. Juni

Am zwölften Tag der Proteste wirft Präsident Guillermo Lasso den indigenen Gruppen einen Putschversuch vor. «Die wahre Absicht des Herrn Iza ist der Sturz der Regierung», sagt Lasso am Freitag in einer Video-Ansprache über den Chef des Indigenen-Verbands Conaie, Leonidas Iza.

Indigenous women and students rally to show their support for the recent protests and national strike against the government of President Guillermo Lasso, outside the Central University, in Quito, Ecu ...
Indigene Frauen und Studierende protestieren vor der Zentraluniversität in Quito.Bild: keystone

«Die Nationalpolizei und die Streitkräfte werden die erforderlichen Mittel ergreifen, um innerhalb des gesetzlichen Rahmens durch schrittweise Gewaltanwendung die öffentliche Ordnung und die Demokratie zu verteidigen.»

Kurz nach seiner Rede liefern sich tausende Demonstranten nahe dem Kongressgebäude in Quito erneut Zusammenstösse mit der Polizei. Teile der Opposition drängen auf die Absetzung Lassos.

26. Juni

Das Parlament berät über einen Misstrauensantrag gegen Präsident Guillermo Lasso. Beantragt hat die Sitzung die Opposition.

Sie will über Lassos Umgang mit der «ernsten politischen Krise und den inneren Unruhen» in dem südamerikanischen Land debattieren.

Das Misstrauensvotum
Für ein Misstrauensvotum gegen Lasso wären 92 Stimmen im 137 Sitze zählenden Parlament nötig, in dem die Opposition die Mehrheit stellt. Nach dem Ende der Parlamentsdebatte haben die Abgeordneten 72 Stunden Zeit, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Sollten sie für Lassos Abwahl stimmen, würde dessen Stellvertreter Alfredo Borrero übergangsweise dessen Amt übernehmen und Neuwahlen einberufen.

Am selben Tag spricht Lasso mit indigenen Anführenden und hebt den Ausnahmezustand in den sechs Provinzen wieder auf.

27. Juni

Die Proteste haben Lassos ohnehin schon gespaltene Beziehung zur Nationalversammlung weiter verschlechtert. Abgeordnete der oppositionellen Unes-Bewegung (Union für Hoffnung) des linken Ex-Präsidenten Rafael Correa forderten auf Twitter, die für 2025 angesetzten Wahlen vorzuverlegen. Derweil wird in Ecuador zum 14. Tag in Folge protestiert.

Indigenous protesters march to the Basilica del Voto Nacional where they expect dialogue with the government to take place in downtown Quito, Ecuador, Monday, June 27, 2022. Ecuadorian President Guill ...
Bild: keystone

«Das Land kann es nicht mehr ertragen», sagte der Unes-Gesetzgeber Fausto Jarrin. Jarrin forderte die Legislative förmlich auf, eine Debatte über das Absetzungsverfahren einzuberufen. «Der Dialog wird von allen Seiten mit Gewalt unterbrochen.» Andere Oppositionsvertreter winkten jedoch vorerst ab.

28. Juni

Am Dienstag wird schliesslich über das Misstrauensvotum abgestimmt – und das aufgrund technischer Probleme gleich dreimal. Am späten Dienstag steht das Resultat schliesslich fest: 80 Abgeordnete stimmten für die Absetzung Lassos – 12 Stimmen zu wenig.

epa09939651 President Guillermo Lasso of the Republic of Ecuador visits the Yad Vashem Holocaust Memorial Museum in Jerusalem, Israel, 11 May 2022. Lasso is on a three-days visit to Israel. EPA/ATEF S ...
Guillermo Lasso übersteht das Misstrauensvotum.Bild: keystone

Lasso bleibt im Amt und gibt bekannt, nicht mehr mit Iza verhandeln zu wollen. Er fällt den Entscheid, nachdem ein Soldat bei einer Attacke auf einen Öl-Konvoi getötet wurde. Er bleibe offen für einen Dialog, aber nicht mit Iza:

«Wir werden nicht zum Dialog mit Leonidas Iza zurückkehren, welcher nur seine eigenen politischen Interessen und nicht diejenigen seiner Basis vertritt.»

Die Regierung sei schon grosse Kompromisse eingegangen, so Lasso. Man habe die Benzinpreise gesenkt, Schulden erlassen sowie Subventionen für Düngemittel zugestimmt. Doch Iza bleibt hart: Die Zugeständnisse gehen ihm nicht weit genug. Auch er wolle sich auf einen Dialog konzentrieren und bis dahin friedliche Proteste fortführen.

epa10039855 The president of the Confederation of Indigenous Nationalities of Ecuador (Conaie), Leonidas Iza (C), is seen at the Basilica of the National Vote after the announcement of the suspension  ...
Bild: keystone

Seit Beginn der Proteste sind mindestens vier Protestierende ums Leben gekommen, 100 weitere haben sich verletzt. Menschenrechtsgruppen äussern Besorgnis über das brutale Vorgehen der Polizei. Die Proteste haben die Hauptstadt praktisch zu einem Stillstand gebracht und ein Ende ist noch immer nicht in Sicht. (saw)

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