Während in Mitteleuropa darüber diskutiert wird, ob sich ein Boykott der Fussball-WM in Katar lohnt, tobt in Südamerika ein hitziger Rechtsstreit über die Teilnahme. Chile, das die WM-Qualifikation auf Rang 7 in der CONMEBOL-Qualifikation relativ deutlich verpasst hat, fordert Sanktionen gegen Ecuador, das auf Rang 4 den direkten Sprung an die WM gerade noch so geschafft hat. Medienberichte lassen die Vermutung aufkommen, dass die Chilenen von der FIFA recht erhalten.
Chile wirft Ecuador vor, in gewissen Qualifikationsspielen einen Spieler eingesetzt zu haben, der nicht für die ecuadorianische Nationalmannschaft spielberechtigt gewesen wäre. Rechtsverteidiger Byron David Castillo Segura (23) soll den Vorwürfen nach nämlich nicht nur drei Jahre älter sein als offiziell angegeben, sondern auch in Kolumbien geboren.
Castillo soll demnach aus Tumaco, Kolumbien, stammen und in den letzten Jahren einen gefälschten Pass und eine gefälschte Geburtsurkunde benutzt haben. Der chilenische Verband hat als Beweismittel die seiner Meinung nach echte Geburtsurkunde für einen Bayron Javier Castillo bei der FIFA eingereicht. Der Fussball-Weltverband eröffnete daraufhin eine offizielle Untersuchung.
Der Verteidiger absolvierte in der WM-Qualifikation acht Spiele für Ecuador. In diesen holte die Mannschaft 15 von ihren 26 Punkten. Chile hofft, dass Ecuador alle Punkte aus den Spielen, in denen es Castillo eingesetzt hat, verliert.
Der Fussballverband Ecuadors weist die chilenischen Vorwürfe zurück. Man sei sich der Geburtsurkunde von Bayron Javier Castillo bewusst. Dabei handle es sich aber um den älteren Bruder von Byron David Castillo Segura, der mittlerweile verstorben sei.
Castillo hat mit der öffentlichen Schlammschlacht um seine Person zu kämpfen. Als der Verteidiger bei einem Ligaspiel für seinen Klub Barcelona Guayaquil einen Penalty verursachte, brach er in Tränen aus und bat um eine Auswechslung. Der Klub versprach, für psychologische Hilfe zu sorgen.
Es ist allerdings auch nicht das erste Mal, dass Diskussionen um die Angaben des 23-Jährigen auftauchen. 2015 lehnte Emelec, ein Klub aus der ersten Liga Ecuadors, eine Leihe von Castillo ab und begründete dies mit Unregelmässigkeiten in den Papieren des Spielers. 2017 wurde er kurz vor dem Start der U20-WM aus dem Kader Ecuadors gestrichen und wieder waren ähnliche Unregelmässigkeiten die Gründe.
Es wird erwartet, dass die FIFA morgen Freitag das Urteil im Fall Castillo bekannt gibt.
Glaubt man einem Bericht des mexikanischen TV-Senders TV Azteca, soll Chile gute Chancen haben, den Fall zu gewinnen. Eduardo Carlezzo, der Anwalt des chilenischen Verbands, gibt sich auf jeden Fall siegessicher: «Die Ermittlungen haben ergeben, dass die Geburtsurkunde von Byron Castillo falsch ist.» Allerdings scheint der Bericht nicht über alle Zweifel erhaben zu sein.
Sollte die FIFA Chiles Beschwerde nicht recht geben, bleibt alles, wie es ist. Falls der Weltverband aber Ecuador tatsächlich bestraft, könnte es verschiedene Szenarien geben:
Wenn die FIFA entscheidet, alle Spiele Ecuadors, bei denen Castillo gespielt hat, als Format-Niederlage zu werten, würde Chile profitieren. Denn die Chilenen haben aus zwei Spielen gegen Ecuador mit Castillo nur einen Punkt geholt, während der Verteidiger gegen Kolumbien und Peru nicht zum Einsatz kam. So würde Chile mit fünf zusätzlichen Punkten und einem aufgebesserten Torverhältnis auf den vierten Platz vorrücken und sich direkt für die WM qualifizieren. Peru müsste als fünftbestes Team Südamerikas weiterhin die WM-Playoffs gegen Australien bestreiten.
Falls sich die FIFA dazu entscheidet, Ecuador gänzlich aus der Wertung zu nehmen, könnten Peru und Kolumbien profitieren. Peru würde vom fünften auf den vierten Rang vorstossen und sich direkt für die WM qualifizieren. Kolumbien wäre neu auf dem fünften Platz zu finden und könnte so die WM-Playoffs gegen Australien bestreiten.
Diese Variante käme allerdings mit grossen logistischen Herausforderungen. Die Partie gegen Australien ist für Montagabend (21 Uhr) geplant. Ob sich Kolumbien in derart kurzer Zeit auf ein so wichtiges Spiel vorbereiten könnte, ist fraglich.
Diese Variante wurde bereits diskutiert, als die Meldung von Chiles Protest erstmals die Runde machte. Die FIFA könnte auch entscheiden, die Kontingente der Kontinentalverbände zu ignorieren und bei einem kurzfristigen Ausschluss Ecuadors einfach das beste nicht für die WM qualifizierte Team nachnominieren. Das wäre in diesem Fall Italien, das einmal mehr in der Qualifikation hängen geblieben ist. Diese Variante gilt aber als am unwahrscheinlichsten.
Eine Disqualifikation oder ein Verpassen einer WM aufgrund Forfait-Niederlagen wäre grundsätzlich kein Novum. In der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1990 verletzte sich Chiles Goalie Roberto Rojas mit einer Rasierklinge absichtlich selbst. Seine Mannschaft weigerte sich daraufhin wegen «Sorgen um die eigene Sicherheit» weiterzuspielen. Als der Betrug aufflog, wurde das Spiel als Forfait-Niederlage Chiles gewertet. So verpasste das Land die WM 1990 und wurde für das Turnier 1994 disqualifiziert.
Und erst gerade wurden sämtliche Teams Russlands wegen des russischen Kriegs in der Ukraine aus sämtlichen Wettbewerben der FIFA und der UEFA disqualifiziert. Bei der Europameisterschaft 1992 war Jugoslawien als Teilnehmer gesetzt, wurde dann aber wegen der Jugoslawienkriege kurzfristig ausgeschlossen. Die Mannschaft wurde von Dänemark ersetzt, welches dann prompt Europameister wurde.
Niemand kann etwas dafür wo er/sie herkommt, was man daraus macht ist doch das wichtigste.
Sag nein zu Katar.