Ausgebrochen sind die Proteste in Ecuador am 13. Juni. Auslöser war ein Aufruf der mächtigen Dachorganisation für indigene Gruppen des südamerikanischen Landes. Conaie (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador, auf Deutsch: Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors) hat aufgrund der ansteigenden Lebensmittel- und Energiepreise zum Widerstand aufgerufen. Die Treibstoffpreise haben sich seit 2020 fast verdoppelt. Die Indigenen stellen 10 konkrete Forderungen an die Regierung – darunter eine Senkung der Treibstoffpreise, eine Kontrolle der Lebensmittelpreise sowie den Stopp von Bergbau auf indigenen Territorien.
Gemäss Angaben den Behörden folgen dem Aufruf 3800 Personen, wobei diverse Strassen blockiert werden. Auch der Anführer der Conaie, Leonidas Iza, nimmt daran teil.
Der seit einem Jahr amtierende ecuadorianische Präsident Guillermo warnt, dass er die Übernahme von Strassen und Ölplantagen im Amazonas durch Protestierende nicht dulden werde.
Lenonidas Iza wird wegen Verdachts auf «Sabotage» festgenommen, was die Indigenen erst recht auf Strasse treibt. Die Proteste werden in mindestens 11 der 24 ecuadorianischen Provinzen weitergeführt.
In Quito versammelten sich Indigene vor dem Büro der Staatsanwaltschaft, um die Freiheit Izas zu fordern.
Iza wird freigelassen. Ihm wird vorgeworfen, den öffentlichen Verkehr lahmgelegt zu haben.
Die Protestbewegung wächst schnell an. Sowohl Studierende auch als andere unzufriedene Gruppen schliessen sich den Indigenen an.
Erneut wird die Hauptstrasse in Richtung Quito blockiert, wofür brennende Pneus, Baumstämme und Steine verwendet werden. Auch in 14 weiteren Provinzen kommt es zu Strassenblockaden.
Ecuadorianische Bürger, Studierende, Gewerkschafter und Mitglieder diverser sozialer Gruppen ziehen in das historische Zentrum von Quito, um weiter zu protestieren.
Präsident Lasso trifft sich mit Anführenden indigener Gruppen. Er kündigt eine kleine Erhöhung der monatlichen Subvention für die Ärmsten in Ecuador an. Zudem sollen armen Familien die Schulden erlassen werden. Damit erfüllt er allerdings nur einen Bruchteil der Forderungen der Indigenen, weshalb diese weiter protestieren. Als Reaktion darauf ruft Lasso in drei Provinzen den Ausnahmezustand aus. Dabei wird die Vereinigungs-, Versammlungs- und Transitfreiheit für 30 Tage ausgesetzt.
Mit dem Ausnahmezustand erklärte Lasso zudem den Stadtbezirk Quito zur «Sicherheitszone» und unterstellt sie den Streitkräften.
Die Strassenblockaden gehen nicht spurlos an Ecuadors Wirtschaft vorbei. Blumen – eines der wichtigsten Exportgüter Ecuadors – verrotten aufgrund der Strassensperren, klagen die Produzenten. Auch die Ölproduktion leidet massiv, was für die Regierung mit grossen Verlusten einhergeht.
Die Proteste reissen auch am siebten Tag nicht ab. Tausende von Menschen ziehen durch die Strassen Quitos.
Lasso weitet den Ausnahmezustand auf sechs Provinzen aus. Er wirft den Protestierenden vor, nur Chaos und seine Absetzung zum Ziel zu haben.
Tausende von Protestierenden marschieren friedlich in Richtung des Stadtzentrums von Quito.
Am achten Protesttag versuchen rund 500 Indigene, das Haus der Ecuadorianischen Kultur zu besetzen, wie die Zeitung «El Universo» berichtete. Die Generalstaatsanwaltschaft teilt mit, ihr Hauptsitz sei angegriffen worden. Die Polizei feuert Tränengas in die Menge, Sicherheitskräfte beschlagnahmen Brandsätze, Schilder und Speere.
«Die Streitkräfte werden nicht zulassen, dass die verfassungsmässige Ordnung verletzt wird», sagt Verteidigungsminister Luis Lara. «Soziale Proteste sind legitim, solange sie die Rechte der Mehrheit der Bürger auf ein Leben in Frieden nicht gefährden.»
In Puyo, einer Stadt im Amazonas, stirbt ein Demonstrant bei Zusammenstössen mit der Polizei. Gemäss Anwälten und Anwältinnen von Menschenrechtsorganisationen sei er von einer Tränengasbombe im Gesicht getroffen worden. Die Polizei widerspricht. Er sei gestorben, weil er mit einem explosiven Gerät hantiert habe.
Der Tod des Demonstranten schürt die Wut der Indigenen noch mehr. In Puyo zünden Demonstrierende eine Polizeistation an und zerstören eine Bank.
Big mobilization yesterday at #Quito for the ninth day of general strike against the high cost of living and the government in #Equateur . In #Puyo south of the capital, protesters set fire to a police station and a bank following the death of a protester. #ParoNacionalEC2022 pic.twitter.com/hXZKhq4D6u
— European Union Club (@EuropeanUnionC) June 22, 2022
Noch am selben Tag marschierten Protestierende friedlich durch die Altstadt Quitos.
Trotz der Repression durch die Polizei wächst die Protestbewegung immer weiter an.
Footage of a 10 day strike protest escalating in Ecuador 🚨
— Wall Street Silver (@WallStreetSilv) June 24, 2022
They are angry over crazy fuel and food prices, just like everywhere else.
Sound ON pic.twitter.com/M3DBlJRuJD
Al Jazeera fragt die Protestierenden vor Ort nach ihren Motiven. Seit Lasso an der Macht sei, seien sämtliche Preise gestiegen, sagt eine Person. Das Problem: Die Löhne seien gleich geblieben.
The latest on the #Ecuador protests. Despite the increased militarisation of the cities and an increase in the police repression, personified by the assassination of Byron Guatatoca in Puyo, the indigenous-led rallies continue to grow and evolve.
— Denis Rogatyuk (@DenisRogatyuk) June 23, 2022
From today's rally in Quito. pic.twitter.com/LBOU02k93K
Eine weitere Person klagt über ausfallende Ernten als Konsequenz der steigenden Preise:
Die indigenen Gruppen leiden noch immer unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, die sie besonders hart getroffen hat.
A peaceful march toward Ecuador's National Assembly ends with police repression on day 11 of mass protests against the government. pic.twitter.com/t2RLO70XNQ
— Kawsachun News (@KawsachunNews) June 24, 2022
Am zwölften Tag der Proteste wirft Präsident Guillermo Lasso den indigenen Gruppen einen Putschversuch vor. «Die wahre Absicht des Herrn Iza ist der Sturz der Regierung», sagt Lasso am Freitag in einer Video-Ansprache über den Chef des Indigenen-Verbands Conaie, Leonidas Iza.
«Die Nationalpolizei und die Streitkräfte werden die erforderlichen Mittel ergreifen, um innerhalb des gesetzlichen Rahmens durch schrittweise Gewaltanwendung die öffentliche Ordnung und die Demokratie zu verteidigen.»
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— Anonymous (@emaNoN_7384) June 25, 2022
Big clashes for the second day in front of the parliament in #Quito.#Ecuador has been paralysed for 12 days by a general strike against price increases and the government, which has already claimed 6 lives, and the protests have become more radical in recent days. pic.twitter.com/Ud3BE0Hffi
Kurz nach seiner Rede liefern sich tausende Demonstranten nahe dem Kongressgebäude in Quito erneut Zusammenstösse mit der Polizei. Teile der Opposition drängen auf die Absetzung Lassos.
In Guaranda, #Ecuador protests continue against the policies of Pres. Guillermo Lasso. Left-wing indigenous protesters demand solutions to rising fuel prices and the high cost of living. Take a look:pic.twitter.com/elR0DCpFnw
— Steve Hanke (@steve_hanke) June 25, 2022
Das Parlament berät über einen Misstrauensantrag gegen Präsident Guillermo Lasso. Beantragt hat die Sitzung die Opposition.
Ecuador’s President Guillermo Lasso said in televised remarks on Friday that he is willing to engage in talks on ending the protests that have paralyzed Quito and the country for almost two weeks. Lasso also accused the Indigenous leadersof wanting to “overthrow the government.” pic.twitter.com/TSAq1ulOzu
— Slamzito1981 (@slamzito1981) June 26, 2022
Sie will über Lassos Umgang mit der «ernsten politischen Krise und den inneren Unruhen» in dem südamerikanischen Land debattieren.
Am selben Tag spricht Lasso mit indigenen Anführenden und hebt den Ausnahmezustand in den sechs Provinzen wieder auf.
Die Proteste haben Lassos ohnehin schon gespaltene Beziehung zur Nationalversammlung weiter verschlechtert. Abgeordnete der oppositionellen Unes-Bewegung (Union für Hoffnung) des linken Ex-Präsidenten Rafael Correa forderten auf Twitter, die für 2025 angesetzten Wahlen vorzuverlegen. Derweil wird in Ecuador zum 14. Tag in Folge protestiert.
«Das Land kann es nicht mehr ertragen», sagte der Unes-Gesetzgeber Fausto Jarrin. Jarrin forderte die Legislative förmlich auf, eine Debatte über das Absetzungsverfahren einzuberufen. «Der Dialog wird von allen Seiten mit Gewalt unterbrochen.» Andere Oppositionsvertreter winkten jedoch vorerst ab.
Multitudinaria marcha pacífica en #Puyo, que reune a nacionalidades indígenas y sectores sociales #ParoNacionalEC #ParoNacionalEc2022 pic.twitter.com/OtOfNwNnAn
— Juan José Calderón (@juanjocalderon5) June 27, 2022
Am Dienstag wird schliesslich über das Misstrauensvotum abgestimmt – und das aufgrund technischer Probleme gleich dreimal. Am späten Dienstag steht das Resultat schliesslich fest: 80 Abgeordnete stimmten für die Absetzung Lassos – 12 Stimmen zu wenig.
Lasso bleibt im Amt und gibt bekannt, nicht mehr mit Iza verhandeln zu wollen. Er fällt den Entscheid, nachdem ein Soldat bei einer Attacke auf einen Öl-Konvoi getötet wurde. Er bleibe offen für einen Dialog, aber nicht mit Iza:
Ecuador's govt has suspended negotiations with protesting #Indigenous groups, #PresidentGuillermo Lasso said, after a soldier was killed
— 🌎 Sarwar 🌐 (@ferozwala) June 28, 2022
Hundreds of people take to the streets of the historic center of #Quito on the 16th day of the national strike. #Ecuador #Protest pic.twitter.com/SCnvzllRdg
Die Regierung sei schon grosse Kompromisse eingegangen, so Lasso. Man habe die Benzinpreise gesenkt, Schulden erlassen sowie Subventionen für Düngemittel zugestimmt. Doch Iza bleibt hart: Die Zugeständnisse gehen ihm nicht weit genug. Auch er wolle sich auf einen Dialog konzentrieren und bis dahin friedliche Proteste fortführen.
Seit Beginn der Proteste sind mindestens vier Protestierende ums Leben gekommen, 100 weitere haben sich verletzt. Menschenrechtsgruppen äussern Besorgnis über das brutale Vorgehen der Polizei. Die Proteste haben die Hauptstadt praktisch zu einem Stillstand gebracht und ein Ende ist noch immer nicht in Sicht. (saw)