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Mindestens 35 Tote bei Zusammenstoss von zwei Zügen in Griechenland

Video: watson/een

Zug-Zusammenstoss in Griechenland: Zahl der Todesopfer steigt auf mindestens 36

Bei einem schweren Zugunglück in Griechenland sind in der Nacht zu Mittwoch mindestens 36 Menschen ums Leben gekommen. Die Opferzahl könnte weiter steigen. Derweilen tritt der griechische Verkehrsminister zurück.
01.03.2023, 02:2701.03.2023, 16:21
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Bei Tagesanbruch wird das Ausmass des schweren Unglücks erst deutlich: Die Unfallstelle gleicht einem Trümmerfeld, die vorderen Waggons beider Züge wurden durch den Aufprall geradezu zusammengefaltet und brannten zum Teil aus, wie Drohnenaufnahmen im griechischen Staatsfernsehen zeigen. Mindestens 36 Menschen kamen am späten Dienstagabend beim Frontalzusammenstoss eines Personen- und eines Güterzugs in Mittelgriechenland ums Leben. Mindestens 66 Passagiere wurden teils schwer verletzt in umliegende Krankenhäuser gebracht.

Smoke rises from trains as firefighters and rescuers operate after a collision near Larissa city, Greece, early Wednesday, March 1, 2023. The collision between a freight and passenger train occurred n ...
Das Unglück geschah knapp 400 Kilometer nördlich von Athen.Bild: keystone

Die Zahl der Todesopfer könnte noch steigen. Am Mittwochmorgen liefen die Bergungsarbeiten mit Kränen und schwerem Gerät und auch mit Spürhunden weiter. Bei Rettungskräften und Reportern vor Ort herrscht Fassungslosigkeit. Dem Staatssender ERT zufolge wurden in den Trümmern noch viele weitere Tote befürchtet. Die Identifizierung der Opfer sei wegen des Ausmasses der Zerstörung und des Brandes zum Grossteil nur mittels DNA-Analyse möglich, hiess es. Wie ist es möglich, dass der Intercity von Athen nach Thessaloniki mit rund 350 Passagieren an Bord auf demselben Schienenstrang wie der entgegenkommende Güterzug unterwegs war, obwohl die Strecke zweispurig ausgebaut ist?

Drohnenvideo der Szene:

Video: twitter

Erste Mutmassungen zur Unfallursache weisen auf menschliches Versagen hin. Medienberichten zufolge funktionierte das elektronische Leitsystem auf der Strecke nicht. Deshalb seien die jeweiligen Bahnhofsvorsteher für die korrekte Weiterleitung der Züge verantwortlich gewesen. Der Personenzug könnte demnach schon vom Bahnhof der Stadt Larisa aus auf die falsche Spur geschickt worden sein, auf der ihm dann später der Güterzug entgegenkam. Mangels Leitsystem war zunächst auch der genaue Unfallort nicht auszumachen, berichtete der Sender ERT - die Rettungskräfte hätten die Stelle erst suchen müssen.

Der für den Abschnitt zuständige Eisenbahnchef sei bereits festgenommen worden, hiess es im Staatsfernsehen. Andere Eisenbahner und Techniker würden befragt. Die Verkehrsbehörde der nahe gelegenen Stadt Larisa hat mit Ermittlungen zur Unfallursache begonnen. Viele anknüpfende Bahnstrecken wurden für den Zugverkehr vorerst gesperrt.

Am Bahnhof der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki versammelten sich derweil schon nachts verzweifelte Angehörige, Telefon-Hotlines wurden eingerichtet. Rund 200 Passagiere, die nicht oder nur leicht verletzt wurden, wurden vom Unglücksort mit Bussen ins 150 Kilometer weit entfernte Thessaloniki gebracht. Manche Angehörige aber warteten vergebens. Bei vielen der Passagiere soll es sich um junge Leute gehandelt haben, Studierende, die nach einem verlängerten Wochenende wegen eines Feiertags nun auf dem Weg zur Universität von Thessaloniki waren.

«Ich dachte, ich würde sterben», sagte ein Passagier der Tageszeitung «Kathimerini». Der junge Mann sass nach eigenen Angaben in einem der hinteren Waggons. Er habe am Boden Schutz gesucht, Menschen hätten geschrien und geweint. Andere Passagiere berichteten, sie hätten die Fenster eingedrückt und sich im Dunkeln aus dem halb umgekippten Waggon retten können.

Trotz der Modernisierung mit neuen Brücken und Tunneln und zwei Gleisen entlang der gesamten rund 500 Kilometer langen Strecke Athen-Thessaloniki gebe es erhebliche Probleme bei der elektrischen Koordination der Verkehrskontrolle, hiess es im Staatsfernsehen. «Wir fahren wie in alten Zeiten von einem Streckenteil zum anderen per Funk. Die Stationsleiter geben uns grünes Licht», sagte Kostas Genidounias, Präsident der Gewerkschaft der Lokführer im staatlichen Rundfunk. Warum dies geschieht und kein modernes Leitsystem funktioniert, konnte er nicht sagen. Die griechischen Bahnen (Hellenic Train) werden von der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiane (FS) betrieben.

Griechischer Verkehrsminister tritt zurück

Nach dem schweren Zugunglück ist der griechische Verkehrsminister Kostas Karamanlis zurückgetreten. Die aktuelle Regierung habe die griechische Eisenbahn vor dreieinhalb Jahren in einem Zustand übernommen, der nicht ins 21. Jahrhundert passe, teilte Karamanlis am Nachmittag mit. Man habe seither alles getan, um diesen Zustand zu verbessern. «Leider reichten diese Bemühungen nicht aus, um einen solchen Unfall zu verhindern. Das ist sehr schwer für uns alle und für mich persönlich.»

Wenn so etwas Tragisches passiere, sei es nicht möglich, so weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Er halte es für unabdingbar, dass die Bürger dem politischen System vertrauen könnten. «Deswegen trete ich vom Amt des Ministers für Infrastruktur und Verkehr zurück.» Er fühle sich verpflichtet, die Verantwortung für die Fehler des griechischen Staates zu übernehmen, sagte Karamanlis und drückte den Familien der Opfer nochmals sein Mitleid aus.

(sda/dpa)

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