Es war der 3. Februar 2023, als in der Ortschaft East Palestine im Osten des US-Bundesstaats Ohio 50 Waggons eines Güterzuges entgleisten. Problematisch dabei: Der Zug hatte eine höchst delikate Ladung an Bord, wie die New York Times schreibt.
In den sozialen Medien wird geraunt, es handle sich um eine der schlimmsten Umweltkatastrophen der letzten Jahre. Und plötzlich wird noch ein Reporter verhaftet, der live berichtet. Der Krimi im Überblick.
East Palestine liegt etwa 140 Kilometer östlich von Cleveland und etwa 80 Kilometer nordwestlich von Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania.
Die 5000 Einwohner konnten nach der Entgleisung der Zugwaggons gegen 21 Uhr ein gewaltiges Feuer beobachten, bevor sie in eine dunkle Rauchwolke eingehüllt wurden.
Unmittelbar nach dem Unglück wurden zuerst rund 2000 Menschen aus East Palestine evakuiert, bevor Ohios Gouverneur Mike DeWine die Evakuierungszone drei Tage nach dem Unglück erweiterte.
Am 8. Februar teilte das Büro des Gouverneurs mit, dass die Betroffenen nach Hause zurückkehren dürften, sobald bei Messungen keine besorgniserregenden Konzentrationen von Schadstoffen mehr nachweisbar seien.
Etwa 20 der 50 entgleisten Waggons führten bedenkliche Stoffe an Bord mit, schreibt die «New York Times». Vinylchlorid, Butylacrylat, Ethylhexylacrylat und Ethylenglykolmonobutylether sind in unterschiedlichen Aggregatzuständen entwichen.
Für die Menschen besonders gefährlich ist dabei Vinylchlorid – ein giftiges, brennbares Gas. Es wird zur Herstellung von PVC-Rohren verwendet. Menschen, die mit der Chemikalie in Kontakt kommen, laufen Gefahr, Schäden an Leber, Speiseröhre oder Haut zu bekommen. Vinylchlorid gilt zudem als krebserregend.
Die Behörden beschlossen nach dem Entgleisen der Waggons, Hunderttausende Liter Vinylchlorid kontrolliert zu verbrennen – damit sich der Zug nicht in eine gigantische Bombe verwandelt. Und genau das rief die US-Klimaaktivistin und angehende Klimawissenschaftlerin Sophia Kianni auf den Plan. Sie schreibt auf Twitter über das Unglück:
Da das Gas, aber auch Öl mittlerweile in das Einzugsgebiet des Ohio River eingedrungen sei, seien Millionen Menschen potenziell von den Gasschwaden bedroht, schreibt sie weiter.
Zwar hätten der Betreiber des Zuges, Norfolk Southern, sowie die Umweltbehörden bis zum 13. Februar die Luft in etwa 290 Häusern untersucht und herausgefunden, dass keine lebensbedrohlichen Konzentrationen von Vinylchlorid umher waberten, weiss die «New York Times».
Doch die Menschen klagten weiterhin über Chlor- und Rauchgeruch in der Luft sowie über Kopfschmerzen, so Kianni. Zudem warteten noch 180 Haushalte darauf, dass bei ihnen die Luft kontrolliert werde.
Und nicht nur die Menschen, auch die Umwelt kann nachhaltig von den freigesetzten Gasen und Ölen geschädigt werden. Es gebe Bedenken hinsichtlich der Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung, so die «New York Times».
Derzeit könne das Ausmass der Verschmutzung noch nicht eingeschätzt werden, sagen die Umweltbehörden. Auf Anfrage von CNN schrieb die Umweltbehörde:
Dabei sind nicht nur die ausgelaufenen Öle gefährlich für die Umwelt, sondern auch die Gase könnten bedenklich sein. «Vinylchlorid birgt ein spezifisches Risiko, da es eine Reihe von Chlormolekülen enthält, die einige hochgefährliche Nebenprodukte bilden können. Und diese verbleiben oft sehr hartnäckig in der Umwelt», sagte Richard Peltier, Professor für Umweltgesundheitswissenschaften an der Universität von Massachusetts in Amherst, gegenüber CNN.
Potenzielle Verschmutzungen im Wasser und im Ohio River sind besonders deshalb bedenklich, weil grosse Landwirtschaftsbetriebe in der Region ihr Wasser aus dem Fluss beziehen. Anwohner teilten mittlerweile Bilder von toten Fischen und Fröschen in den örtlichen Bächen oder toten Hühnern in den Gärten. Zudem sollen sogar Hunde und Füchse verendet sein.
Bezüglich Wasserdienstleistungen seien Vorsichtsmassnahmen getroffen worden, schreibt die «New York Times». Die Menschen würden derzeit ermutigt, Wasser ausschliesslich aus Flaschen zu verwenden.
Mittlerweile haben Anwohner eine Sammelklage gegen Norfolk Southern eingereicht.
Während also die Menschen evakuiert werden und Frösche sterben, spielt sich am vergangenen Mittwoch eine weitere Seltsamkeit in East Palestine ab: Während einer Pressekonferenz wird am 7. Februar ein Reporter verhaftet, der über das Zugunglück berichtete.
Laut einem Polizeisprecher wurde der Reporter Evan Lambert wegen ordnungswidrigen Verhaltens und Hausfriedensbruchs angeklagt, schreibt die New York Times.
Lambert wartete am besagten Tag darauf, dass eine Pressekonferenz beginnt, die für 15.00 Uhr anberaumt war. Doch der Termin wurde relativ spontan auf 17.00 Uhr verschoben. Der spätere Termin fiel genau mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem Lambert eine Live-Schaltung geplant hatte, sagt der Arbeitgeber von Lambert, News Nation.
Der Reporter begann seine Anmoderation wie geplant um 17 Uhr abseits des aufgebauten Podiums. Er habe seine Moderation auch sofort unterbrochen, als der Gouverneur zu sprechen begann, erklärt News Nation. Die Behörden sagen, Lambert habe sich geweigert, die Aufnahme pünktlich zu unterbrechen. Vier örtlichen Polizeibeamten war der Reporter entsprechend ein Dorn im Auge – er würde aus der Reihe tanzen, sagten sie ihm.
In einem Video des Fernsehsenders WKYC Studios ist zu hören, wie Lambert antwortet: «Ich mache nur meine Arbeit.» Danach fordert er die Beamten auf, ihn nicht zu berühren. Kurz darauf wird der Journalist auf den Boden gedrückt und verhaftet, wie die Videoaufnahmen von WKYC Studios zeigen.
Bodycam footage showing members of law enforcement and a top official in the Ohio National Guard confronting NewsNation reporter Evan Lambert provides a different account than what the East Palestine PD released in a statement. pic.twitter.com/7M0v0uHMUz
— NowThis (@nowthisnews) February 10, 2023
Kurz nach seiner Freilassung sendete Lambert ein Interview, in dem der Reporter sagt: «Kein Journalist rechnet damit, verhaftet zu werden, wenn er seine Arbeit macht», wobei er anmerkte, dass er nicht im Detail über den Vorfall sprechen könne, da die Anklage noch anhängig sei.
Die Verhaftung sorgte für viel Unmut in der US-Medienwelt.
(con/yam)
Nicht mal in den USA... Woher kommt dieses Medienversagen?