In Griechenland werden Flüchtlinge als Handlanger benutzt, so eine neue Recherche. Ihnen wird versprochen, dadurch selbst schneller an Aufenthaltspapiere zu kommen.
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An der EU-Aussengrenze benutzen griechische Polizeibeamte Flüchtlinge offenbar als Handlanger für illegale Pushbacks. Das haben gemeinsame Recherchen des «Spiegel» mit Lighthouse Reports, dem ARD-Politikmagazin «Report München», «Le Monde» und dem «Guardian» ergeben.
Migranten steigen auf Lesbos aus einem Boot (Archiv): "An Abgründigkeit und Perfidität nicht zu überbieten", sagt die Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung.Bild: imago images
Dem Team aus Reporterinnen und Reportern gelang es nach monatelangen Recherchen erstmals, mit sechs dieser Männer zu sprechen. Sie gaben unabhängig voneinander an, zu gewaltsamen Zurückweisungen in die Türkei gedrängt worden zu sein – im Gegenzug seien ihnen Aufenthaltspapiere versprochen worden. Die Angaben der Geflüchteten liessen sich mithilfe von Fotos, Satellitenbildern und offiziellen griechischen Dokumenten verifizieren.
Die Geschichte von Bassel M.
Neunmal hat er vergeblich versucht, von der Türkei nach Griechenland zu gelangen. Bassel M. wollte aus Syrien flüchten, so erzählt der Ende 20-Jährige gegenüber Reporterinnen und Reportern im Rahmen der Recherche. Bei seinem zehnten Versuch wurde ihm ein ungewöhnliches Angebot unterbreitet, das ihn vor den schwierigsten Entscheid seines Lebens stellte.
Nachdem er Ende 2020 mit einem Schlauchboot auf dem türkisch-griechischen Grenzfluss Evros unterwegs war, wurde er von griechischen Sicherheitskräften gestoppt. Nachdem er und die anderen Geflüchteten geschlagen worden seien, erzählt Bassel M., seien sie in ein Auto ohne Nummernschild gezerrt und mit 150 weiteren Geflüchteten in eine Zelle gesperrt worden.
Dort wurde ihm vorgeworfen, Anführer einer Schmugglerbande zu sein, wofür ihm mit einer Gefängnisstrafe gedroht wurde. Dieser könne er nur entkommen, wenn er sich dafür entschied, mit der griechischen Polizei zu arbeiten, so die Beamten. In anderen Worten: Er müsste mit griechischen Sicherheitskräften, die ihn selbst schon etliche Male eingesperrt und gefoltert haben, gemeinsame Sache machen. Nur dann würden sie auf eine Anklage wegen Menschenhandelns verzichten. Zudem würde er eine Aufenthaltserlaubnis von über 30 Tagen erhalten.
Um dem Risiko zu entgehen, für Jahre in ein griechisches Gefängnis zu wandern, beschloss Bassel M. auf das Angebot der Sicherheitskräfte einzugehen. (saw)
«Offenes Geheimnis»
Bewohnerinnen und Bewohner grenznaher griechischer Dörfer berichten zudem, es sei in der Region «ein offenes Geheimnis», dass Geflüchtete im Auftrag der Polizei Pushbacks durchführten. Bauern und Fischer, die das Sperrgebiet am Fluss Evros betreten dürfen, haben demnach immer wieder Geflüchtete bei ihrer Tätigkeit beobachtet: Migranten sehe man am Evros nicht, sagt ein Anwohner. «Ausser jene, die für die Polizei arbeiten.»
Auch drei griechische Polizeibeamte bestätigten dem «Spiegel» und seinen Partnern die Praxis. Die Pushbacks würden von der Polizei als so gefährlich eingeschätzt, dass diese dafür vermehrt Geflüchtete einspanne, um die eigenen Beamten zu schützen. Offizielle Anfragen liessen das griechische Innenministerium und die Polizei bis Dienstag unbeantwortet.
Das Reporterteam konnte ausserdem einen syrischstämmigen Mann identifizieren, mit dem die Polizei nach übereinstimmenden Aussagen von Flüchtlingen und Anwohnern bei den Pushbacks zusammenarbeitet. Wie aus einer Polizeidatenbank hervorgeht, war er in seiner Heimat in Drogenhandel und Schmuggel verstrickt. Bei der Auswahl von Flüchtlingen als Pushback-Helfer kooperiere er mit Menschenschmugglern in Istanbul, gaben die Flüchtlinge an. Er habe die Pushbacks beaufsichtigt und sei besonders gewalttätig gegen Asylsuchende vorgegangen. Eine Anfrage des Reporterteams liess er unbeantwortet.
Griechische Regierung setzt sich über Asylrecht hinweg
Laut europäischem Recht ist Griechenland verpflichtet, Schutzsuchenden, die griechisches Territorium erreichen, ein Asylverfahren zu eröffnen. Die griechische Regierung setzt sich, wie andere EU-Staaten auch, seit Jahren systematisch über dieses Gesetz hinweg.
«Dieses Vorgehen ist ein Bruch mit allen Werten, die wir in der Europäischen Union vertreten», sagte Luise Amtsberg, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. «Das ist an Abgründigkeit und Perfidität nicht zu überbieten.»
Verwendete Quellen:
- Vorabmeldung des Spiegel vom 28. Juni 2022
((t-online))
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