Taucht ein neuer bösartiger Erreger auf, ist eine weitere Pandemie durchaus möglich. Schon während der Corona-Pandemie machte sich die Weltgesundheitsorganisation WHO daran, einen weltweiten Pandemievertrag zu erarbeiten. Inzwischen liegt nach sieben Verhandlungsrunden ein Textentwurf vor, über den im Mai 2024 an der 77. Weltgesundheitsversammlung der WHO in Genf abgestimmt werden soll. Parallel zu den Arbeiten am Pandemievertrag werden die Internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO revidiert, die es seit den 1970er-Jahren gibt. Die Revision soll gleichzeitig mit dem Pandemiepakt verabschiedet werden.
Zum Vertrag gehören eine Vielzahl an Massnahmen: Erstens der Umgang mit Erregern, zum Zweiten die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen, zum Dritten die Beschaffung und Verteilung der medizinischen Mittel und viertens die Information der Bevölkerung. Durch das Regelwerk sehen massnahmenkritische Kreise die Gefahr eines Souveränitätsverlusts der Schweiz, sollte diese den Pandemievertrag unterzeichnen. Wir haben bei Martin Leschhorn von Medicus Mundi Schweiz nachgefragt. Medicus Mundi ist ein Netzwerk von Gesundheits- und Hilfsorganisationen.
Herr Leschhorn, braucht es einen Pandemievertrag?
Ja, es braucht ein Instrument, um sich besser auf künftige weltweite Gesundheitskrisen vorzubereiten. Es gibt zwar die schon lange bestehenden internationalen Gesundheitsvorschriften, die vielleicht noch ergänzt werden. Das ist zwar ein gutes Instrumentarium, aber es ist nicht ausreichend, wie man in der letzten Pandemie gesehen hat. Aus unserer Sicht dient ein solcher Vertrag vor allem den Bevölkerungen von einkommensschwachen Ländern, die jetzt schon permanente Gesundheitsprobleme haben wie Tuberkulose, Malaria und HIV.
Was nützt eine solche globale Regelung?
Bei der Corona-Pandemie hat man gesehen, dass in verschiedenen Bereichen der internationale Austausch nicht gut genug funktioniert hat: beim Austausch von Informationen und Gesundheitsdaten, auch beim Zugang zu Impfstoffen und Gesundheitsmaterial. Zum Beispiel hat Indien, ein wichtiger Lieferant von Impfstoffen, während der Pandemie die Grenzen geschlossen und keinen Impfstoff mehr ausgeliefert. Auch die Verteilung von medizinischen Produkten müsste bei einer nächsten Pandemie gerechter umgesetzt werden.
Wie kam der Vertrag zustande?
Nach den Erfahrungen der Pandemie wollte die WHO verbindliche Regeln schaffen. Deshalb sind die WHO-Mitgliedsstaaten in einen Verhandlungsprozess eingetreten, der stark politisiert ist. Der Text zum Pandemievertrag ist wie ein Weihnachtsbaum, alle Länder haben drangehängt, was sie gerade gewünscht haben. Das machte die Verhandlungen von Anfang an kompliziert. Daran leiden die Verhandlungen bis heute.
Was wird sich verbessern durch die Handlungsempfehlungen des Pandemievertrags?
Zum Ersten der Datenaustausch, damit Informationen zu Viren, Bakterien und Therapien besser fliessen zwischen den Staaten. Dann geht es um Gesundheitsdaten von Patienten, um biomedizinische Genom-Analysen, generell um Wissensaustausch, damit die Forschungsinstitute zusammenarbeiten und reagieren können, wenn sich eine Pandemie abzeichnet.
Massnahmenkritische Kreise aus der Coronazeit sagen, der Vertrag zerstöre die Souveränität der Schweiz. Stimmt das?
Nein, die WHO ist keine Superregierung, die unabhängig von den Mitgliedsstaaten etwas entscheiden und durchsetzen kann. Sie ist so stark und so schwach, wie die Zusammenarbeit der Länder ist. Aber die WHO kann Gesundheitskrisen ausrufen wie in der Coronapandemie und damit einen Mechanismus zu ihrer Bekämpfung auslösen. Dadurch entsteht ein gewisser Druck, dass zum Beispiel ein Land Daten über den Ausbruch einer Epidemie liefert. Das ist sinnvoll und in aller Interesse, weil sonst die einzelnen Regierungen keine Gegenmassnahmen treffen können.
Massnahmenkritiker sagen, die Handlungsempfehlungen seien am Schluss Befehle?
Sicher keine Befehle, die sind sogar explizit in Artikel 24.3 ausgeschlossen. Die WHO hätte auch keine Machtinstrumente, etwas durchzusetzen. Es sind am Ende des Tages immer Empfehlungen. Als Beispiel kann man die Tabakkonvention nehmen, die einen dem Pandemievertrag vergleichbaren Rechtsstatus hat. Obwohl es sich um das stärkste Instrument der WHO handelt, zeigt gerade die Umsetzung in der Schweiz, wie relativ schwach ein solches Abkommen ist. Der Bundesrat hat die Tabakkonvention unterzeichnet, das Parlament hat sie aber bis heute nicht ratifiziert.
In der Schweiz waren die Corona-Massnahmen moderater als in den Nachbarländern. Bleibt das auch mit dem Pandemievertrag möglich?
Der Pandemievertrag ändert daran nichts. Am Schluss sind es die Regierungen, die entscheiden, wie das Beispiel der Tabakkonvention zeigt. In der Schweiz reden bei solchen Entscheiden auch die Kantone mit. Massnahmen werden weiterhin national definiert. Während der Corona-Pandemie hat man sogar gesehen, dass Staaten teils viel zu egoistisch reagiert haben.
Gibt es heikle Punkte?
Der Austausch von Gesundheitsdaten ist teils heikel. Diese Daten haben einen hohen Wert und werden auch als Gold des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Da sind viele Interessen im Spiel. Die Sicherheit zu gewährleisten, ist wichtig und schwierig. Gesundheitsdaten, die für die Forschung zentral sind, dürfen nur anonymisiert fliessen.
Welche Nachteile kann der Pandemievertrag haben?
Der Vertrag ist auf Corona fixiert, weil man nicht mehr die gleichen Fehler machen will. Aber ein Pandemievertrag muss realistisch auf künftige Szenarien ausgerichtet sein. Vielleicht geht es wieder um ein Virus, vielleicht aber auch um andere Pathogene, gegen die man keinen Impfstoff entwickeln kann. Das zweite Problem ist, dass die Verhandlungen geopolitisch geprägt sind. Im Moment funktioniert multilateral aber wenig. Dann gibt es einen latenten Nord-Süd-Konflikt. Afrikanische Länder werden von Russland, China und Brasilien hofiert. Diese haben starke wirtschaftliche Eigeninteressen, die nicht per se den Interessen der Länder im südlichen Afrika entsprechen. Das erschwert den Abschluss eines Pandemievertrags. Ich halte ich es eher für ein Wunder, wenn er wirklich zustande kommt.
Ist die Ratifizierung so unsicher?
Die Verhandlungen sollten im Mai abgeschlossen sein. Danach wird wahrscheinlich nicht weiterverhandelt. Eine Verlängerung ist unwahrscheinlich, weil man fürchtet, dass es noch schwieriger werden könnte, wenn Trump möglicherweise amerikanischer Präsident wird. Vielleicht führt am Ende der Zeitdruck zu einer pragmatischen Lösung – zu wünschen wäre es. (aargauerzeitung.ch)
Empfehlungen müssen reichen, ein Vertrag macht abhängig... und wird zu Sanktionen wegen Nichteinhaltung führen... ich möcht nicht von solch einer " Institution" gegängelt und schlussendlich im eigenen Land eingesperrt werden...