Schweiz
Thurgau

Reichsbürger belästigen Schweizer Steuerbeamte

A stamper of the Uster tax administration in the tax administration in the town hall of Uster, Switzerland, pictured on October 30, 2014. (KEYSTONE/Christian Beutler)

Eine Stempel des Steueramts Uste ...
Wegen Verschwörungstheorien weigern sich Staatsverweigerer, Steuern zu zahlen.Bild: KEYSTONE

Reichsbürger bringen Schweizer Steuerämter zum Verzweifeln

Reichsbürger bedrohen immer wieder Thurgauer Steuerbeamte. Das hat inzwischen weitreichende Folgen für den ganzen Kanton. Wie sieht es im Rest der Schweiz aus? watson hat alle Kantone gefragt. Das Resultat: je östlicher ein Kanton, desto grösser die Probleme mit Staatsverweigerern.
08.03.2024, 06:0308.03.2024, 13:37
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Die Steuerbehörden des Kantons Thurgau sind massiv im Verzug. Zwei von drei Thurgauerinnen und Thurgauern hatten per Ende 2023 ihre Steuerveranlagung für das Jahr 2022 noch nicht erhalten. Ein Grund: Staatsverweigerer, teilweise auch «Reichsbürger» genannt. Diese Menschen lehnen den Staat ab und weigern sich deshalb, Steuern zu bezahlen.

Wie Regierungsrat Urs Martin (SVP) Anfang Februar zur «Thurgauer Zeitung» sagte, gab es auf den Thurgauer Steuerbehörden 2022 «extrem viele Abgänge». Warum? Auch wegen Corona. Martin fügte an:

«Weil einzelne Mitarbeiter bedroht oder tätlich angegangen worden sind von Reichsbürgern. Da sagten sich viele: ‹Ich will das nicht mehr.›»
Urs Martin, Gesundheitsdirektor Kanton Thurgau
Thurgauer Regierungsrat Urs Martin.Bild: Andrea Stalder

Thurgau erreicht neuen Tiefpunkt

Im Februar machte den verbliebenen Mitarbeitenden dann noch ein gefälschtes Schreiben das Leben schwer. Zahlreiche Thurgauer Haushalte erhielten einen Brief, der den Anschein machte, offiziell vom Kanton verschickt worden zu sein. Darin stand: Wegen Verzögerungen durch die Steuerbehörden «senken wir Ihnen in diesem Jahr die einfache Steuer zwischen 5 und 15 Prozent.»

Ein Steuerrabatt? So etwas gebe es in der Schweiz gar nicht, sagte der Leiter der Thurgauer Steuerverwaltung, Marcel Ruchet, zu SRF.

Weiter hiess es im Fake-Schreiben: Damit eine «reibungslose Verarbeitung» gewährleistet werden könne, müsste man sich persönlich oder telefonisch bei seiner Ansprechperson des Steueramts auf Gemeinde- und Kantonsebene melden. Sonst würde das Geld, das einem gemäss «Rabatt» zustehe, für andere öffentliche Zwecke eingesetzt. Etwa für die SRG «da aufgrund vieler ausstehender Gebühren säumiger Zahler ein Ende des Service Public bevorsteht».

Das Ergebnis: Im Februar klingelten die Telefone der Mitarbeitenden der Thurgauer Steuerbehörde alle fünf Minuten. «Ich denke, das ist genau die Absicht der Urheber dieses Schreibens: uns von der Arbeit abzuhalten», sagte Ruchet zu SRF.

Gegen die unbekannten Verfasser reichte der Kanton Strafanzeige ein. Doch inzwischen hatte die Militanz der Staatsverweigerer ein solches Ausmass angenommen, dass der Kanton Anfang Februar verkünden musste:

«Aufgrund verschiedener Vorkommnisse publiziert die Steuerverwaltung Thurgau auf unserer Homepage kein Telefon- und Mailverzeichnis der Mitarbeitenden mehr.»
Medienmitteilung Kanton Thurgau, 13. Februar 2024

Haben auch andere Steuerverwaltungen in der Schweiz mit Staatsverweigerern zu kämpfen? Künden ihre Mitarbeitenden deshalb ebenfalls? Oder ist der Thurgau eine Ausnahme?

watson hat bei sämtlichen Kantonen nachgefragt. Das Ergebnis: Ein Röstigraben. Und: Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass der Kanton Thurgau besonders betroffen ist.

Die Lage in der Lateinischen Schweiz

Die Steuerverwaltungen in den Kantonen Freiburg, Neuenburg und Waadt haben bisher noch nie mit Staatsverweigerern oder dergleichen zu tun gehabt. Genf, Jura und das Wallis schon. Die drei Kantone betonen aber, dass es sich um «äusserst wenige Fälle» handelt.

Genaue Zahlen können die Kantone nicht nennen. Negativen Einfluss auf die tägliche Arbeit hätten die Staatsverweigerer auf ihren Steuerämtern allerdings nicht. Ähnlich tönt es aus dem Tessin.

Die Lage in der Deutschschweiz

In der Deutschschweiz antworten auf die Frage, ob ihre Steuerbehörden bereits mit Staatsverweigerern konfrontiert gewesen seien, alle, bis auf Uri, mit einem eindeutigen: Ja. Ebenfalls klar bejahen 15 Deutschschweizer Kantone (AG, AI, AR, BL, BS, BE, GE, GR, NW, OW, SH, SZ, SO, SG, ZG, ZH), dass Staatsverweigerer spürbaren Mehraufwand verursachen, selbst wenn es sich um verhältnismässig wenige Personen handle.

Wie die Staatsverweigerer diesen Mehraufwand verursachen, führt der Kanton Schwyz aus:

«Steuererklärungen werden nicht eingereicht. Auf die Mahnungen reagieren die Personen auch nicht. Es müssen Ordnungsbussen ausgestellt werden. Generell werden von solchen Personen amtliche Verfügungen nicht angenommen, die darauf basierenden Steuerrechnungen, Bussen, etc. werden wiederum oft nicht angenommen und müssen daher betrieben werden.»
Steuerbehörde Kanton Schwyz

So sehen die wirren Schreiben der Reichsbürger aus

Ihre Ablehnung gegen den Staat kommunizieren viele Staatsverweigerer in «umfangreichen Schreiben», wie es von der Steuerbehörde des Kantons Aargau heisst. Noch klarer formuliert es der Kanton Zug:

«Für die Steuerverwaltung sind diese Personen insofern aufwändig, als sie regelmässig pseudo-rechtliche Schreiben mit Dutzenden von Seiten und ausufernden Forderungen nach Anerkennung angeblicher Ansprüche und Rechte beantworten muss.»
Steuerbehörde Kanton Zug

Zwei solcher wirren Schreiben liegen watson vor.

Im einen führt ein Staatsverweigerer aus, dass er die Briefe der Steuerverwaltung zurückschicke, weil es ihm nicht erlaubt sei, «fremde Post anzunehmen oder gar zu lesen». Er beharrt darauf, dass die Behörden ihn falsch angeschrieben hätten, und ihre Briefe darum nicht ihm gelten würden. Die Betitelung als «Herr» ist aus seiner Sicht «streng verboten und beleidigend». Als «Person» will er ebenfalls nicht bezeichnet werden, sondern als «Menschen», den es wie folgt anzuschreiben gelte: Nachname, Vorname.

Staatsverweigerer-Schreiben 1:

Reichsbürger / Staatsverweigerer Schreiben an die kantonalen Steuerbehörden
bild: zvg

Das zweite Schreiben, stammt von einem Mann, der sich allem Anschein nach selbst zu den Reichsbürgern zählt. An seine Adressangabe hängte er nämlich explizit «ausserhalb Schweiz» an. Seine Weigerung, Steuern zu zahlen, begründete er damit, dass kein Vertrag mit dem kantonalen Steueramt vorliege, «in welchem die Verfasser willentlich, wissentlich und transparent zugestimmt haben, Steuerforderungen mittels Überweisung in SFR [Schweizer Franken] zu begleichen.»

Staatsverweigerer-Schreiben 2:

Reichsbürger / Staatsverweigerer Schreiben an die kantonalen Steuerbehörden
bild: zvg

Die Betonung des Schweizer Frankens lässt vermuten, dass es sich um einen Reichsbürger handelt, der tief in der Szene drinsteckt. Denn die Reichsbürger-Bewegung hat ihre eigene Währung: die E-Mark.

Diese nicht-anerkannte Währung hat Peter Fitzek erfunden. Der gelernte Koch aus Deutschland gilt als Begründer der Reichsbürger-Bewegung. 2012 krönte er sich selbst zum König des Fantasiestaats «Königreich Deutschland». Inzwischen hat Fitzek 6000 Anhängerinnen und Anhänger, wie es vom deutschen Geheimdienst heisst. Viele von ihnen glauben an allerlei Verschwörungstheorien und lehnen den Staat ab. Einige von ihnen tauschen ihre Euro darum gegen E-Mark ein.

Die Ostschweiz: Ein Hotspot?

Die Reichsbürger-Bewegung schwappte von Deutschland auf die Schweiz über. Viele kantonalen Steuerverwaltungen geben an, seit der Corona-Pandemie einen Anstieg der Auseinandersetzungen mit Staatsverweigerern festgestellt zu haben.

Plakat fotografiert vor das Bundeshaus, waehrend einer Demo gegen die Massnahmen im Zusammenhang mit dem Coronavirus, am Samstag, 22. Januar 2022, auf dem Bundesplatz, in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Dass manche Menschen das Vertrauen in den Staat verloren hatten, zeigte sich bei Anti-Corona-Massnahmen-Demos, hier auf dem Bundeshausplatz in Bern, am 22. Januar 2022.Bild: KEYSTONE

Besonders in der Ostschweiz sind Reichsbürgerinnen und Reichsbürger aktiv. 2022 fand in Speicher in Appenzell Ausserrhoden ein zweitägiges «Systemausstiegsseminar» statt. Organisator: ein Schweizer Immobilienunternehmer und Anhänger des «Königreichs Deutschland». Gemäss Recherchen von TVO steht am 17. März ein weiteres Reichsbürger-Treffen «im Radius von 20 Kilometern um St. Gallen» bevor. Auf der Gästeliste: Der «König von Deutschland», Peter Fitzek.

Blick von Wald nach Trogen und Speicher, aufgenommen am Mittwoch, 8. November 2023, in Wald, Appenzell Auserrhoden. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden wird Ende November ueber eine Grossfusion der Gemei ...
Die Gemeinde Speicher in Appenzell Ausserrhoden aus der Vogelperspektive.Bild: keystone

Es erstaunt darum nicht, dass ausgerechnet Ostschweizer Steuerbehörden besonders unschöne Erlebnisse mit Staatsverweigerern wiedergeben können. Der Kanton Schaffhausen berichtet von Staatsverweigerern, die seine Mitarbeitenden verbal und auf persönlicher Ebene angreifen würden, «was für diese belastend ist». Graubünden kann von einem Fall berichten, in dem ein Staatsverweigerer Anzeige gegen einen Mitarbeiter erhoben hat.

Im Kanton St.Gallen beschäftigte sich die Regierung diesen Februar in einer Interpellation mit dem Thema Staatsverweigerer und Reichsbürger. Darin zog sie Bilanz: «Mit ihren Aktionen versuchen sie, kommunale Verwaltungen, Gerichte oder andere Behörden zu blockieren, zu sabotieren oder zu überlasten.» Der Umgang mit ihnen sei «sehr aufwändig und bemühend». Ganz besonders für die Betreibungsbehörden stellten sie ein «signifikantes Problem» dar.

Vorfälle nehmen mancherorts ab

Doch es gibt Hoffnung. Im Kanton Schwyz stellt die Steuerverwaltung bereits eine Abnahme der Zwischenfälle mit Staatsverweigerern fest. Und im Kanton Zug haben die Steuerbehörden einen Weg gefunden, mit Reichsbürgern und Co. auf einen grünen Zweig zu kommen: Bestehe «Hoffnung auf ein sachliches Gespräch», würde die Steuerverwaltung den betroffenen Personen die längerfristigen Folgen ihrer Haltung objektiv aufzeigen.

Denn: Man habe festgestellt, dass es sich bei den Staatsverweigerern häufig um Personen handle, die «generell etwas den Faden in ihrem Leben verloren haben». Oft hätten sie nicht nur Probleme mit den Behörden, sondern seien auch in Konflikten mit ihrer Familie, ihrer Nachbarschaft und weiten Teilen ihres sozialen und beruflichen Umfelds.

Die konstruktive Herangehensweise trägt Früchte:

«In vielen Fällen führen diese Bemühungen erfreulicherweise dazu, dass die ausstehenden Steuererklärungen dann doch noch eingereicht und die offenen Steuerforderungen letztlich beglichen werden – oft dank einvernehmlicher Abzahlungspläne mit Ratenzahlungen.»
Steuerbehörde Kanton Zug

Wenn alles Diskutieren nichts mehr bringt, bleibt den Steuerbehörden nur noch ein Ausweg: Die säumigen Steuerzahler an die Betreibungsämter weitergeben.

Gewisse Querulanten scheinen durch die drohenden hohen Schulden und einer Pfändung des Lohnes «geläutert» zu werden. Zumindest im Kanton St.Gallen, wie die Regierung in ihrer Interpellation festhält. Vorfälle mit Staatsverweigerern seien stark rückläufig.

Hilft auch das nicht, ist der allerletzte Ausweg der Behörden die Polizei. Diese mussten schon zahlreiche Betreibungsämter wegen Staatsverweigerern gemäss einer SRF-Umfrage 2023 einschalten.

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345 Kommentare
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Sagittarius_A*
08.03.2024 06:26registriert September 2022
Also nutzen die Reichsbürger jene legislative Grundlagen deren Staat sie ablehnen? 🥸
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Borki
08.03.2024 06:21registriert Mai 2018
Delikte im Zusammenhang mit Staatsverweigerung gehören in den Ausschaffungskatalog. Da würde es dann für den einen oder anderen davon heissen "heim ins Reich".
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Restrealität
08.03.2024 06:17registriert Mai 2018
Immer wieder erstaunlich, dass die Reichsbürger von sich überzeugt sind, sie hätten in Sachen Staatsführung mehr Erfahrung als 2000 Jahre Zivilisationsgeschichte.
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