In zahlreichen Briefkästen in der ganzen Schweiz landete in diesen Tagen ein doppelseitiger Flyer, der Haarsträubendes bezüglich der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufzudecken scheint. Dahinter steckt die rechtsbürgerliche Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU).
Das mag nicht überraschen. In den letzten Jahren liebäugelte die EDU immer wieder mit Corona-Massnahmen-Kritikern. Vor den Wahlen 2023 ging die EDU im Kanton Zürich etwa Listenverbindungen mit Mass-Voll und Aufrecht ein.
Nun warnt sie mit einem Flyer vor einem WHO-Masterplan, der «unter komplettem Ausschluss der Öffentlichkeit vorbereitet» werde. Es ist eine abstruse Desinformationskampagne wie aus dem Bilderbuch.
Wir haben den Flyer auseinandergenommen.
Der EDU-Flyer stellt viele Behauptungen auf, die angeblich belegt sein sollen. Diese drehen sich um einen «Pandemievertrag und die geänderten Internationalen Gesundheitsvorschriften», welche die WHO per Mai 2024 heimlich durchsetzen wolle. Würden wir Bürger uns jetzt nicht gegen diesen Plan wehren, «lassen wir zu, dass die WHO entscheidet, was du erfahren und diskutieren darfst. Meinungsfreiheit wird ausser Kraft gesetzt», wie im Flyer steht.
Doch es folgen noch mehr fragwürdige Prognosen. Beispielsweise, dass die WHO die Menschen- und Grundrechte ausser Kraft setzen wolle und künftig bestimmen werde, welche Tiere zu impfen oder zu töten seien. Und weiter:
Im Hintergrund befindet sich eine Zeichnung einer nackten Frau, die von Symbolen umgeben ist. Etwa einer Maske, von der aus ein Pfeil zu ihrem Mund geht. Darunter steht «Zensur». Oder eine Spritze mit giftgrünem Inhalt, deren Nadel direkt auf das Herz zielt – ein Symbol für eine Impfung.
Der Mikrochip fehlt bei diesen Emblemen der Verschwörungstheoretiker natürlich auch nicht. Das gelbe Kärtchen befindet sich direkt über dem Kopf der Frau. Auf ihrem Scheitel klafft ein Schlitz, in den der Mikrochip direkt eingeführt werden kann. Daneben steht in Anführungszeichen «Information».
Auf ihrem Flyer nutzt die EDU wahre Begebenheiten und deutet sie um. Die WHO arbeitet derzeit nämlich tatsächlich an einer Überarbeitung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR), wie die Organisation selbst online kommuniziert.
Ziel ist es, die Erkenntnisse, die man aus der Corona-Pandemie gezogen hat, in neue Vorschriften einfliessen zu lassen. Im Mai 2024 soll die neue Fassung der IHR in Kraft treten – so wie das auch die EDU auf ihrem Flyer schreibt. Wie diese Änderungen genau aussehen werden, arbeitet eine Arbeitsgruppe der WHO in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten aber erst noch aus.
Eine Zusammenfassung der vorgeschlagenen Änderungen hat die WHO selbst öffentlich zugänglich online gestellt. Darin steht allerdings nichts von Zwangsimpfungen, Einschränkungen der Meinungsfreiheit oder der Tötung von Haustieren.
Viel mehr ist die Rede etwa von klaren Distributionsplänen, die es brauche, damit in einer künftigen Pandemie oder sonstigen globalen Gesundheitskrise die Bürgerinnen und Bürger aller Staaten den gleichen Zugang zu Impfungen, Diagnoseverfahren, Medikamenten und Sicherheitsausrüstung – beispielsweise Masken – haben. Denn während der Corona-Pandemie horteten reiche Staaten Impfstoffdosen, die später verfielen, während für ärmere Länder keine Dosen mehr übrigblieben.
Auch will die WHO, dass die Staaten Frühwarnsysteme ausarbeiten, damit eine Krankheit, die zu einer globalen Gesundheitskrise führen könnte, früh erkannt werden kann. Weiter hält die WHO explizit in ihrem Entwurf fest, dass mit den neu ausgearbeiteten Verordnungen «unnötige Eingriffe in den internationalen Verkehr und Handel, die Existenzgrundlagen, die Menschenrechte und in den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsprodukten, Gesundheitstechnologien und Know-how vermieden» werden sollen.
Was die WHO vorhat, ist also alles andere als geheim und rechtswidrig. Und noch dazu haben alle Mitgliedstaaten ein Wörtchen mitzureden. Auch die Schweiz.
Angst kann der EDU-Flyer trotzdem schüren. Aber zum Glück verspricht er gleich Abhilfe: Wenn so viele Menschen wie möglich über die Pläne der WHO informiert würden, könne man dafür sorgen, dass diese nicht «hinter ihrem Rücken durchgesetzt werden können».
Mithelfen kann man, indem man den Flyer-Versand sponsert. Möglich ist dies via Website flyer-ueberall.ch. So kann man die Flyer ab Mitte Januar 2024 «schubweise» in alle Briefkästen verteilen. «Auch in diejenigen mit einem Stopp-Kleber», wie die EDU auf der Plattform schreibt. 3,5 Rappen pro Flyer-Versand bezahlt man.
Die Strategie der Desinformationskampagne scheint zu funktionieren. Unbekannte sponserten den Flyer-Versand bereits in den Städten Bern, Zürich, Luzern, St.Gallen, Frauenfeld, Schaffhausen, sowie in zahlreichen kleineren Gemeinden in der ganzen Schweiz, wie aus den Zahlen der Plattform hervorgeht.
Wie viele Flyer so insgesamt schon verteilt wurden, ist jedoch unklar. Die EDU hat auf Anfrage von watson bis Redaktionsschluss nicht reagiert.
Wieso sollte die EDU eine solche Desinformationskampagne starten? Das ist eine berechtigte Frage. Die Antwort ist wahrscheinlich: Sie hat sie gar nicht selbst gestartet. Wahrscheinlich ist die Partei selbst Verschwörungstheoretikern auf den Leim gegangen.
Das zeigt sich anhand der QR-Codes mit weiterführenden Links, welche die EDU auf die Rückseite ihres Flyers druckte. Mit dem Hinweis: «Informiere dich auf folgenden Seiten, wo du weitere Details und offizielle Quellen findest.»
Darunter befindet sich eine Website, die von einer deutschen Autorin betrieben wird. Sie schreibt impfkritische Bücher, etwa das Buch «Vor der ‹Impfung› waren sie gesund. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie nicht Ihren Arzt oder Apotheker», das 2022 erschien. Aber auch eine Website eines angeblichen deutschen Onkologen befindet sich darunter. Er fällt online mit fragwürdigen medizinischen Aussagen auf. Auf seiner persönlichen Website führt er die Ursache von Krebs etwa auf rein psychosomatische Bedingungen zurück.
Daneben verlinkt die EDU die Website der Vereinigung Aletheia. In dieser haben sich impfskeptische Mediziner aus der Schweiz zusammengefunden. Der Gründer des Vereins, der einstige Hausarzt Andreas Heisler, stellte während der Corona-Pandemie zahlreichen seiner Patientinnen und Patienten Maskenbefreiungsatteste aus und nahm an Demonstrationen gegen Corona-Schutzmassnahmen teil, wie SRF berichtete.
Alle drei Quellen haben auf ihren Websites selbst Flyer zum Download freigegeben, die teilweise im Wortlaut die exakt selben Behauptungen zur WHO in die Welt setzen, wie jener, den die EDU nun in Umlauf bringt. Als Belege geben sie gerne tatsächliche offizielle Dokumente der WHO an. Allderings finden sich in diesen keine Passagen, welche die Aussagen der Verschwörungstheoretiker bestätigen.
Traurig, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich von solchem Humbug verrückt machen lassen und diesem Glaube schenken.