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Interview

«Täter wollte sich mit Livestream verewigen»: Internetexperte über Christchurch-Attentäter

Police officers search the area near the Masjid Al Noor mosque, site of one of the mass shootings at two mosques in Christchurch, New Zealand, Saturday, March 16, 2019. (AP Photo/Mark Baker)
Polizisten vor der «Masjid Al Noor»-Moschee in Christchurch.Bild: AP/AP
Interview

«Täter wollte sich mit Livestream verewigen»: Internetexperte über Christchurch-Attentäter

Das Attentat von Christchurch wurde vom Täter gefilmt und live auf Facebook gestreamt. Internetforscher Stefan Humer erklärt, warum sich das nichtverhindern lässt. Und wieso Menschen sich solche Videos anschauen.
15.03.2019, 22:5916.03.2019, 15:23
Raffael Schuppisser / ch media
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Ein Terrorist hat Facebook dazu genutzt, um ein Attentat mit Dutzenden Toten live ins Internet zu streamen. Handelt es sich dabei um eine Zäsur?
Stefan Humer: Das kann man schon so sehen. Wobei es nicht überraschen darf, dass das passiert ist. Ich habe eigentlich befürchtet, dass das schon viel früher geschehen wird. Sobald die technischen Möglichkeiten bereitstehen, werden sie auch missbraucht. So gab es bereits mehrere Livestreams von Selbstmorden auf Facebook. Es ist aber neu, dass ein Terrorist diese Funktion zur Inszenierung eines Attentats mit Dutzenden Toten nutzt, und das dann technisch in dieser «Perfektion» umsetzt. Man sieht und hört den Täter und die Opfer bei dieser abscheulichen Tat.

Warum filmt ein Terrorist seine Tat und streamt sie live ins Internet?
Das scheint alles sehr strategisch geplant gewesen zu sein. Es macht den Eindruck, dass der Täter sich bewusst überlegt hat, wie er am meisten Aufmerksamkeit generieren kann und entsprechend gehandelt hat. Natürlich wollte sich der Täter so auch verewigen. Er will seinem Publikum sagen: Schaut her, das bin ich, das mache ich. Und natürlich möchte er damit Nachahmer zu ähnlichen Taten animieren.

Zur Person: Stephan Humer
Der Soziologe und Informatiker ist Vorsitzender des Netzwerks Terrorismusforschung und Professor für Digitale Innovation und Methodenlehre an der Hochschule Fresenius in Berlin. Zu seinen Schwerpunktthemen gehört unter anderem Verbreitung und Bekämpfung von Terrorismus im Internet. Humer ist 41 Jahre alt und lebt in Berlin.

Funktioniert das?
In dem Moment bekam der Täter vielleicht nicht so viel Aufmerksamkeit, wie er gerne wollte. Doch die Videos kursieren danach ja online. Seine Tat wird also noch lange zu sehen sein.

Beängstigend ist ja auch die Inszenierung. So hört man während der Tat Marschmusik. Der Täter muss einen Lautsprecher bei sich getragen haben.
Genau. Auch hier hat der Täter bereits bei der Planung an die mediale Verbreitung gedacht. Die Musik soll medial unterstreichen, wer hier zur Tat schreitet.

Auf den gängigen Portalen findet man das Video nicht mehr. Haben diese aus ähnlichen Fällen in der Vergangenheit gelernt und gehen beim Löschen vehementer vor.
Ja, es hat sich schon was getan. In den USA wurden Internet-Plattformen wie Twitter und Facebook stärker in die Pflicht genommen, dass Videos mit realer Gewalt oder Propaganda für Terrororganisationen schneller gelöscht werden oder gar nicht verbreitet werden können. Auslöser war vor allem der Kampf gegen den sogenannten «Islamischen Staat». Die Mechanismen wirken aber auch hier. Man reagiert schneller. Dennoch findet man natürlich das Video noch immer im Netz, wenn man ein bisschen technisches Know-how hat. Es wird immer jemanden geben, der es verbreitet. Das Bedürfnis der Menschen, sich solche Videos anzusehen, lässt sich nicht ausrotten.

Darf man sich ein solches Video anschauen?
Man kann es, sollte es aber nicht. Moralisch sollte es viel stärker verurteilt werden, das Video anzuschauen. Ich kann aber aus psychologischer Sicht durchaus nachvollziehen, dass jemand sich das Video anschaut. Es geht um Selbstvergewisserung, was ein sehr natürliches Anliegen ist. Man will wissen, wie das aussieht, was mir passieren könnte. Die normale Reaktion auf dieses Video ist natürlich Ekel und Abneigung. Dass Menschen sich das trotzdem ansehen wollen und ansehen werden, mag archaisch sein, sitzt aber tief in uns drin – damit müssen wir leben. Einfach so verbreiten darf man die Videos aber unter keinen Umständen, da man dann den Tätern ganz konkret hilft.

Nun kann man terroristische Attentate live im Internet miterleben. Eine beängstigende Entwicklung.
Das geht Hand in Hand mit der technischen Entwicklung. Um Aufmerksamkeit zu generieren braucht man keine Medienhäuser oder TV-Anstalten mehr, welche die Botschaft verbreiten. Jedes Individuum kann übers Internet theoretisch Milliarden von Menschen erreichen. Das gilt auch für Terroristen. Damit muss man Leben lernen. Es geht darum, resilienter zu werden. Man nimmt zur Kenntnis, dass es solche Inhalte gibt, verzichtet aber freiwillig darauf, sie anzuschauen. Früher konnte man nur sehen, was man vorgesetzt bekam. Diese Inhalte waren aber stark gefiltert. Nun kann der Konsument theoretisch alles sehen, ist aber selber für die Filterfunktion zuständig. Das birgt auch Verantwortung, die man wahrnehmen muss.

Sollte man Facebook und Youtube nicht mehr in die Pflicht nehmen und die Funktion von Live-Streams verbieten?
Man kann natürlich nach jedem Vorfall den grossen Rundumschlag vornehmen und alles, was irgendwie beteiligt war, verbieten: die Musik, die der Täter abspielte, die Livestream-Funktion, die er nutzte ... doch das wäre nicht nur ein politisches Armutszeugnis, sondern auch sinnlos. Die Erfindungen sind in der Welt und sie bewirken ja auch weit überwiegend Gutes. Technische und rechtliche Ansätze sind da nachrangig, weil sie ohnehin keine finale Lösung bieten.

Das Absurde ist: Es ist schwieriger, eine nackte Brust auf Facebook zu posten als ein Attentat mit Toten.
Das stimmt. Man kann da nicht einfach einen Filter einsetzen wie bei nackter Haut. Eine technische Lösung ist bei Gewaltvideos extrem schwer umzusetzen, weil nicht einfach erkennbar ist, ob es sich um reale Gewalt oder fiktionale Gewalt wie in Filmen handelt. Man müsste entweder Hunderttauende von Menschen anstellen, die jeden Livestream überwachen oder auch gewalthaltige Filme verbieten. Beides ist kein gangbarer Weg.

Wie sollen Medien über solche Attentate berichten?
Da hat sich schon sehr viel getan. Es ist mittlerweile klar, dass man Videos von den Attentätern oder ihren Taten nicht zeigt. Überhaupt rücken die Medien die Täter weniger in den Fokus, sondern berichten mehr über die Tat selber und die Opfer. Das verhindert die Glorifizierung der Täter und schwächt den Nachahmeffekt. Ich kann mir vorstellen, dass das mittlerweile auch Täter erkannt haben und entsprechend handeln. Der Livestream in dem sie ihre Tat zeigen und sich selber inszenieren gibt ihnen nun aber die Möglichkeit, sich wieder in den medialen Fokus zu setzen.

Members of the media wait outside the district court building for word on the man arrested in connection with the mass shootings at two mosques in Christchurch, New Zealand, Saturday, March 16, 2019.  ...
In diesem Gebäude wird der mutmassliche Täter festgehalten.Bild: AP/AP

Die Täter haben auch ein rechtsextremes Manifest veröffentlicht, mit dem sie ihre Tat begründen. Wie sollen Medien damit umgehen?
Ich finde es falsch, wenn man es einfach kommentarlos verlinkt. Wenn man es veröffentlicht, soll man es tun, wie bei der Neuauflage von Adolf Hitlers «Mein Kampf»: kommentiert und eingebettet.

Ist es nicht schockierend, dass der Täter offenbar seine Tat im Internet geplant, ankündigt und verbreitet hat, die Geheimdienste aber nicht rechtzeitig auf ihn aufmerksam geworden sind.
Man weiss noch zu wenig, um das genau beurteilen zu können. Deshalb bin ich mit einem Urteil vorsichtig: Ich bin aber schon erschrocken, wie lange der Täter morden konnten, bevor die Polizei einschritt. Da überrascht es einen auch nicht, wenn im Vorfeld nichts aufgefallen ist. Es scheint nach dem ersten Eindruck schon so, dass die Behörden einiges ändern müssen, wenn man eine Tat so ungestört planen und ausführen kann. (bzbasel.ch)

49 Tote, ein Manifest und grosse Trauer

Video: srf
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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Clife
16.03.2019 01:17registriert Juni 2018
Der Typ war ein typischer Internettroll. Es ist schön wenn man auf Facebook und Twitter geht aber der Typ war auch auf anderen Seiten aktiv (8chan, ev. auch 4chan) und hat da sogar noch mehr über den Tathergang getrollt. Früher waren solche Seiten ja noch interessant aber mittlerweile muss man da sehr aufpassen. Die Menschen sollten echt mal lernen, Foren ernst zu nehmen und nicht nur die „typischen“ sozialen Medien...
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