Es waren andere Zeiten: Als Don Beyer 2009 seine Stelle als US-Botschafter in der Schweiz antrat, tat er dies als Vertreter des frisch gewählten Barack Obama. «Hope» lautete nicht nur dessen Wahlslogan, die USA versprühten plötzlich wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach den zermürbenden Jahren unter George W. Bush.
Heute, unter Donald Trump, ist das anders. Seine Haudrauf-Politik sorgt weltweit für Chaos und Unsicherheit. Dies bekommt auch Beyer (74) zu spüren, der seit 2014 seinen Wahlbezirk im Staat Virginia im US-Repräsentantenhaus vertritt.
Im Interview per Videokonferenz nimmt er kein Blatt vor den Mund.
Wie ist es, im Jahr 2025 ein demokratischer Kongressabgeordneter zu sein?
Don Beyer: Es ist sehr arbeitsintensiv. Ich habe noch nie so viel zu tun gehabt in meiner gesamten Karriere. Ich repräsentierte den Norden von Virginia, in unmittelbarer Nähe zu Washington. Nirgendwo sonst haben wohl mehr Regierungsangestellte ihren Job verloren oder wurden mehr Staatsaufträge storniert. Enorm viele Menschen, die Hilfe brauchen, stellen uns Anfragen. Viele wehren sich, weil sie die Kürzungsmassnahmen von Elon Musks Department of Government Efficiency für illegal halten.
Wie reagieren Sie darauf?
Wir haben Jobmessen und Anlaufstellen organisiert, um die Menschen bei ihrer Arbeitssuche so gut wie möglich zu unterstützen. Vieles ist Neuland, weil wir einen Präsidenten haben, der sich aufführt wie kein Präsident zuvor. Nehmen wir das Beispiel mit den Zöllen. Er erklärte völlig übertrieben einen Notzustand, um sie erlassen zu können. Ich und andere Politiker haben die Verantwortung, dagegen anzukämpfen.
In den ersten 100 Tagen begnadigte Trump die Capitol-Stürmer vom 6. Januar 2021, er attackierte öffentlich den ukrainischen Präsidenten Selenski, er erklärte einen Zollkrieg gegenüber Partnern wie der EU und der Schweiz und er versucht weiterhin persönlich von seinem Amt finanziell zu profitieren, wie zuletzt beim Angebot von Katar für ein 400 Millionen Dollar teures Flugzeug. Ist diese Amtszeit schlimmer als die erste?
Es ist viel schlimmer! Ich habe seine ersten vier Jahre nicht genossen, aber rückblickend wirkt das fast schon harmlos im Vergleich zu heute. Er gewann 2016 zu seiner eigenen Überraschung und hatte keinen wirklichen Plan. Er hatte auch kein Team mit ideologischen Kriegern. Es nominierte relativ normale Leute für die verschiedenen Regierungsposten. Nun hatten seine ultra-rechten Unterstützer vier Jahre lang Zeit, um sich vorzubereiten. Und jetzt setzen sie ihren Plan um, das «Project 2025».
Gerichte haben manche seiner Erlasse als illegal eingestuft, aber Trump ignoriert laut Kritikern die Entscheide. Zudem erhielt Elon Musk – ohne je gewählt zu werden – Zugang zum Weissen Haus, wo er Hilfsorganisationen weltweit Schaden zuführte. Warum funktioniert das US-System der «Checks and Balances» nicht besser?
Die Gerichte funktionieren eigentlich ganz gut. Im Mai haben wir über 95 Prozent der Fälle gegen den Präsidenten gewonnen. Es gibt nur einen oder zwei Fälle, wo er sich über die Urteile hinwegsetzt, so wie im Falle des Urteils des Obersten Gerichts, des Supreme Court, wonach die Deportation venezolanischer Migranten in ein Hochsicherheitsgefängnis in El Salvador illegal ist. Das Gericht forderte, dass er sie zurückbringt, aber er weigert sich. Das könnte eine Verfassungskrise auslösen, aber noch ist es nicht so weit.
Nebst dem Supreme Court müsste das Parlament ein Gegengewicht zum Präsidenten darstellen.
Genau. Aber das Parlament wird derzeit von den Republikanern kontrolliert, sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat. Es gibt zwar vereinzelte Stimmen, die ihm widersprechen, aber die Mehrheit fügt sich ihm und tut, egal was er will.
Bereits vor fünf Jahren warnten Sie im Interview mit CH Media vor dem drohenden Autoritarismus in den USA. Und heute werden in Amerika Migranten ohne jegliches Rechtsverfahren verhaftet und ausgeschafft. Wie besorgt sind Sie?
Ich bin sehr besorgt. Das ist das autoritärste Verhalten, das ich je von einem Präsidenten erlebt habe. Gleichzeitig glaube ich weiterhin an das amerikanische Volk. Eine Sache, die Trump ironischerweise bewirkt hat, ist, dass sich mehr Menschen politisch engagieren. Sie kämpfen, sie widersprechen, sie wollen, dass die USA keine autoritäre oder totalitäre Gesellschaft werden. Denn das widerspricht dem amerikanischen Grundverständnis. Die Exzesse von Trump werden langfristig von der öffentlichen Meinung gestoppt. Mein Job als Teil der Minderheit ist es, die Geschichten des Widerstands zu erzählen.
Der Widerstand scheint brüchig. Viele Unternehmen und Universitäten haben ihre Diversitäts- und Inklusionsprogramme (DEI) aufgegeben oder erlauben Polizisten der Bundesregierung vor Ort, Migranten zu verhaften. Sind Sie überrascht, dass es nicht mehr Widerstand gibt, so wie etwa von der Universität Harvard?
Am enttäuschendsten war das Einknicken der grossen Anwaltskanzleien. Ab dem ersten Studientag wird angehenden Juristen beigebracht, dass sie für die Rechtsstaatlichkeit und die Verfassung kämpfen müssen und Mut beweisen sollten. Aber viele waren schwach und armselig. Jene, die sich Trumps Drohungen gefügt haben, verlieren nun viele Talente und Aufträge. Es ist doch überall so: Niemand mag einen «Bully», der einen niedermacht. Da gilt nur eins, man steht auf und schlägt zurück.
Trotzdem fragen sich viele Menschen, wo der grosse Widerstand der Demokraten bleibt.
Das Problem ist: Wir haben nicht das gleiche Mikrofon wie Trump. Wir fluten alle verfügbaren Plattformen wie Instagram, Tiktok, Bluesky oder Substack. Und wir führen viele Interviews, sogar mit Schweizer Journalisten, ob Sie es glauben oder nicht! Zudem führen wir regelmässig Veranstaltungen durch, um mit dem Volk zu sprechen.
Aber ...
... aber den Demokraten fehlt bisher ein Gesicht dieser Bewegung. Hakeem Jeffries, unser Fraktionschef im Repräsentantenhaus, hat nicht die mediale Durchschlagskraft wie Trump.
Die progressiven Abgeordneten Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez haben mehrere Veranstaltungen durchgeführt, die Zehntausende anlockten ...
Ja, sie sind passioniert und eloquent. Ich mag sie beide. Aber ich würde behaupten, dass sie mit ihrer progressiven Haltung nicht den Mainstream der Demokratischen Partei vertreten.
Es gibt durchaus Stimmen, die eine progressivere Politik der Demokraten fordern.
Die gibt es, ich halte das aber nicht für den richtigen Weg. Trump hat es geschafft, die Arbeiterklasse anzusprechen. Sie war lange unsere Basis. Aber nun hat die Mehrheit der Familien mit niedrigerem Einkommen für Trump gestimmt, während Menschen mit höherem Bildungsgrad und Einkommen die Demokraten wählten. Diese Lücke müssen wir wieder schliessen. Ob richtig oder falsch, aber mit einer progressiveren Politik holen wir nicht die Wähler ab, die kaum über die Runden kommen oder deren Fabrik geschlossen wurde. Trump präsentiert ihnen einen Sündenbock und sagt: Ihr habt keinen Job wegen der Migranten oder weil Frauen und Afroamerikaner bevorzugt werden.
Was nicht der Realität entspricht.
Das ist offensichtlich egal, weil er vielen Wählerinnen und Wählern eine für sie nachvollziehbare Erklärung liefert, weshalb sie nicht von Amerikas Erfolg profitieren.
Dennoch: Das Land hat ein zweites Mal für einen Mann gestimmt, der mehrfach verurteilt wurde, über sexuelle Übergriffe prahlt und Rassismus verbreitet. Was sagt das über das Land aus?
Es ist sehr enttäuschend. Ich lese es so: Seine Wähler sehen zwar seine persönlichen Fehler, seine Lügen, seine Korruption. Aber sie sehen gleichzeitig den Politiker, der behauptet, ihren Alltag besser zu machen, mit massiven China-Zöllen, einer strengeren Migrationspolitik und weniger DEI-Programmen. Und leider gibt es nach wie vor genügend Rassismus, der bei der Kandidatur von Kamala Harris wohl eine signifikante Rolle gespielt hat.
Verstehen Sie Touristen, die ihre Reise in die USA absagen?
Absolut. Ich liebe mein Land und möchte, dass es ein Vorbild in der Welt ist. Aber das Streichen unseres Hilfsprogramm USAID hat gemäss Schätzungen bisher mehr als 10'000 Todesopfer in der Subsahara zur Folge gehabt, wo wir Impfungen nicht mehr fördern. Auch wenn der Präsident sagt, er wolle Kanada zum 51. Staat der USA machen, hat das Folgen für unseren Tourismus. Das Image der USA leidet derzeit.
Ein Graben ist bei den Demokraten beim Thema Gaza zu sehen. Seit dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 sind – je nach Quelle – über 50'000 Menschen in Gaza gestorben, über 120'000 wurden verletzt. Die UNO kritisiert Israels Kriegsmassnahmen, spricht von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sieht Muster eines Völkermordes. Welche Haltung vertreten Sie?
Ich habe schon im Dezember 2023 öffentlich für einen Waffenstillstand plädiert. Ich habe drei Mal gegen die Lieferung von Angriffswaffen an Israel gestimmt. Ich habe kein Problem, den «Iron Dome» und andere Abwehrtechnologien der Israelis zu unterstützen. Aber ja, viele junge Demokraten waren von der Biden-Regierung enttäuscht, weil er den Anschein machte, Israel den Rücken zu stärken, auch wenn Trump selbst null Mitgefühl für Gaza hat. Es ist kompliziert. Die Hamas will Israel und Juden vernichten, und Israel verlangt eine Kapitulation der Hamas, was nicht geschehen ist bis jetzt. Und so sterben jeden Tag weiter Erwachsene und Kinder.
Nach Ihrer Zeit in der Schweiz sagten Sie, Sie seien ein Fan des hiesigen Mehrparteiensystems. Glauben Sie, dass es – auch angesichts dieser internen Gräben – künftig mehr grosse Parteien in den USA geben wird?
Kurzfristig nicht. Ich liebe das Schweizer Modell. Bei Abendessen erzähle ich oft davon, dass die Schweiz sieben Mitglieder in der Exekutive hat, von verschiedenen Parteien. Diese Politik des Kompromisses ist in den USA derzeit praktisch nicht vorhanden. Das ist tragisch. Deshalb sehe ich auch nicht, was es bringen würde, wenn sich eine Partei aufteilen würde.
Bevor Sie bei der Wahl 2020 Joe Biden unterstützten, war der damalige Jungpolitiker Pete Buttigieg Ihr Favorit. Bereits jetzt wird über andere aussichtsreiche Kandidaten für 2028 spekuliert, wie Wes Moore, Alexandria Ocasio-Cortez oder Tim Walz. Auf wen setzen Sie?
Wes Moore ist ein Star, er tritt sehr gut auf. Auch Andy Beshear, den Gouverneur von Kentucky, könnte ich mir vorstellen, genauso wie Josh Shapiro, der Gouverneur von Pennsylvania. Aber ja, ich unterstütze Pete nach wie vor. Ich habe ihm vor ein paar Wochen geschrieben, dass ich wieder in seinem Lager wäre, falls er sich für eine Kandidatur entscheidet. Er ist enorm klug, kompetent und machte einen hervorragenden Job als Verkehrsminister unter Biden. Und ich mag ihn als Menschen. Ob das Land bereit ist für einen verheirateten, homosexuellen Präsidenten mit zwei Kindern? Ich weiss es nicht. Aber ich wähle nicht danach, wer gewinnen kann, sondern wer der beste Präsident wäre. Und ich glaube, das wäre Pete.
Das sind allesamt moderate Demokraten. Eine Mitte-Kandidatur, wie jene von Kamala Harris und Tim Walz, hat doch aber soeben nicht funktioniert.
Kamala Harris mag moderat sein, aber sie wurde nicht als eine Kandidatin der Mitte wahrgenommen. Es gab verheerende TV-Spots der Gegner im Wert von mehreren Millionen Dollar in den Swing States wie Arizona und Pennsylvania, die das verzerrte Bild einer ultralinken Kalifornierin zeichneten.
Sie gaben Ihren Botschafterposten in Bern 2013 auf. Wie ist heute das Image der Schweiz in den USA?
Sehr positiv. Ich erwähne die Schweiz in praktisch jeder Diskussion. Alle möchten das Land besuchen, weil sie wissen, wie schön es ist.
Der Untergang der Credit Suisse hat am Image nicht gekratzt?
Das denke ich nicht. Ich schätze die Schweiz vor allem für ihre Staatsstruktur, die Governance. Die meisten Amerikaner haben keine Ahnung, wie föderalistisch die Schweiz aufgestellt ist. Ich erkläre es den Leuten immer gerne, aber die meisten denken nach wie vor an die Schokolade, die Uhren, die Alpen und die Pharmaindustrie.
Trotzdem geriet auch die Schweiz unter Trumps Zollhammer.
Die Zölle gegenüber der Schweiz waren verrückt! Das Handelsdefizit hat in erster Linie mit den Pharma-Importen zu tun, die wir nun mal benötigen. Und die Schweiz gehörte in den vergangenen Jahren stets zu den sieben grössten Investoren in den USA.
Haben Sie Tipps für die Schweizer Regierung im Umgang mit der Trump-Administration?
Wenn ich helfen kann, tue ich das. Aber die Schweiz hatte bis vor kurzem mit Jacques Pitteloud einen sehr guten Botschafter in Washington. Er gehörte zu den präsentesten Staatsvertretern in Washington, er war bei allen Events dabei und kannte viele Kongressmitglieder. Diese Beziehungen müssen weitergepflegt werden, auch wenn nun Trump im Weissen Haus ist.
Wie oft besuchen Sie die Schweiz noch?
Meine Frau und ich waren vor zwei Jahren da, wir gingen ans Montreux Jazz Festival und besuchten Freunde in Bern. Das Land prägt mich bis heute. Die USA schwenken mal abrupt nach rechts, dann nach links, während die Schweiz langsam vorwärtsgeht. So gehe ich auch als Politiker vor, ich versuche stets Republikaner für meine Vorstösse an Bord zu holen. Diese mögen dann vielleicht nicht immer bahnbrechend sein, aber sie sind breit abgestützt und bringen Verbesserungen.
Und wie lange möchten Sie noch in Washington bleiben?
Ich liebe meinen Job und trete 2026 wieder an. Klar, es gibt jüngere Leute, aber im Moment habe ich die Erfahrung und das Netzwerk, um etwas zu bewirken. Und ich hoffe, ich kann noch ein bisschen länger weitermachen. (aargauerzeitung.ch)
(... den Putin je hatte.)
Es braucht eine andere Gangart um die stabile Orange aus den Angeln zu heben. es genügt nicht auf die REPs zu zeigen die x Mio ausgeben um jemanden zu verunglimpfen, man muss das Gleiche tun. Offensichtlich sind die AMIs nur so abzuholen; durch Drecksarbeit. Ist schade und jämmerlich, aber wohl eine Tatsache.
Doch, genau das! Ein Bernie Sanders setzt sich genau für jene Leute ein, die die Demokraten verloren haben, weil sie glauben, dass sich die Demokraten nur um Intellektuelle und Ausländer kümmern.
Nur müsste man wahrscheinlich ein bisschen populistischer kommunizieren, damit die Arbeiter auch wirklich verstehen, dass Trumps Politik für Billionäre ist und eine demokratische Politik besser für die Arbeiter ist. Aber ein rechter Demokrat ist der falsche Weg