Bilal Saleh erntete in der Nähe von Nablus im Westjordanland Oliven, als bewaffnete radikale Siedler Kugeln auf ihn und andere Palästinenser abfeuerten. Eine Kugel traf den 40-Jährigen in die Brust und tötete ihn.
Zu den Überlebenden zählten Salehs Söhne Mohamed (14) und Musa (8) sowie sein Bruder, der von der israelischen Polizei nach einer kurzen Zeugenaussage in Handschellen und blutbefleckter Kleidung abgeführt worden war, wie ein Reporter der «Washington Post» beobachtete.
A brutal terrorist attack by Israeli settlers near Nablus.
— AHMED | أحمد (@ASE) October 28, 2023
Israeli terrorist settlers ambush a group of Palestinian farmers harvesting olives on their own private lands near Al-Saauiya south Nablus.
The settlers approach the farmers & slaughter a 40 year old man Bilal Saleh &… pic.twitter.com/noGaJgPJO6
Der tödliche Angriff ereignete sich am 28. Oktober 2023 – drei Wochen nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel. «Der Vorfall widerspiegelt die zunehmende Gewalt im Westjordanland seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober», sagt Mohamed Salem, Beamter des Bildungsministeriums der Palästinensischen Autonomiebehörde. Und es zeigt sich auch in den Zahlen:
Der israelische Geheimdienst Shin Bet zeigte sich besorgt über das Gewaltausmass im Westjordanland. Viele Siedler haben das Gefühl, sie könnten straflos handeln, sagt Dror Sadot, Sprecherin des Geheimdienstes.
Auch der amerikanische Präsident Joe Biden hat die Angriffe stark kritisiert. Die «extremistischen Siedler» würden durch ihre Angriffe auf Palästinenser «Öl ins Feuer giessen». Die EU fordert, dass Israel palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten schützen müsse.
Seit Beginn des Krieges sind in den Palästinensischen Autonomiegebieten 115 Menschen, darunter 33 Kinder, von israelischen Soldaten oder Siedlern getötet worden. Dies berichtet das Amt der Vereinten Nationen zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) mit Sitz in Genf.
Vor Kriegsbeginn ereigneten sich im Schnitt drei Zwischenfälle pro Tag – aktuell seien es gemäss OCHA acht. Darunter fallen Übergriffe, Diebstähle und Einschüchterungen.
Über 1000 Palästinenser seien seit dem 7. Oktober aus ihren Häusern vertrieben worden. Olivenhaine sind in Brand gesetzt, Autos zerschlagen, Wasserquellen zerstört und Häuser angezündet worden.
Rund 100'000 palästinensische Familien sind im Westjordanland auf die Einkommensquellen von Oliven angewiesen. In der trockenen Region verschärft sich die Wasserknappheit durch die Besetzung Israels jährlich – denn Israel kontrolliert den palästinensischen Zugang zu Wasser. «Der Wassermangel ist kein ökologisches Problem, sondern ein ungerechtes Verteilungssystem», schreibt Amnesty International.
Die Palästinenser leben in Angst. «Wir können nicht mehr schlafen, es ist ein Albtraum», sagt Alia Mlihat aus Muarradschat gegenüber der AFP. Der 27-Jährige lebt in einem Beduinendorf zwischen Ramallah und Jericho. Die Siedler würden die Palästinenser gewaltvoll auffordern, nach Jordanien auszuwandern.
«Wir erleben eine zweite Nakba», so Mlihat.
«Nakba» bedeutet auf Arabisch «Katastrophe» und bezieht sich auf die Zeit nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948, als etwa 700'000 Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben wurden.
Das Westjordanland und Ost-Jerusalem werden seit dem Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzt. Im selben Jahr wurden die ersten völkerrechtswidrigen Siedlungen errichtet. Die Siedler halten es für ihr gottgegebenes Recht, sich in Judäa und Samaria (die biblischen Namen für das Westjordanland) niederzulassen.
Seither kommt es in dem Gebiet immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den rund 500'000 Siedlern und den 2,3 Millionen Palästinensern, die im Westjordanland leben.
Seit dem Amtsantritt der rechtsextremen Regierung von Premierminister Benjamin Netanyahu im Dezember 2022 dreht die Gewaltspirale wieder schneller. Der rechtsextreme nationale Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir rief noch vor dem Krieg dazu auf, die «Hügel zu stürmen» – also noch mehr Siedlungen zu gründen. Seit dem Hamas-Angriff erleichterte er die Verteilung von Waffen an Israelis, davon profitieren auch die jüdischen Siedler.
2023 zählt das Gebiet bereits vor Kriegsbeginn die meisten Todesopfer seit der sogenannten zweiten Intifada (2000 bis 2005), als mehrere palästinensische Attentate und Aufstände den Nahen Osten erschütterten. Damals starben rund 1000 Israeli und rund 3500 Palästinenser.
Durch das Westjordanland zieht derzeit eine Verhaftungswelle. 2200 Palästinenser sind seit Kriegsbeginn festgenommen worden, darunter die bekannte palästinensische antizionistische Aktivistin Ahed Tamimi. Ihr wird Anstiftung zur Gewalt gegen jüdische Siedler vorgeworfen.
Die 22-Jährige wurde zum Symbol des palästinensischen Widerstands, als sie im Alter von 16 einen israelischen Soldaten ohrfeigte – und dafür zu acht Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Bereits im Alter von 11 zeigte sie israelischen Soldaten vor laufender Kamera die Faust. Das Video kursiert derzeit in den sozialen Medien – meist ohne Kontext.
22-year-old Ahed Tamimi has been arrested in the West Bank for issuing threats against Israelis online.
— Visegrád 24 (@visegrad24) November 7, 2023
She wrote: “We will kill you, drink your blood and feast on your skulls.”
She became famous at age 11 when she was filmed attacking Israeli soldiers pic.twitter.com/J3PurnZSSI
Israel zufolge seien die Verhaftungen Teil der «militärischen Kampagne gegen den Terrorismus». Amnesty International zufolge handelt es sich vielfach um willkürliche Verhaftungen. Einige Videoaufnahmen und Bilder würden auf Folter und anderen Misshandlunge hindeuten.
Die Angriffe radikaler Siedler gegen Palästinenser finden im Schatten des Krieges in Gaza statt. Presseteams versuchen, auch ein Auge auf das Westjordanland zu werfen, doch bei der Arbeit sind Journalisten eingeschränkt.
Einem Reporter der «Washington Post» ist es aus «Sicherheitsgründen» verboten worden, mit einem arabischen Fahrer ins Westjordanland einzureisen. Ein ARD-Team ist bei einer Recherche vom israelischen Militär aufgehalten und bedroht worden.
«Wir zahlen für das, was passiert ist», sagt der Ziegenzüchter Abu Baschar gegenüber AFP. Zusammen mit 200 anderen ist der Palästinenser aus einem Beduinendorf zwischen Ramallah und Jericho vertrieben worden.
Der Wunsch zurückzukehren ist gross, die Hoffnung klein: «Die Siedler haben einen langfristigen Plan, uns zu vertreiben», sagt er. «Während alle auf Gaza schauen, haben sie die Gelegenheit genutzt.»
Die ultraorthodoxen Sidler ihrerseits beziehen sich auf ihr religiöses Recht, dass dieses Land ihr „heiliges“ Land sei. Sie enteignen, bauen und erhalten Schutz durch Armee und Polizei.
Es ist genau dieses Thema der illegalen Siedlungen im Westjordanland, das die israelische Regierung endlich beenden muss.
Im Ernst: Es wird sich erst etwas ändern, wenn der Westen endlich griffige SANKTIONEN gegen Israel verhängt.
Das sollte bei völkerrechtswidrigen Besetzungen ja eigentlich völlig selbstverständlich sein - ausser es geht um Israel...