Es müssen grauenhafte Szenen gewesen sein: Eine Rakete iranischer Bauart schlug am Samstag auf einem belebten Fussballplatz in den von Israel annektierten Golanhöhen ein. Mindestens zwölf Menschen im Alter von 10 bis 20 Jahren sind dabei getötet worden. Israel machte die Hisbollah verantwortlich und kündigte Vergeltung an.
In der libanesischen Hauptstadt Beirut herrschte am Tag darauf deshalb eine angespannte Ruhe vor einem möglichen Angriff Israels gegen die Hisbollah-Miliz.
Die Strassen der Küstenstadt waren am Wochenende wie üblich vergleichsweise leer - womöglich auch deshalb, weil Anwohner zu Hause die aktuellen Nachrichten zum Konflikt mit Israel verfolgten. In vielen Cafés und Restaurants drehte sich das Gespräch über die Lage an der südlichen Grenze des Landes mit Israel.
«Ich mache mir Sorgen, weil ich meine Kinder hergebracht habe, um den Sommer mit der Familie zu geniessen», sagte Sami Kinaan, ein in Dubai lebender Geschäftsmann. «Und ich hasse es, das Land mit drei Kindern schnell verlassen zu müssen, wenn Israel angreifen sollte.» Andere zeigte sich eher gleichgültig. Israel habe Treffer auf die Hisbollah seit Oktober angekündigt, aber weder Israel noch die Hisbollah wollten einen Krieg, sagte die Anwohnerin Mona Dahir. Sie interessiere nicht, ob Israel angreife - sie ginge trotzdem zum Strand.
Teilweise waren am Himmel israelische Kampfflugzeuge zu hören. «Sie wollen uns Angst einjagen, aber wir sind Überlebenskünstler», sagte ein Kellner namens Imad. «Ich bin hier, um auf andere Gedanken zu kommen», sagte ein Restaurantbesitzer. Eine Frau sagte:
Auch die Hisbollah richtet sich nach eigenen Angaben auf einen möglicherweise schweren Angriff Israels ein. «Wir sind seit Monaten in Bereitschaft und halten Ausschau nach jeglichem Angriff des Feindes», erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Miliz.
Bereits in der Nacht bombardierte die israelische Luftwaffe nach Militärangaben mehrere Hisbollah-Ziele im Libanon. Der Vorfall löste international Bestürzung und Sorge vor einer Eskalation der Gewalt in der Region aus. UN-Vertreter riefen beide Parteien zu «grösstmöglicher Zurückhaltung» auf. Auch die USA und die EU verurteilten den Angriff.
Die Hisbollah teilte in einer Erklärung mit, sie habe mit dem Angriff nichts zu tun. Dies wurde jedoch von Israel als falsch eingestuft. Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi sagte bei einem Besuch am Ort des Einschlags, es handele sich um eine Falak-Rakete mit einem 53-Kilogramm-Sprengkopf. Es sei eine Rakete der Hisbollah. «Wer eine solche Rakete auf ein Wohngebiet schiesst, will Zivilisten töten, will Kinder töten.»
Der Raketenangriff traf einen Ort, in dem vor allem arabischsprachige Drusen leben. Die Religionsgemeinschaft ist im elften Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangen. In Israel dienen viele Drusen in der Armee.
Die Golanhöhen sind ein strategisch wichtiges Felsplateau, etwa 60 Kilometer lang und 25 Kilometer breit. Im Sechstagekrieg 1967 wurde das Plateau von Israel erobert und 1981 annektiert. Dies wurde international aber nicht anerkannt. Nach internationalem Recht gelten die Gebiete als von Israel besetztes Territorium Syriens. Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte die Golanhöhen im März 2019 formell als Staatsgebiet Israels anerkannt und damit eine Kehrtwende in der US-Aussenpolitik vollzogen.
Ein Sprecher des israelischen Aussenministeriums sagte, es gebe nur eine Möglichkeit, einen umfassenden Krieg zu verhindern, «der auch für den Libanon verheerend wäre». Die Hisbollah müsse gezwungen werden, sich gemäss einer UN-Resolution bis hinter den Litani-Fluss zurückzuziehen, schrieb Oren Marmorstein bei X. Dieser liegt 30 Kilometer von der Grenze zwischen Israel und dem Libanon entfernt. «Jetzt ist es die allerletzte Minute, dies noch diplomatisch zu tun.»
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA verurteilte den Raketenangriff und versicherte in einer Mitteilung: «Unsere Unterstützung für Israels Sicherheit gegen alle vom Iran unterstützten Terrorgruppen, einschliesslich der libanesischen Hisbollah, ist eisern und unerschütterlich.» Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich über den Angriff schockiert. «Wir rufen alle Seiten zu äusserster Zurückhaltung und zur Vermeidung jeglicher weiterer Eskalation auf», teilte er auf der Plattform X mit.
Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, führte derweil in Rom Gespräche über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg. Die indirekten Gespräche zwischen Israel und der islamistischen Hamas, bei denen die USA, Katar und Ägypten vermitteln, verlaufen seit Monaten sehr schleppend. Seit Mai kreisen sie um einen mehrstufigen Plan von US-Präsident Joe Biden, der am Ende eine dauerhafte Waffenruhe im Gaza-Krieg vorsieht. Ausserdem sollen die Geiseln in der Gewalt der Hamas gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. (kma/sda/dpa)