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Golanhöhen-Massaker: Libanesen fürchten möglichen Grossangriff Israels

Mourners from the Druze minority surround the bodies of some of the 12 children and teens killed in a rocket strike at a soccer field, during their funeral, in the village of Majdal Shams, in the Isra ...
Opfer des Raketenangriffs in den Golanhöhen: Tausende nahmen an der Beerdigung teil.Bild: keystone

Nach Massaker auf Fussballplatz: Im Libanon fürchtet man möglichen Grossangriff Israels

Im Libanon herrscht nach dem vermeintlichen Hisbollah-Angriff auf Israels Golanhöhen Angst vor einem Vergeltungsschlag. Für Israel sind jetzt die letzten Minuten angebrochen, eine diplomatische Lösung zu finden.
28.07.2024, 15:5328.07.2024, 16:23
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Es müssen grauenhafte Szenen gewesen sein: Eine Rakete iranischer Bauart schlug am Samstag auf einem belebten Fussballplatz in den von Israel annektierten Golanhöhen ein. Mindestens zwölf Menschen im Alter von 10 bis 20 Jahren sind dabei getötet worden. Israel machte die Hisbollah verantwortlich und kündigte Vergeltung an.

In der libanesischen Hauptstadt Beirut herrschte am Tag darauf deshalb eine angespannte Ruhe vor einem möglichen Angriff Israels gegen die Hisbollah-Miliz.

Die Strassen der Küstenstadt waren am Wochenende wie üblich vergleichsweise leer - womöglich auch deshalb, weil Anwohner zu Hause die aktuellen Nachrichten zum Konflikt mit Israel verfolgten. In vielen Cafés und Restaurants drehte sich das Gespräch über die Lage an der südlichen Grenze des Landes mit Israel.

«Ich mache mir Sorgen, weil ich meine Kinder hergebracht habe, um den Sommer mit der Familie zu geniessen», sagte Sami Kinaan, ein in Dubai lebender Geschäftsmann. «Und ich hasse es, das Land mit drei Kindern schnell verlassen zu müssen, wenn Israel angreifen sollte.» Andere zeigte sich eher gleichgültig. Israel habe Treffer auf die Hisbollah seit Oktober angekündigt, aber weder Israel noch die Hisbollah wollten einen Krieg, sagte die Anwohnerin Mona Dahir. Sie interessiere nicht, ob Israel angreife - sie ginge trotzdem zum Strand.

Teilweise waren am Himmel israelische Kampfflugzeuge zu hören. «Sie wollen uns Angst einjagen, aber wir sind Überlebenskünstler», sagte ein Kellner namens Imad. «Ich bin hier, um auf andere Gedanken zu kommen», sagte ein Restaurantbesitzer. Eine Frau sagte:

«Für mich ist der Verlust jeglicher Zivilisten auf beiden Seiten traurig.»

Auch die Hisbollah richtet sich nach eigenen Angaben auf einen möglicherweise schweren Angriff Israels ein. «Wir sind seit Monaten in Bereitschaft und halten Ausschau nach jeglichem Angriff des Feindes», erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Miliz.

Israel glaubt Hisbollah-Erklärung nicht

Bereits in der Nacht bombardierte die israelische Luftwaffe nach Militärangaben mehrere Hisbollah-Ziele im Libanon. Der Vorfall löste international Bestürzung und Sorge vor einer Eskalation der Gewalt in der Region aus. UN-Vertreter riefen beide Parteien zu «grösstmöglicher Zurückhaltung» auf. Auch die USA und die EU verurteilten den Angriff.

Die Hisbollah teilte in einer Erklärung mit, sie habe mit dem Angriff nichts zu tun. Dies wurde jedoch von Israel als falsch eingestuft. Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi sagte bei einem Besuch am Ort des Einschlags, es handele sich um eine Falak-Rakete mit einem 53-Kilogramm-Sprengkopf. Es sei eine Rakete der Hisbollah. «Wer eine solche Rakete auf ein Wohngebiet schiesst, will Zivilisten töten, will Kinder töten.»

epa11320985 Chief of the General Staff of the Israel Defense Forces (IDF), Herzi Halevi attends a wreath-laying ceremony marking Israel's national Holocaust Remembrance Day in the Hall of Remembr ...
Glaubt der Hisbollah nicht: israelische Generalstabschef Herzi Halevi.Bild: keystone

Der Raketenangriff traf einen Ort, in dem vor allem arabischsprachige Drusen leben. Die Religionsgemeinschaft ist im elften Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangen. In Israel dienen viele Drusen in der Armee.

Die Golanhöhen sind ein strategisch wichtiges Felsplateau, etwa 60 Kilometer lang und 25 Kilometer breit. Im Sechstagekrieg 1967 wurde das Plateau von Israel erobert und 1981 annektiert. Dies wurde international aber nicht anerkannt. Nach internationalem Recht gelten die Gebiete als von Israel besetztes Territorium Syriens. Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte die Golanhöhen im März 2019 formell als Staatsgebiet Israels anerkannt und damit eine Kehrtwende in der US-Aussenpolitik vollzogen.

Letzte Chance für Diplomatie

Ein Sprecher des israelischen Aussenministeriums sagte, es gebe nur eine Möglichkeit, einen umfassenden Krieg zu verhindern, «der auch für den Libanon verheerend wäre». Die Hisbollah müsse gezwungen werden, sich gemäss einer UN-Resolution bis hinter den Litani-Fluss zurückzuziehen, schrieb Oren Marmorstein bei X. Dieser liegt 30 Kilometer von der Grenze zwischen Israel und dem Libanon entfernt. «Jetzt ist es die allerletzte Minute, dies noch diplomatisch zu tun.»

Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA verurteilte den Raketenangriff und versicherte in einer Mitteilung: «Unsere Unterstützung für Israels Sicherheit gegen alle vom Iran unterstützten Terrorgruppen, einschliesslich der libanesischen Hisbollah, ist eisern und unerschütterlich.» Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich über den Angriff schockiert. «Wir rufen alle Seiten zu äusserster Zurückhaltung und zur Vermeidung jeglicher weiterer Eskalation auf», teilte er auf der Plattform X mit.

Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, führte derweil in Rom Gespräche über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg. Die indirekten Gespräche zwischen Israel und der islamistischen Hamas, bei denen die USA, Katar und Ägypten vermitteln, verlaufen seit Monaten sehr schleppend. Seit Mai kreisen sie um einen mehrstufigen Plan von US-Präsident Joe Biden, der am Ende eine dauerhafte Waffenruhe im Gaza-Krieg vorsieht. Ausserdem sollen die Geiseln in der Gewalt der Hamas gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. (kma/sda/dpa)

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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Idealisst, Fabulisst, Alchemisst
28.07.2024 16:15registriert Januar 2014
Wie muss man sich das eigentlich vorstellen? Schauen die Staatspräsidenten, Generäle und Terorristen jeweils zuerst auf X, um zu entscheiden, wer ist dafür und wer ust dagegen? Was ich eigentlich sagen will: Diese Posts auf X, in denen verurteilt oder aufgerufen wird, sind doch purer Populismus, oder nicht? Kann doch keiner ernsthaft später sagen «Aber ich habe doch auf X gesagt, dass …»
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Frank N. N. Stein
28.07.2024 16:35registriert August 2022
Der Nahe Osten ist wohl ein Gebiet, in dem nie Frieden herrschen wird. Frieden wollen dort zwar sicherlich die allermeisten Menschen. Aber Terroristen und machthungrige Regime profitieren leider von ewigem Terror und Krieg.
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Rhabarber
28.07.2024 16:46registriert Dezember 2023
Extremisten und Fanatikern - völlig egal - welcher Sorte, Farbe, politischer Ausrichtung oder sonstwas - kann niemals geglaubt werden.
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«Wenn Israel Territorium einnimmt, gibt es dieses meistens nicht zurück»
Eine Woche nach Assads Sturz bleibt offen, wie es mit Syrien weitergeht. Nahost-Experte Andreas Krieg über den zunehmenden Hass auf Israel, den Einfluss des Westens und die Rolle der syrischen Rebellen als revolutionäres Vorbild.

Nach dem Sturz des Assad-Regimes hat Israel diese Woche massiv Infrastruktur in Syrien zerstört. Waffenlager, Armeeeinrichtungen, Flughäfen, die Marine. Wie beurteilen Sie das Vorgehen Israels?
Andreas Krieg:
Die Israelis argumentieren, dass nun die einmalige Möglichkeit besteht, Syrien militärisch fundamental zu schwächen. Was letztlich aber angegriffen wird, ist nicht das Assad-Regime, sondern das, was von Syrien noch existiert.

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