Ein Regionalkommando des US-Militärs teilte am 17. Juli mit: Die USA stellen den Betrieb eines provisorischen Hafens vor der Küste des Gazastreifens ein. Im März 2024, bei seiner Rede an die Nation, hatte US-Präsident Joe Biden angekündigt, dass ein solcher Hafen provisorisch gebaut werde – als Übergangslösung.
Am 17. Mai erreichten schliesslich die ersten Lieferungen mit Hilfsgütern den schwimmenden Pier des provisorischen Hafens. Die Kosten dafür werden vom Pentagon auf rund 300 Millionen US-Dollar (276 Millionen Euro) beziffert.
Bis im Mai 2024 funktionierten Hilfslieferungen nur über den ägyptischen Hafen und über Israel. Diese steckten wegen langwieriger Sicherheitskontrollen jedoch häufig lange am Grenzübergang Rafah fest. Mit dem provisorischen Nothafen in Gaza wollten die USA schneller, einfacher und mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen liefern können.
Die US-Regierung rechnete damit, dass dank des Hafens vorerst 90 LKW-Ladungen an Hilfsgütern pro Tag in den Gazastreifen gelangen könnten. Später sollten es 150 LKW-Ladungen täglich werden.
Hilfsorganisationen begrüssten die Errichtung der Anlage. Sie wiesen allerdings darauf hin, dass Transporte auf dem Landweg viel effizienter wären. Die US-Regierung betonte, dass die Hilfslieferungen über den Seeweg, jene über den Landweg und aus der Luft nicht ersetzen, sondern ergänzen sollten. Kritiker wiesen wiederum mehrfach darauf hin, dass es genügend Landübergänge gäbe, um die Zivilbevölkerung mit ausreichend Wasser, Essen und Medikamenten zu versorgen. Doch dafür müssten die USA Israel dazu bringen, diese Übergänge zu öffnen.
Sozusagen über einen Korridor über das Mittelmeer. Frachter lieferten Hilfslieferungen zunächst von Zypern aus zu einer schwimmenden Plattform, einige Kilometer vor der Küste des Gazastreifens. Dort verlud man die Güter auf kleinere Schiffe, die am schwimmenden Pier in Gaza anlegen konnten. Anschliessend nahmen LKWs von Hilfsorganisationen die Lieferungen entgegen und verteilten sie an die Bevölkerung.
In der Realität gestalteten sich die Hilfslieferungen über den Seeweg allerdings sehr schwierig. Der raue Seegang verursachte immer wieder Schäden am Pier. Daneben kam es bei der Verteilung der Hilfsgüter zu Problemen.
Wie UNO-Sprecher Stéphane Dujarric dem «Spiegel» erzählte, verliessen im Mai beispielsweise 16 Lastwagen voller Hilfsgüter den Hafen. «Elf dieser Lastwagen schafften es nie bis zum Lagerhaus.» Dafür hätten sie Gebiete durchqueren müssen, in denen es keinerlei Hilfe gegeben habe. Verzweifelte Menschen hätten die Lastwagen deshalb angehalten und sich genommen, was sie brauchten.
Das ist unklar. Die US-Regierung hat bisher keinen Grund dafür angegeben. Stattdessen bemühte sich der Vertreter des US-Regionalkommandos Centcom darum, das Projekt nach wie vor als Erfolg darzustellen. Nach Einschätzung des US-Militärs habe der Pier die beabsichtigte Wirkung erzielt, nämlich: «Eine sehr grosse Menge an Hilfsgütern in den Gazastreifen zu bringen und sicherzustellen, dass die Hilfe die Zivilbevölkerung im Gazastreifen schnell erreicht».
Zahlen dazu, wie viele Hilfslieferungen tatsächlich da ankamen, wo sie sollten, lassen sich jedoch nirgends finden. Kritiker vermuten, dass das Ziel verfehlt worden sei, mit den über die Anlegestelle gelieferten Hilfsgütern eine drohende Hungersnot im Gazastreifen zu verhindern.
Wie gross der Einschnitt sein wird, lässt sich aufgrund fehlender Zahlen zu der Anzahl Hilfslieferungen, die bis dato über den provisorischen Hafen an die Zivilbevölkerung gelangte, nur schwer sagen. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Not der palästinensischen Zivilbevölkerung noch grösser wird.
Tatsache ist: Die humanitäre Notlage in Gaza hat sich mit Israels Rafah-Offensive, die im Mai 2024 startete, verschärft. Israel bombardiert den Süden des Gazastreifens und damit ein Gebiet, in das ein Grossteil der Bevölkerung Gazas seit dem Ausbruch des Krieges geflüchtet ist. Unter Beschuss kamen dabei bisher sowohl Zeltlager und Spitäler als auch Schulen.
Gleichzeitig hat Israel den Grenzübergang Rafah unter seine Kontrolle gebracht und geschlossen. Schwerverletzte können den Gazastreifen seither nicht mehr verlassen. Die Lieferung von Hilfsgütern hat sich zusätzlich erschwert.
Katastrophal. So schreiben die Vereinten Nationen (UNO) am Donnerstag in einer Medienmitteilung: «Das humanitäre Hilfssystem in Gaza ist kurz vor dem totalen Kollaps. Die öffentliche Ordnung ist völlig zusammengebrochen.»
Die Stadt Rafah liege in Trümmern. Fast zwei Millionen Menschen seien vertrieben worden. Das sei fast die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens. Viele von ihnen seien mehrfach vertrieben worden. «Nirgendwo in Gaza ist man sicher», schreibt die UNO weiter.
Daneben seien fast eine halbe Million Menschen von katastrophaler Nahrungsmittelknappheit betroffen, übertragbare Krankheiten seien auf dem Vormarsch und der Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen, Hygiene und Gesundheitsdiensten im gesamten Gebiet stark eingeschränkt.
Humanitäre Konvois seien zudem häufig nicht in der Lage, lebensrettende Güter in Sicherheit abzuholen und zu verteilen. Auch nicht am wichtigen Grenzübergang Karem Abu Salem/ Kerem Shalom. Angriffe auf humanitäre Helfer und Unterkünfte sowie Angriffe auf oder in der Nähe von medizinischen und humanitären Einrichtungen gingen weiter. «Gesetzlosigkeit und Kriminalität sind an der Tagesordnung.»
Die UNO fordert von Israel darum, die Grenzübergänge für Hilfslieferungen zu öffnen: «Der Zugang zu humanitärer Hilfe in grossem Umfang und ihre Lieferung in alle Teile des Gazastreifens sind für das Überleben und das Wohlergehen der Zivilbevölkerung von entscheidender Bedeutung.»
Die US-Regierung liess verkünden, dass eine alternative Route geplant ist, die Hilfsgüter in den abgeriegelten Küstenstreifen möglich machen soll. Und zwar über den Hafen von Ashdod. Die israelische Grossstadt liegt direkt am Mittelmeer und 25 Kilometer vom Gazastreifen entfernt.
Wie diese Alternativroute über Israel aussehen, wann sie eröffnet werden oder wie viele Hilfslieferungen sie möglich machen sollte – zu all diesen Fragen lieferte die US-Regierung bisher keine Antworten.
Wie viel effektiv an Hilfsgütern darüber geliefert wurden weiss ich allerdings nicht. Aber dass Statement der USA, dass er seinen Zweck so wie erwartet erfüllt hat mag ich zu bezweifeln.