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Globaler Kampf gegen den Hunger – das sind die Brennpunkte

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Sudanesische Flüchtlinge in einem Flüchtlingscamp an der Grenze zum Tschad. Seit im Sudan ein bewaffneter Konflikt tobt, sind mehr als 650'000 Menschen in den Tschad geflohen. Bild: keystone

Globaler Kampf gegen den Hunger – das sind die Brennpunkte

15.07.2024, 11:0815.07.2024, 11:14
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Die Agenda 2030 der UNO hat sich zum Ziel gesetzt, den Hunger weltweit bis zum Jahr 2030 zu beenden. Sechs Jahre vor Ablauf dieser Frist ist die Weltgemeinschaft weiter davon entfernt als noch vor einem Jahrzehnt: Der Kampf gegen den Hunger macht kaum Fortschritte, vornehmlich aufgrund der Zunahme von bewaffneten Konflikten, der Folgen der sich zuspitzenden Klimakrise, der Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie und der sich weiterhin verschärfenden globalen Ungleichheiten.

Auch 2024 sind es vor allem Länder des Globalen Südens, besonders auf dem afrikanischen Kontinent, die am stärksten von Hungerkrisen betroffen sind. Das World Food Programme (WFP) hat zusammen mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) in einem Report nur schon für Juni bis Oktober 2024 insgesamt 18 Länder und Gebiete identifiziert, die in diesem Zeitraum besonders stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sein werden: sogenannte Hunger Hotspots.

Diese 18 Brennpunkte sind entsprechend ihrer Gefährdung in drei Gruppen gegliedert:

  • extrem besorgniserregend: besetzte palästinensische Gebiete (Gazastreifen), Sudan, Südsudan, Mali und Haiti
  • stark besorgniserregend: Tschad, Demokratische Republik Kongo, Jemen, Syrien und Myanmar
  • besorgniserregend: Sierra Leone, Burkina Faso, Nigeria, Zentralafrikanische Republik, Äthiopien, Somalia, Libanon sowie die Region der vier Staaten Sambia, Mosambik, Malawi und Simbabwe
Brennpunkte des Hungers, Hunger Hotspots 2024
https://www.fightfoodcrises.net/hunger-hotspots/en/
In den fünf am dunkelsten eingefärbten Ländern und Gebieten – von West nach Ost Haiti, Mali, Sudan, Südsudan und palästinensische Gebiete – ist die Lage extrem besorgniserregend. Karte: fightfoodcrises.net

Nicht alle diese Länder und Regionen sind jeweils vollumfänglich von einer Hungerkrise betroffen. In Nigeria ist es beispielsweise der Nordosten des Landes, wo einem Teil der Bevölkerung eine katastrophale Hungerkrise droht. Dort wütet seit Langem ein Konflikt zwischen Regierungstruppen und islamistischen Aufständischen. In Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, sind in absoluten Zahlen am meisten Menschen von Hunger bedroht.

In den als extrem besorgniserregend eingestuften Ländern und Gebieten gibt es Brennpunkte des Hungers, in denen Menschen schon jetzt oder in naher Zukunft vom Hungertod bedroht sind und die akute Unterernährung bereits als extrem kritisch gilt. In der fünfstufigen internationalen Krisenskala Integrated Food Security Phase Classification (IPC) entspricht dies der Stufe 5. Die Lage dort wird hier kurz skizziert:

Palästinensische Gebiete

Nachdem die palästinensische Terrororganisation Hamas am 7. Oktober in Israel ein Massaker verübt hatte, griff die israelische Armee den Gazastreifen mit massiven Luftschlägen und Bodenoffensiven an. Der nach wie vor anhaltende Konflikt hat Zehntausende von Todesopfern gefordert und enorme Schäden verursacht. Zudem sind grosse Teile der Bevölkerung des Gazastreifens zum Teil mehrmals aus ihren Unterkünften vertrieben worden.

CORRECTS LOCATION TO KHAN YOUNIS - Palestinians collect food aid ahead of the upcoming Eid al-Adha holiday in Khan Younis, Gaza Strip, Saturday, June 15, 2024. (AP Photo/Jehad Alshrafi)
Verteilung von Nahrungsmitteln in Khan Younis im Gazastreifen.Bild: keystone

Bis Mitte Juli werden voraussichtlich mehr als eine Million Menschen – mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens – von Hunger und Tod bedroht sein, wenn die Hilfslieferungen weiterhin nur in unzureichendem Masse bei jenen ankommen, die sie benötigen.

Sudan

Im April 2023 eskalierten Kämpfe zwischen dem sudanesischen Militär und der paramilitärischen Miliz RSF zu einem Bürgerkrieg, der vermutlich – da keine politische Lösung in Sicht ist – auch in diesem Jahr andauern wird. Im Zuge des Konflikts wurden 8,8 Millionen Menschen vertrieben, was den Sudan zur grössten Vertreibungskrise der Welt macht. 6,8 Millionen davon sind Binnenvertriebene, die anderen wurden in Nachbarländer vertrieben, wo zum Teil ebenfalls prekäre Verhältnisse herrschen.

FILE - Sudanese Children suffering from malnutrition are treated at an MSF clinic in Metche Camp, Chad, near the Sudanese border, on April 6, 2024. The United Nations food agency warned Sudan?s warrin ...
Ein unterernährtes sudanesisches Kind wird in einem Flüchtlingslager im Tschad behandelt.Bild: keystone

Der Bürgerkrieg hat dazu geführt, dass wichtige Infrastrukturen zerstört wurden und die Produktion und Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln stark beeinträchtigt wurde. Dies hat die ohnehin bereits gefährliche Hungerkrise verschärft: Rund 17,7 Millionen Menschen wissen derzeit nicht, wie sie zu ihrer nächsten Mahlzeit kommen. Schätzungsweise 3,7 Millionen Kinder sind akut unterernährt – mehr als ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor.

Südsudan

2011 erlangte der Südsudan seine Unabhängigkeit vom Sudan. Das Land war seither Schauplatz bewaffneter Konflikte und humanitärer Krisen; spürbar sind zudem immer noch die Auswirkungen der schweren Überschwemmungen in den vergangenen Jahren. Der Report von WFP und FAO erwartet für den Sommer 2024 eine katastrophale Ernährungsunsicherheit für 79'000 Menschen im Südsudan – beinahe doppelt so viele wie im letzten Jahr. Zudem werden voraussichtlich mehr als 1,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren sowie 870'000 schwangere und stillende Frauen akut unterernährt sein.

epa11000674 epa10622722 Sudanese refugees and South Sudanese returnees travel atop a truck transporting them from the border towards the Upper Nile State town of Renk, South Sudan, 12 May 2023. Fleein ...
Sudanesische Flüchtlinge und südsudanesische Heimkehrer auf dem Weg von der Grenze zum Sudan ins Landesinnere des Südsudans. Bild: keystone

Die ohnehin angespannte Lage wird sich überdies durch den Zuzug von Flüchtlingen, vornehmlich aus dem Sudan, weiter verschärfen. Voraussichtlich werden bis zum Ende des Jahres etwa 820'000 Menschen in den Südsudan kommen, mehr als die Hälfte von ihnen Südsudanesen, die aus dem Sudan in ihre Heimat zurückkehren. Dies wird den Mangel an Ressourcen und die Ernährungsunsicherheit im Land verstärken und die Preise für Lebensmittel in die Höhe treiben.

Mali

Seit 2012 dauert in dem westafrikanischen Land ein bewaffneter Konflikt zwischen Regierungstruppen, der bewaffneten Unabhängigkeitsbewegung der Tuareg sowie mehreren meist islamistischen Milizen an. Die malischen Regierungstruppen werden mittlerweile von russischen Truppenkontingenten unterstützt, denen massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Seit Dezember 2023 sind 354'000 Menschen aus ihrer Heimat geflohen; die andauernden Kampfhandlungen werden voraussichtlich noch mehr Menschen vertreiben.

FILE- Malian women sift wheat in a field near Segou, central Mali, Jan. 22, 2013. In 2022, Families across Africa are paying about 45% more for wheat flour as Russia's war in Ukraine blocks expor ...
Frauen sieben Weizen auf einem Feld in Mali. Bild: keystone

Der vollständige Abzug der UNO-Stabilisierungsmission hat die Unsicherheit im Land noch verstärkt; so errichten etwa bewaffnete Banden Blockaden, was dazu führt, dass Hilfsgüter nicht mehr zu den Bedürftigen gelangen und Lebensmittel nicht zu den lokalen Märkten gebracht werden können. Dies führt dazu, dass stets mehr Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sind – besonders in der Region Ménaka, wo schätzungsweise 3000 Menschen vom Hungertod bedroht sind. Landesweit sind mehr als 120'000 Menschen von der Notlage betroffen; im Laufe des Jahres werden voraussichtlich 1,4 Millionen Kinder akut unterernährt sein.

Haiti

Seit Jahren befindet sich Haiti in einer schweren Krise – und es ist kein Ende in Sicht. Die politischen Institutionen sind dysfunktional und völlig instabil, die Korruption und das Bandenwesen grassieren. Dazu kommen ständige Naturkatastrophen wie Erdbeben, Wirbelstürme und Dürreperioden, die den Teufelskreis aus Armut und Gewalt perpetuieren. Für diesen Sommer drohen etwa überdurchschnittliche Niederschläge, die wohl zu Überschwemmungen führen werden. Die erwarteten hohen Temperaturen wiederum dürften den Schädlingsbefall begünstigen und damit zu Ernteausfällen führen.

FILE - A server ladles soup into a container as children line up to receive food at a shelter for families displaced by gang violence, in Port-au-Prince, Haiti, March 14, 2024. More than 360,000 have  ...
Kinder stehen in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince für Essen an.Bild: keystone

Das karibische Land, das als einziges in der westlichen Hemisphäre von massiver akuter Ernährungsunsicherheit betroffen ist, lag 2023 im Welthunger-Index auf Rang 115 von 125 Ländern, für die überhaupt ausreichende Daten vorlagen. Im Sommer 2024 werden voraussichtlich 1,6 Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein. (dhr)

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Zahlen und Fakten zum Hunger
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Ein Drittel aller weltweit produzierten Nahrungsmittel wird nicht verzehrt; viel landet in der Energieproduktion oder in wohlhabenden Ländern auf dem Müll.
quelle: x02850 / jorge dan lopez
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Unermessliches Elend in Jemen
Video: srf
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112 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hierundjetzt
15.07.2024 13:03registriert Mai 2015
Seltsamerweise sind 3/4 davon sind muslimisch regiert. Haiti oder Südsudan sind keine Staaten mehr per Definition. Da ist nichts mehr was etwas mit “Staat” zu tun hat
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mute
15.07.2024 12:45registriert März 2021
südlich der Sahara liegt die Geburtenrate bei 4,6 pro Frau. Wieso macht man so viele Kinder, wenn man eh weiss, dass man sie nicht ernähren kann.
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Dave Hawtin
15.07.2024 14:56registriert Dezember 2021
verschiedene Quelle im Netz sagen, dass der Westen (inkl. Australien, Neuseeland) zwischen 1,45 bis 1,6 Billionen Dollar schon nach Afrika gespendet haben. Das sind 1600 Milliarden Dollar. Die Population von Aufrika ist im gleichen Zeitraum (ab 1960 ca) von knapp 225 Millionen auf aktuell über 1.15 Milliarden Menschen angewachsen. Die 1600 Milliarden haben defacto das Leid und die Armut in absoluten Zahlen, um ein vielfaches, erhöht. Keinen Rappen mehr spenden. Sie müssen lernen sich selbst zu helfen. China hat es mit seinen 20 Jahrespläne und der ein Kind Politik geschafft.
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