Die Agenda 2030 der UNO hat sich zum Ziel gesetzt, den Hunger weltweit bis zum Jahr 2030 zu beenden. Sechs Jahre vor Ablauf dieser Frist ist die Weltgemeinschaft weiter davon entfernt als noch vor einem Jahrzehnt: Der Kampf gegen den Hunger macht kaum Fortschritte, vornehmlich aufgrund der Zunahme von bewaffneten Konflikten, der Folgen der sich zuspitzenden Klimakrise, der Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie und der sich weiterhin verschärfenden globalen Ungleichheiten.
Auch 2024 sind es vor allem Länder des Globalen Südens, besonders auf dem afrikanischen Kontinent, die am stärksten von Hungerkrisen betroffen sind. Das World Food Programme (WFP) hat zusammen mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) in einem Report nur schon für Juni bis Oktober 2024 insgesamt 18 Länder und Gebiete identifiziert, die in diesem Zeitraum besonders stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sein werden: sogenannte Hunger Hotspots.
Diese 18 Brennpunkte sind entsprechend ihrer Gefährdung in drei Gruppen gegliedert:
Nicht alle diese Länder und Regionen sind jeweils vollumfänglich von einer Hungerkrise betroffen. In Nigeria ist es beispielsweise der Nordosten des Landes, wo einem Teil der Bevölkerung eine katastrophale Hungerkrise droht. Dort wütet seit Langem ein Konflikt zwischen Regierungstruppen und islamistischen Aufständischen. In Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, sind in absoluten Zahlen am meisten Menschen von Hunger bedroht.
In den als extrem besorgniserregend eingestuften Ländern und Gebieten gibt es Brennpunkte des Hungers, in denen Menschen schon jetzt oder in naher Zukunft vom Hungertod bedroht sind und die akute Unterernährung bereits als extrem kritisch gilt. In der fünfstufigen internationalen Krisenskala Integrated Food Security Phase Classification (IPC) entspricht dies der Stufe 5. Die Lage dort wird hier kurz skizziert:
Nachdem die palästinensische Terrororganisation Hamas am 7. Oktober in Israel ein Massaker verübt hatte, griff die israelische Armee den Gazastreifen mit massiven Luftschlägen und Bodenoffensiven an. Der nach wie vor anhaltende Konflikt hat Zehntausende von Todesopfern gefordert und enorme Schäden verursacht. Zudem sind grosse Teile der Bevölkerung des Gazastreifens zum Teil mehrmals aus ihren Unterkünften vertrieben worden.
Bis Mitte Juli werden voraussichtlich mehr als eine Million Menschen – mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens – von Hunger und Tod bedroht sein, wenn die Hilfslieferungen weiterhin nur in unzureichendem Masse bei jenen ankommen, die sie benötigen.
Im April 2023 eskalierten Kämpfe zwischen dem sudanesischen Militär und der paramilitärischen Miliz RSF zu einem Bürgerkrieg, der vermutlich – da keine politische Lösung in Sicht ist – auch in diesem Jahr andauern wird. Im Zuge des Konflikts wurden 8,8 Millionen Menschen vertrieben, was den Sudan zur grössten Vertreibungskrise der Welt macht. 6,8 Millionen davon sind Binnenvertriebene, die anderen wurden in Nachbarländer vertrieben, wo zum Teil ebenfalls prekäre Verhältnisse herrschen.
Der Bürgerkrieg hat dazu geführt, dass wichtige Infrastrukturen zerstört wurden und die Produktion und Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln stark beeinträchtigt wurde. Dies hat die ohnehin bereits gefährliche Hungerkrise verschärft: Rund 17,7 Millionen Menschen wissen derzeit nicht, wie sie zu ihrer nächsten Mahlzeit kommen. Schätzungsweise 3,7 Millionen Kinder sind akut unterernährt – mehr als ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor.
2011 erlangte der Südsudan seine Unabhängigkeit vom Sudan. Das Land war seither Schauplatz bewaffneter Konflikte und humanitärer Krisen; spürbar sind zudem immer noch die Auswirkungen der schweren Überschwemmungen in den vergangenen Jahren. Der Report von WFP und FAO erwartet für den Sommer 2024 eine katastrophale Ernährungsunsicherheit für 79'000 Menschen im Südsudan – beinahe doppelt so viele wie im letzten Jahr. Zudem werden voraussichtlich mehr als 1,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren sowie 870'000 schwangere und stillende Frauen akut unterernährt sein.
Die ohnehin angespannte Lage wird sich überdies durch den Zuzug von Flüchtlingen, vornehmlich aus dem Sudan, weiter verschärfen. Voraussichtlich werden bis zum Ende des Jahres etwa 820'000 Menschen in den Südsudan kommen, mehr als die Hälfte von ihnen Südsudanesen, die aus dem Sudan in ihre Heimat zurückkehren. Dies wird den Mangel an Ressourcen und die Ernährungsunsicherheit im Land verstärken und die Preise für Lebensmittel in die Höhe treiben.
Seit 2012 dauert in dem westafrikanischen Land ein bewaffneter Konflikt zwischen Regierungstruppen, der bewaffneten Unabhängigkeitsbewegung der Tuareg sowie mehreren meist islamistischen Milizen an. Die malischen Regierungstruppen werden mittlerweile von russischen Truppenkontingenten unterstützt, denen massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Seit Dezember 2023 sind 354'000 Menschen aus ihrer Heimat geflohen; die andauernden Kampfhandlungen werden voraussichtlich noch mehr Menschen vertreiben.
Der vollständige Abzug der UNO-Stabilisierungsmission hat die Unsicherheit im Land noch verstärkt; so errichten etwa bewaffnete Banden Blockaden, was dazu führt, dass Hilfsgüter nicht mehr zu den Bedürftigen gelangen und Lebensmittel nicht zu den lokalen Märkten gebracht werden können. Dies führt dazu, dass stets mehr Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sind – besonders in der Region Ménaka, wo schätzungsweise 3000 Menschen vom Hungertod bedroht sind. Landesweit sind mehr als 120'000 Menschen von der Notlage betroffen; im Laufe des Jahres werden voraussichtlich 1,4 Millionen Kinder akut unterernährt sein.
Seit Jahren befindet sich Haiti in einer schweren Krise – und es ist kein Ende in Sicht. Die politischen Institutionen sind dysfunktional und völlig instabil, die Korruption und das Bandenwesen grassieren. Dazu kommen ständige Naturkatastrophen wie Erdbeben, Wirbelstürme und Dürreperioden, die den Teufelskreis aus Armut und Gewalt perpetuieren. Für diesen Sommer drohen etwa überdurchschnittliche Niederschläge, die wohl zu Überschwemmungen führen werden. Die erwarteten hohen Temperaturen wiederum dürften den Schädlingsbefall begünstigen und damit zu Ernteausfällen führen.
Das karibische Land, das als einziges in der westlichen Hemisphäre von massiver akuter Ernährungsunsicherheit betroffen ist, lag 2023 im Welthunger-Index auf Rang 115 von 125 Ländern, für die überhaupt ausreichende Daten vorlagen. Im Sommer 2024 werden voraussichtlich 1,6 Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein. (dhr)