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Das grösste Verdienst von Tesla sind nicht die eigenen Autos

FILE - In this Sunday, Feb. 3, 2019, file photograph, an unsold 2019 S75D sits at a Tesla dealership in Littleton, Colo. Tesla's assembly lines slowed down during a rocky start to the new year, w ...
Bild: AP/AP
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Das grösste Verdienst von Tesla sind nicht die eigenen Autos

12.04.2019, 09:1012.04.2019, 14:44
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Der März 2019 geht in die Schweizer Autogeschichte ein. Zum ersten Mal seit über 100 Jahren ist ein Elektroauto das meistverkaufte Fahrzeug im Land. Der Bann ist gebrochen.

Dass Tesla die Marke ist, die in der Schweiz diesen Rekord knackt, ist indes wenig erstaunlich. Zwar behaupten böse Zungen, die Zahl sei geschönt, weil sie auch jahrealte Bestellungen beinhalte – oder noch etwas hämischer: Der Rekord habe nur wegen vorangehender Lieferprobleme geknackt werden können.

Doch dies ist nur ein letztes Aufheulen einiger Ewiggestriger. Dem elektrischen Antrieb gehört die Zukunft – in welcher Form, wird sich zeigen. Und Tesla wird als DER neuzeitliche Pionier schlechthin dastehen. Weil der amerikanische Autobauer neben vielen Fehlern auch sehr viel richtig gemacht hat:

  • Tesla hat erkannt, dass der wichtigste Schlüssel des Erfolges nicht das Auto, sondern die Batterie ist.
  • Tesla hat erkannt, dass der zweitwichtigste Schlüssel zum Erfolg nicht das Auto, sondern ein Netzwerk an Ladestationen ist.
  • Tesla macht Elektroautos für Autofahrer und nicht für Jute-statt-Plastik-Tagträumer, die sowieso nie ein (neues) Auto kaufen.
  • Tesla hat erkannt, dass Autofahrer nicht mit Verzicht zu ködern sind, sondern nur mit Euphorie und Begeisterung.
  • Um Euphorie und Begeisterung für Elektrofahrzeuge aufkommen zu lassen, suchte und fand Tesla ein Feature, das Verbrenner alt aussehen lässt: Das Feature heisst Beschleunigung.
  • Tesla hat mit Musk einen charismatischen CEO, der polarisiert und es brillant versteht, immer wieder Aufmerksamkeit zu generieren.
  • Tesla hat sich von einem Autohersteller zu einem Energiekonzern gewandelt.
  • Tesla verkauft nicht nur Autos, sondern das Gefühl, die Welt zu verbessern.

Der aber wirklich grösste Verdienst von Tesla fehlt in dieser Liste:

Tesla hat einer uninspirierten, rückständigen und selbstgefälligen Industrie derart den Hintern versohlt, dass dieser nun nichts anderes übrig bleibt, als die ehemals belächelten Ideen kleinlaut und schnellst möglich zu kopieren.

Ein paar Beispiele gefällig?

Volvos All-In

This undated photo provided by Volvo shows the 2016 Volvo V60. The Volvo V60 Cross Country has Scandinavian style, but the standard model lacks the rearview camera. (Volvo via AP)
Volvo produziert ab 2019 keine Autos ohne Elektromotor mehr.Bild: AP/Volvo

Volvo kündigte 2017 an, ab 2019 keine reinen Verbrenner mehr zu verkaufen. Jeder Volvo soll mindestens ein Hybrid, idealerweise aber vollelektrisch sein. «Damit setzt Volvo eines der wichtigsten Zeichen in der gesamten Autoindustrie», heisst es in der Pressemitteilung.

Bravo Volvo, bravo! Als wärst du selber auf die Idee gekommen.

Der wissenschaftliche Konsens zum menschengemachten Klimawandel existiert nicht erst seit 2017. Wieso kam dieser Schritt nicht früher? Wieso dümpelte ausgerechnet der Erfinder des Dreipunktgurtes – jener Erfindung, welche die meisten Menschenleben rettete – so lange im Sumpf der Mut- und Visionslosen?

Wieso waren es nicht die Schweden Chinesen, die den Markt mit einer reinen Elektro-Strategie aufmischten?

Ich behaupte: Ohne Tesla läge diese Pressemitteilung auch heute noch im Ordner «Zukunftsvisionen» irgendwo auf einem Volvo-Server.

Audi: Vom Saulus zum Paulus?

Der neue 100% elektrische Audi e-Tron wird in einem Werk in Brüssel gebaut, das *hüstel* CO2-neutral *hüstel* sein *hüstel* soll. Den Wahrheitsgehalt dieser Aussage würden Expertisen externer Prüfkräfte bestätigen.

Keine fünf Jahre zuvor mogelte Audis Mutterkonzern bei den Abgaswerten und sorgte damit für tausende von vorzeitigen Todesfällen. Und jetzt will Audi plötzlich von sich aus vom Saulus zum Paulus geworden sein?

Man braucht kein Hellseher zu sein, um das Werk in Brüssel als eine Reaktion auf Teslas Giga-Factory in Nevada zu identifizieren. Vermutlich ist die Audi-Kopie sogar besser als das Tesla-Original. Dennoch bleiben die Amerikaner den Beweis schuldig, dass ihre Gigafactory eines Tages tatsächlich nur von erneuerbaren Energien gespeist wird. Ende 2019 soll es (endlich) soweit sein.

Der springende Punkt ist: Wieso klammerte sich Audis Mutterkonzern Volkswagen derart hartnäckig ans alte Gift, statt schon früher durch Innovationsfreude und Mut zu glänzen? Auch die Deutschen benötigten einen kräftigen Tritt in den Hintern. Und er kam von Tesla.

Übrigens: Wie auch Volvo will sich VW endgültig vom Verbrennungsmotor trennen. Ca. 2040 sollen die letzten Verbrenner von VW verkauft werden. Der Konzern will in den nächsten 5 Jahren 30 Milliarden in die Elektromobilität investieren.

Interessant: Analysten gehen davon aus, dass die direkten Kosten des Abgasskandals für Volkswagen über 30 Milliarden Dollar betragen – die Strafe fällt also etwa gleich hoch aus wie die zukünftigen Investitionen.

Weshalb Marktführer neue Technologien verpassen: Das Innovator-Dilemma:

Im Sog von Tesla versuchen es neue Motorradhersteller

Der Mut und der Erfolg von Tesla hat auch die fast noch konservativere Motorradbranche aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Auch hier sind es nicht die alteingesessenen Hersteller wie Honda, Yamaha oder Suzuki, die mit aufregenden Elektro-Motorrädern aufwarten. Es sind Quereinsteiger wie Energica aus Italien, Johammer aus Österreich, Brammo, Victory oder Lightning aus den USA. Harley Davidson bringt nach mehreren Jahren Vorlaufzeit endlich die langersehnte LiveWire. Ab April werden Vorbestellungen entgegengenommen.

Die Philosophie dieser Hersteller ist mit der von Tesla zu vergleichen: Nicht mit Verzicht gängeln, sondern mit Euphorie glänzen. Elektromotorräder scheinen aber einen noch schwereren Stand zu haben als ihre vierrädrigen Pendants. Ein Grund dafür dürfte sein, dass das Reichweitenproblem der Batterien sich mit dem beschränkten Platz der Zweiräder potenziert.

Der Johammer J1. Mindestens so mutig wie ein Tesla.
Der Johammer J1. Mindestens so mutig wie ein Tesla.bild: energica
Die Zero SR – 2019 kommt das neue Modell SR/F.
Die Zero SR – 2019 kommt das neue Modell SR/F. bild: zero motorcycles

Tesla ist bei Weitem nicht perfekt. Das Überleben des Grosskonzerns ist noch immer nicht gesichert, die Herkunft des Kobalts aus den Batterien ist unter Umständen auch bei Tesla problematisch (eine entsprechende Anfrage von CNN konnte Tesla nicht abschliessend entschärfen), die Unberechenbarkeit von CEO Musk ist für den Konzern zum Risikofaktor geworden und ja, die Türgriffe fühlen sich vielleicht nicht ganz so wertig an wie bei einem Hersteller, der schon seit mehreren Jahrzehnten immer dieselben Fahrzeuge baut.

Trotzdem kann man die Leistung von Tesla nicht genug würdigen. Mit ausgestreckten Mittelfingern stellt sich der amerikanische Autobauer nicht nur gegen die milliardenschwere Autoindustrie, sondern auch gegen die Ölindustrie. Diese wiederum gibt hunderte von Millionen für Falschmeldungen und klimaskeptische Propaganda aus.

Tesla hat dabei wie einst Winkelried eine Bresche geschlagen, die sich nicht mehr schliessen lässt. Und das ist die grösste Leistung des Konzerns. Der Elektroantrieb wird den Verbrenner verdrängen. Und nur schon weil so viel Chuzpe belohnt werden sollte, hat es Tesla verdient, den Fight zu überleben und noch ein paar weitere Monate von der Spitze nicht nur der Schweizer Verkaufscharts zu grüssen. Auf dass die Produktion nicht mehr ins Stocken gerät.

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125 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Triumvir
12.04.2019 09:29registriert Dezember 2014
Ohne den Visionär Elon Musk, wäre dies nicht möglich gewesen. Er wird dafür - vollkommen zu recht - in die Geschichtsbücher eingehen. Wir brauchen mehr solche Wirtschaftsführer, die nicht nur an die Vermehrung ihres eigenen Vermögens und an die Aktionäre denken. Dann besteht vielleicht noch Hoffnung für unseren schönen Planeten.
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MacB
12.04.2019 09:32registriert Oktober 2015
Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.

Mahatma Gandhi
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Madison Pierce
12.04.2019 09:55registriert September 2015
(2/2) Dieser schlägt sein Ei mit der Spitze auf den Tisch, so dass diese leicht eingedrückt wird und das Ei stehen bleibt. Als die Anwesenden protestieren, dass sie das auch gekonnt hätten, antwortete Kolumbus: „Der Unterschied ist, meine Herren, dass Sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan!“

=> Diese Anekdote fällt mir dazu ein. Jahrelang hiess es von den etablierten Autobauern, ein E-Auto mit guter Reichweite sei technisch nicht möglich. Dann hat Tesla einfach mal eines gebaut. Tesla ist nicht perfekt und ich besitze kein Auto von ihnen, aber ich bin froh, dass es sie gibt.
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Vor einem Gericht in Paris hat am Montag der Prozess gegen einen 38 Jahre alten Fotografen begonnen, der 17 Frauen bei Fotoshootings sexuell missbraucht haben soll. Für die ihm angelasteten Taten soll der Mann sich laut Anklage auf Kontaktplattformen als Modefotograf auf der Suche nach Modellen ausgegeben haben. Nach immer gleichem Schema soll er die Frauen 2015 und 2016 in sein Fotostudio gelockt und dort mit Alkohol oder K.-o.-Tropfen in einen wehrlosen Zustand versetzt haben. Dann solle er sie zu freizügigen Fotos gedrängt und die Frauen schliesslich brutal missbraucht haben, berichteten die Zeitung «Libération» und der Sender BFMTV unter Verweis auf die Ermittler.

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