Entfällt in Europa bald ein wichtiger Grund, die Bahn dem Flugzeug vorzuziehen? Die französische Eisenbahngesellschaft SNCF geht dazu über, für Reisegepäck Gebühren zu verlangen. Das schrittweise Vorgehen nährt den Verdacht, dass sie die Reisenden nach und nach an die Einschränkungen wie auf Billigflügen gewöhnen will.
Seit dieser Woche sind im klassischen TGV nur noch zwei Gepäckstücke erlaubt. Die zugelassenen Dimensionen in der Kategorie «Essentiel» – der Economy-Klasse der SNCF – betragen 90 × 70 × 50 Zentimeter für das grössere Tragstück und 40 × 30 × 15 für das kleinere. Dazu ist ein Handgepäck erlaubt.
Die Ausmasse wirken auf den ersten Blick eher grosszügig. Wer sich allerdings nicht daran hält, muss neu – nach Ablauf einer halbjährigen Einführungsphase – eine beträchtliche Busse von 50 Euro gewärtigen. Die zahlreichen Kritiker führen in den sozialen Medien ferner an, dass Reisende auf Langstrecken wie Nizza-Paris die ökologischere Bahn gerade dann einem Flug vorzögen, wenn sie zum Beispiel mit zwei Koffern unterwegs seien. Nun gilt das nicht mehr. Sondergepäckstücke wie Kinderwagen oder Snowboards bleiben zugelassen, sind aber auf 130 Zentimeter – also auch für Skis – und 30 Kilogramm Gewicht limitiert; der Transport von Fahrrädern kostet bei der SNCF weiterhin 10 Euro.
SNCF-Sprecher betonen auf Anfrage, es gehe der Bahn nicht um zusätzliche Einnahmen, sondern um den «Komfort» der Reisenden: Allzu oft versperrten Koffer den Mittelgang oder fielen gar aus den Ablagen herunter. Die neuen Normen lägen zudem «weit über denjenigen in Flugzeugen geltenden Limiten».
Der Konsumentenverband «Que Choisir» unterstellt dagegen der SNCF, die Bahn verfolge eine «ähnliche Strategie wie die Billig-Airlines». In einem ersten Schritt habe sie mit dem TGV «Ouigo» ausdrücklich Lowcost-Züge geschaffen: Die Preise für die Zugreise mit dem Ouigo-TGV sind sehr tief. Dafür werden alle Zusatzdienstleistungen extra verrechnet – vom Sitz bis zur Steckdose. Zudem ist nur ein «Kabinengepäck» von 55 × 35 × 25 Zentimeter plus ein Handgepäck unentgeltlich.
Als die SNCF diese für Jugendliche gedachten Ouigo-Billigzüge vor einem Jahrzehnt einführte, geschah dies zur Abgrenzung von den klassischen TGV-Zügen, in denen es keine Gepäckauflagen gab. Dass sie nun auch in diesen «normalen» TGV-Zügen gelten, stösst auf harsche Kritik.
Auch das Webportal Hellobiz wirft der SNCF vor, sie auferlege den Reisenden «zunehmend Gepäckkosten wie die Lowcost-Flieger». Anders als beim Fliegen spiele das Gewicht auf dem Schienentransport kaum eine Rolle; die SNCF habe deshalb weniger Grund als Fluggesellschaften, zusätzliche Kilogramme in Rechnung zu stellen.
Hellobiz befürchtet, dass die neuen Auflagen selbst unter Bahnfreunden «eine zunehmende Frustration bewirken und die praktische Seite des Zugfahrens generell infrage stellen». Zugreisen mit Hochgeschwindigkeit seien schon heute sehr teuer, kosteten sie doch oft das Doppelte wie im Auto oder Flugzeug. Die neuen Einschränkungen machten das Reisen unbeliebt und seien deshalb umweltschädlich.
Andere Medien fragen, ob den Zugreisenden bevorstehe, was beim Lowcost-Fliegen einreisse – nämlich eine verwirrende Vielfalt von zugelassenen Gepäckgrössen und -varianten. Der grösste französische TV-Sender TF1 stellte jüngst beim Vergleich von zehn Airlines fest, dass sie entgegen dem Harmonisierungswunsch des EU-Parlamentes allesamt unterschiedliche Kabinengepäck-Limiten befolgen. Vor wenigen Tagen konnte eine Berufsviolinistin ihren Flug mit Ryanair von Marseille nach Berlin nicht absolvieren, weil ihre 200 Jahre alte Geige einen Zentimeter zu lang für die Kabine war. Die SNCF verspricht, dass solcherlei bei Bahnfahrten nie vorkommen werde. (aargauerzeitung.ch)
* sarkasmus ende *