Die olympische Stadt hat offensichtlich eine Katzenkultur. Es gibt hier Katzencafés. Vielerorts lachen den Chronisten die Katzengraffiti des legendären Streetart-Künstlers Thomas Vouille («Monsieur Chat») an. Es gibt Katzenpensionen und Katzenhotels, wo die Tiere die Zeit überbrücken, wenn ihre Menschen in die Ferien verreisen.
Es gibt auch einen Friedhof für Katzen. Auf der Île des Ravageurs in Asnières-sur-Seine finden seit 1899 Haustiere ihre letzte Ruhe. Der unter Denkmalschutz stehende Tierfriedhof gilt als der älteste der Welt. Neben Katzen sind dort auch Hunde, Kaninchen, Wellensittiche sowie ein Löwe und ein Pferd begraben.
Auch die Kultur kümmert sich um die Katzen von Paris. Es gibt den berühmten Trickfilm über eine Katze aus Paris: «Une vie de chat» ist ein Meisterwerk des französischen Studios Folimage aus dem Jahr 2010 und war bei der Oscarverleihung 2012 in der Kategorie «Bester animierter Spielfilm» nominiert.
Ja, sogar die Justiz kümmert sich um die Katzen von Paris. Ein Gericht hat die französische Staatsbahn SNCF zum Zahlen einer Entschädigung verurteilt. Den beiden Besitzerinnen der Katze «Neko» musste die Bahn je 1000 Euro zahlen. Die Katze war vor der Abfahrt aus einem Transportkorb entwischt. Die Besitzerinnen vermuteten das Tier richtigerweise unter dem Zug. Das Personal aber weigerte sich, den TGV im Bahnhof Paris-Montparnasse aufzuhalten. Später wurde das tote Tier zwischen den Gleisen aufgefunden.
Wo aber sind die Katzen von Paris? Und wie ticken die Katzen von Paris? In den zweieinhalb Wochen habe ich viele Ratten gesehen. Gut sechs Millionen davon soll es in Paris geben. Einige huschen sogar auf dem Gelände des Beachvolleyballstadions umher. Aber ich habe erst eine einzige, scheue Katze und eine Vermisstenanzeige an einer Hauswand gesehen.
Ein Zufall hat die tierische Recherche nach dem Wesen der Katzen von Paris erleichtert. Ein Bekannter von mir weilt wegen einer beruflichen Verpflichtung im Zusammenhang mit den Spielen vom 22. Juli bis zum 12. August in der Stadt.
Weil seine Mutter aus Paris stammt, hat er eine weitverzweigte Verwandtschaft in der Stadt. So kommt es, dass ihm eine Cousine ihre Wohnung für die Zeit des olympischen Aufenthaltes in der Stadt überlassen hat. Mit einer Bedingung: Er muss die Katze «Zola» betreuen, benannt nach dem ebenfalls berühmten Chronisten und Polemikers Émile Zola.
Mein Bekannter hat einen anspruchsvollen Job im Zusammenhang mit den Spielen. Aber die wahre Herausforderung sei für ihn, mit Zola zurechtzukommen. Zola sei eben eine typische Pariser Katze.
Ihr Verhalten darf also als repräsentativ für ihre Artgenossinnen und Artgenossen gelten. Mein Bekannter sagt, die typische Pariser Katze sei hochgradig neurotisch, ja eigentlich schizophren. Einerseits sehr liebesbedürftig, aber andererseits misstrauisch, ja in unberechenbarer Art und Weise aggressiv. Das komme daher, dass eine Katze in Paris immer in der Wohnung bleiben müsse. Das macht Sinn. Die Gefahr, von einem Auto überfahren zu werden, ist einfach zu gross. Eine typische Wohnung in den von Architekt Baron Georges-Eugène Haussmann entworfenen Stadthäusern haben nicht einmal einen Balkon, auf dem die Katzen ein wenig frische Luft geniessen könnten. Sondern nur ein Geländer grad vor dem Fenster.
Da der Chronist nie etwas publizieren würde, das er nur gerüchteweise vernommen und nicht selber überprüft hat, erkundigt er sich, wie man sich denn diese neurotisch-schizophrene Wesensart vorstellen könne. Und hat zur Erklärung ein Video überlassen, das zeigt, wie Zola einerseits schmeichelt und andererseits böse sein kann.
Der Chronist ist jetzt auch Experte zum Thema Wesensart der Katzen von Paris.