Dieser Sommer gehört den Frauen! Sie sind es, die in der Popkultur erstmalig allein das ganz gewaltige Geld umsetzen: Die laufende «Eras»-Tour von Taylor Swift spielte eine Milliarde US-Dollar ein, damit bricht die Sängerin den bisher von Elton John gehaltenen Rekord. Und auch der pinke Erfolgszug von «Barbie» rauscht unaufhaltsam weiter und knackte nach gerade einmal drei Wochen in den Kinos die magische Milliardengrenze. Greta Gerwig ist die erste Frau, der dieses Einspielergebnis solo auf dem Regiestuhl gelang. Was zeichnet die beiden Milliarden-Frauen aus, was trennt sie?
Taylor Swift hat den Konsenspop erfunden. Nicht ihre Stimme macht den Himmel auf, sondern die Überzeugung, als Swiftie, als ihr Fan - bekennend sind unter anderem Julia Roberts, Kevin Costner, Taylor Lautner - beteiligt zu sein an einer exklusiven Erfolgsgeschichte. Und das geht nur ohne Ecken und Kanten. Swifts Songs sind weder auffallend gut noch auffallend schlecht. Ein Mix aus Genres und Ich-Botschaften. Skandalfrei und aseptisch.
Sie selbst gibt sich gerne als Fürsprecherin für Künstlerrechte und Frauenförderung. Die 34-jährige Amerikanerin mit dem Willen zur Macht über sich selbst - und über die sozialen Medien - ist für die Millennials die Erfinderin eines eigenen Universums. Swift zeigt, wie man noch aus den Scherben eines gebrochen Herzens Stolz und Schönheit schlagen kann. Und Geld natürlich.
Wenn man's denn kann, wie es die Supernova unter den neofeministischen Superstars seit frühester Jugend beherrscht. Ihre Lieder wirken wie Tagebuchblätter eines Frauenlebens. Die Kunstfigur Swift sucht die Nähe zu ihren Swifties und trägt ihr Leben in der Öffentlichkeit aus. Nahbarkeit als Marketingstrategie. Communityarbeit, aber nicht aus christlicher Überzeugung zugunsten der Gemeinde. Swifts Motivation ist nicht ökumenischer, sondern ökonomischer Art.
Als Frau und Freundin von nebenan teilt sie allerdings die Lebenswirklichkeit ihrer Fans nur bedingt. Swift besitzt einen Privatjet, mit dem sie fast jeden zweiten Tag starten soll. Ihre Immobilien haben Millionenwerte und befinden sich verstreut in den teuersten Ecken von New York, Nashville und Westerley. Laut Forbes liegt ihr Nettovermögen dieses Jahr bei 740 Millionen Dollar. Tendenz steigend. Denn Geld und Glamour ist etwas, was ihr bereits als Mädchen vertraut war. Mit 14 Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Tennessee - ihr Vater ein Vermögensberater bei Merrill Lynch -, das Ziel des Töchterchens war es, Country-Star zu werden.
Ganz das Gegenteil von Glamour sind die Anfänge von Greta Gerwig. Die deutschstämmige Kalifornierin wurde durch Independent-Filme bekannt, in denen etliches geträumt wird - und noch mehr Träume begraben werden müssen. Grundsympathisch taumelte Gerwig in Filmen wie «Greenberg» (2010) und «Frances Ha» (2012), beide von ihrem Ehemann Noah Baumbach inszeniert, durch Lebensentwürfe, die mit denen vieler Millennials anschlussfähig sind: voller komplizierter Beziehungen, emotional so unsicher wie finanziell ungesichert, nuschelnd und nervös.
Mit «Lady Bird» (2017) und «Little Women» (2019) katapultierte sich Gerwig binnen kurzer Zeit auf den Thron als angesagteste Hipster-Arthouse-Regisseurin, erhielt erste Nominierungen für den Oscar. Zwei souverän inszenierte Filme, die ästhetisch wie inhaltlich nichts komplett auf den Kopf stellen; ein braves Rebellentum.
Doch zumindest waren sie so weit feministisch-frisch angehaucht, dass sie dem konventionellen Kern ihrer Stoffe eine zeitgemässe Dynamik und Nuanciertheit verliehen. Dies - und ihre autobiografischen Einsprengsel - machte sie auch für eine breitere Zuschauerschaft zugänglich. Und womöglich ist es genau jene für viele Seiten offene Bodenständigkeit, gepaart mit ihrem ansteckenden Enthusiasmus, die die Autodidaktin für den Blockbuster des Sommers 2023 zur perfekten Wahl gemacht hat. «Barbie» hat mit Margot Robbie und Ryan Gosling in den Hauptrollen bereits genug Hollywood-Power intus. Zudem fuhr der von Spielzeughersteller Mattel mitproduzierte Film eine 150 Millionen Dollar schwere Werbekampagne in omnipräsentem Pink auf, die sich mit diversen Fake News, etwa über ein überlebensgrosses Barbie-Hologramm in Dubai, sogar noch verselbstständigte.
Gerwig erdet diesen Gigantismus, nicht zuletzt durch ihre Person, ihr fröhlich-unprätentiöses Auftreten. Als Regisseurin und Drehbuchautorin fügte sie die nötige Prise Anspruch hinzu, die es braucht, dass von China bis Arabien ebenso über Kens Männlichkeitsbild diskutiert wird wie über die Frage, welche Barbie man als Kind besessen hatte. Gerwig ist das Bindeglied, das aus einem kapitalorientierten Konzernfilm einen nicht ganz doofen Sommerspass für alle gemacht hat - der natürlich immer noch mit anderthalb Augen auf den Profit schielt.
Der Gigantismus von Taylor Swift kennt keine Erdung. Und das soll so sein. The sky is the limit! Auch nach zehn gefeierten Studienalben geht die Jagd nach Rekorden weiter. Ihre Grenzen des Erfolgs sind dort, wo die Liste der Bestverdienenden endet. Letzten Dezember hatte sie zur selben Zeit die zehn vordersten Plätze der amerikanischen «Billboard Hot 100»-Verkaufschart inne. Auf Platz eins der Song «Anti-Hero», auf Platz zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun und zehn folgten weitere Titel ihres neuen Albums «Midnights».
Ein solches Künstlermonopol hatte seit der Erfindung der «Hot 100» noch niemand inne. Zufall daran ist nichts. Die Sängerin, der jedes Zeichen von Vamp fehlt - dafür das strategische Händchen hat, uns ihre Verruchtheit vorzugaukeln - hat ein Niedlichkeitsnäschen für Money, Money, Money. Mögen die Lieder von «Midnights» von Depression und gestörter Selbstwahrnehmung erzählen, aus einem unklaren Grund kann man ihr die entsprechende Gefühlstiefe nicht wirklich glauben. Die Stimme jedenfalls kennt Abgründe kaum.
Beide, Swift wie Gerwig, präsentieren eine zeitgemässe Form von Weiblichkeit, die überholte Gegensätze zusammenzudenken weiss: Mädchenhaft und zugleich erwachsen, selbstbewusst und zugleich mit einem Bewusstsein dafür, dass man nicht perfekt sein kann und braucht. Und vor allem muss man nicht alles alleine stemmen: Während Gerwig häufig mit Noah Baumbach zusammenarbeitet, pflegt Swift explizite Kolleginnenfreundschaften, etwa mit Selena Gomez. Selbstständig bedeutet noch lange nicht Einzelkämpferin.
Greta Gerwig, die vor zwei Wochen vierzig wurde, hat auch in Zukunft alle Hände voll zu tun: Als Nächstes steht ein weiteres Projekt an, das - wie vor kurzem «Barbie» - zunächst skeptisch beäugt wird: eine Neuverfilmung der «Chroniken von Narnia» für Netflix. Die Buchreihe des tiefchristlichen Autors C. S. Lewis hat gerade im englischsprachigen Raum eine riesige Fangemeinde, bei der die drei jüngsten Verfilmungen (2005-2010) gemischt ankamen. Dementsprechend vorsichtig gibt Gerwig sich in Interviews, in denen sie viel Raum für Selbstzweifel lässt.
Auch im Barbieland wird es nach dem Sensationserfolg weitergehen: Mattel plant weitere Fortsetzungen, auch welche aus der gesamten Produktpalette. Die kleine Puppe Polly Pocket wird wohl ebenso zum Leinwandleben erweckt werden wie die Lokomotive Thomas. Schlimmstenfalls behalten die Kritikerinnen und Kritiker von «Barbie» recht, die ja nicht zwangsweise alle so humorlos ausgestattet sind wie manch amerikanischer Fanatiker: Barbie mag vielleicht alles können, wird darob aber zum seelenlosen Produkt, das nur dazu dient, mehr Merchandise auf die Welt loszulassen. Der Erfolg macht selbst aus einer Indie-Regisseurin irgendwann ein Rädchen im Vermarktungsgetriebe.
Taylor Swift ein Rädchen? Wenn ja, dann hat sie die Maschine, die sie füttert, eigenhändig gebaut. Das und nichts anderes sollen die Öffentlichkeit und ihre Fans von ihr denken. Ein Filmprojekt ist am Start, natürlich führt sie selbst Regie und stammt das Buch von ihr. Doch vor dem Ende der «Eras»-Tour darf man mit Konkretem auf der Leinwand nicht rechnen.
Nächsten Donnerstag tritt sie in Mexiko-City auf, nach Lateinamerika folgt Japan. 2024 steht die Eroberung des australischen Kontinents an, Singapur - und schliesslich Europa. Am 9. und 10. Juli 2024 tritt Taylor Swift im Zürcher Letzigrund auf. Die Show dauert gigantomanische drei Stunden, die Schweizer Ticketbüros greifen zu Superlativen und sprechen bereits jetzt von der «grössten Nachfrage aller Zeiten». Dieser Sommer der Frauen wird zur fünften Jahreszeit! (aargauerzeitung.ch)