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Russland

Wie Macron Europa zurück an den Verhandlungstisch brachte

Putin «gefoltert»: Wie Macron Europa zurück an den Verhandlungstisch brachte

Ungewöhnlich lange hatte der französische Präsident mit Wladimir Putin in Moskau verhandelt – und offenbar für Bewegung in dem Konflikt gesorgt. Allerdings sind beide Seite uneinig über die Ergebnisse des Gesprächs.
08.02.2022, 13:57
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epa09736275 Russian President Vladimir Putin (L) and French President Emmanuel Macron (R) meet in the Kremlin in Moscow, Russia, 07 February 2022. Macron is visiting Russia on a mission to ease Russia ...
Ein grosser - aber immerhin ein Tisch.Bild: keystone
Ein Artikel von
t-online

Russischen Chardonnay-Wein Jahrgang 2015 liess Präsident Wladimir Putin seinem unbequemen Gast, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron , servieren. Vielleicht war es kein Zufall, dass der Wein aus dem Jahr stammte, in dem das von Frankreich und Deutschland mitverhandelte Minsker Abkommen unterzeichnet worden war. Es sollte den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland beenden, aber beide Seiten werfen sich vor, sich nicht daran zu halten.

Am nächsten Morgen zeigte sich Macron zufrieden mit dem Ergebnis. Putin habe ihm zugesichert, dass es «weder zu einer Verschlechterung noch zu einer Eskalation kommt», sagte er am Dienstag bei seiner Ankunft in Kiew. Putin habe Macron zugesichert, auf eine weitere Eskalation im Ukraine-Konflikt zu verzichten.

Putin, Nato und der Zankapfel: Der Ukraine-Konflikt einfach erklärt

Video: watson/Vanessa Hann, Emily Engkent

Russland dementierte allerdings Zusagen an Frankreich, bis auf Weiteres auf neue Manöver an der Grenze zur Ukraine zu verzichten. Die Berichte darüber seien falsch, sagt der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow. Frankreich und Russland seien sich bezüglich einer Deeskalation der Lage noch nicht einig geworden. Deeskalation sei aber nötig.

Fünf Stunden nur mit Übersetzern

Gut fünf Stunden hatten Macron und Putin verbal miteinander gerungen, ohne diplomatische Berater, nur mit Übersetzern im Raum. Putin sagte anschliessend, Macron habe ihn «gefoltert», und es klang nicht wirklich nach einem Scherz. «Ist es eine undankbare Aufgabe? Ja, ganz bestimmt», sagte auch Macron, der während der anschliessenden Pressekonferenz angespannt wirkte und immer wieder die Lippen aufeinander presste.

In welcher Rolle war Macron eigentlich nach Moskau gereist? Frankreich hat derzeit turnusgemäss die EU -Ratspräsidentschaft inne. Das verpflichtet das Staatsoberhaupt des betreffenden Landes aber nicht, sich in die Konflikte der Nachbarschaft einzuschalten.

Aber Macron scheint entschlossen, mit einer Mischung aus Pflichtgefühl und Ehrgeiz, internationale Blockade-Situationen überwinden zu wollen. Ähnliches hatte er 2019 versucht, als er US-Präsident Donald Trump und den iranischen Präsidenten Hassan Ruhani im Atomstreit zu direkten Verhandlungen bewegen wollte.

Viele Telefonate in den vergangenen Jahren

Zu Putin pflegt er schon seit Jahren ein besonderes Verhältnis – mit Einladungen nach Versailles und an die Côte d'Azur, mit 16 Telefonaten in zwei Jahren, aber auch mit harten Forderungen. Anders als bei früheren Treffen hatte Macron sich dieses Mal mit möglichst vielen Seiten abgesprochen.

Der Elysée hatte eine beeindruckende Liste der Gesprächspartner Macrons erstellt, unter ihnen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Joe Biden , aber auch politische Führer der Nato, der EU und der baltischen Staaten.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz erwähnte Macron nur sehr vage «Massnahmen, um die Situation zu stabilisieren und eine Deeskalation anzustreben». Der Elysée reichte Beispiele nach, etwa «keine neuen militärischen Initiativen» und den «Abzug der Soldaten am Ende der Militärübung in Belarus». Dies hatten allerdings weder Macron noch Putin bei ihrer Pressekonferenz erwähnt.

Gab es Zugeständnisse an Russland?

Bei genauem Hinhören liess Macron auch Zugeständnisse an Russland erkennen. So sei die offene Tür der Nato «essenziell für Länder wie Schweden und Finnland» sagte er, ohne die Ukraine zu erwähnen. Denkbar wäre etwa ein neutraler Sonderstatus für die Ukraine.

Macron lobte die «Gelassenheit» des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angesichts der russischen Militärpräsenz an der Grenze. «Bei 125'000 kann man schon nervös werden», sagte Macron. Andererseits sei es noch «kein heisser Krieg» wie 2008 in Georgien, wo sein Vorgänger Nicolas Sarkozy verhandelt hatte. «Ich bin fest davon überzeugt, dass wir noch Zeit haben», sagte Macron mit Blick auf das Ziel, «den Weg zu finden, um Frieden und Stabilität in Europa zu wahren».

Die gut fünf Stunden mit Putin waren nur eine Etappe. Am Dienstag wollte Macron noch Selensky, Scholz und den polnischen Präsidenten Andrzej Duda treffen.

«Statur eines Staatschefs»

Für Macron sei das ungewöhnlich lange Gespräch mit Putin zumindest ein persönlicher Erfolg, sagte Cyrille Bret vom Institut Jacques Delors im AFP-Gespräch. «Er hat kurz vor seinem offiziellen Eintritt in den Präsidentschaftswahlkampf gezeigt, dass er die Statur eines Staatschefs hat.»

Und noch etwas habe er erreicht: «Europa hat endlich wieder einen Platz am Verhandlungstisch bei einem Thema, das die europäische Sicherheit angeht», sagte Bret. Und an Putins XXL-Tisch, der im Internet für viel Spott gesorgt hat, ist viel Platz für alle Optionen, die bei weiteren Verhandlungen daraufgelegt werden können.

(AFP,rtr,t-online )

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35 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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klugundweise
08.02.2022 14:45registriert Februar 2014
„Europa hat endlich wieder einen Platz am Tisch wenn es um die Sicherheit Europas geht“. Höchste Zeit dass ein Europäer das Heft in die Hand nimmt, Willy Brandt kann ihm Vorbild sein!
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The Destiny // Team Telegram
08.02.2022 15:58registriert Mai 2014
Jetzt wissen wir warum der Tisch so groß ist, sie haben Platz gebraucht um alle ihre Karten auszuspielen.
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Sherlock_Holmes
08.02.2022 14:26registriert September 2015
Sollte Emmanuel Macron tatsächlich Erfolg haben, so wäre dies ein Lichtblick für Europa und würde nicht zuletzt seine Position im französischen Wahlkampf stärken.
Beides ist mehr als zu hoffen – ein Scheitern wäre für Frankreich und Europa fatal.
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