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Russland

«Polen als Nächstes» – so reden russische Experten über Ukraine-Krieg

«Unsere Ziele sind ambitioniert, sehr ambitioniert» – Putin hat laut Experten Grosses vor

Bald bricht das dritte Kriegsjahr in der Ukraine an, ein Ende ist jedoch nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im russischen Fernsehen reden die Experten von weiteren Invasionen, neuen Grenzen und dem Dritten Weltkrieg. Ein Blick in drei russische Fernsehsendungen.
17.01.2024, 05:0617.01.2024, 05:06
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«60 Minuten»: «Polen sind die nächsten»

In der Talkshow «60 Minuten» des Staatssenders Rossija 1 nimmt der Duma-Abgeordnete Alexei Zhuravlev kein Blatt vor den Mund. In einem 3,5 Minuten langen Monolog schiesst er hemmungslos gegen den Westen und droht mit grossen Worten.

Sein Monolog beginnt zunächst mit einem Eingeständnis der Stärke der Ukraine:

«Es sollte angemerkt werden, dass der Feind immer noch stark und aktiv ist.»

Die Ukraine habe viele Drohnen im Einsatz. In Awdijiwka beispielsweise würden Drohnen jeden einzelnen ihrer Soldaten verfolgen. «Teilweise mit bis zu zwei Drohnen pro Soldat!», betont er sichtlich beeindruckt.

Russian Media Monitor
Alle hier besprochenen Video-Clips stammen vom Youtube-Kanal Russian Media Monitor. Dabei handelt es sich um ein Projekt, welches 2014 von der gebürtigen Ukrainerin und Kolumnistin Julia Davis ins Leben gerufen wurde, um gegen russische Propaganda vorzugehen. Auf Youtube und Twitter publiziert sie Videos aus russischen Fernsehshows, die sie mit englischen Untertiteln unterlegt. Für ihre Arbeit wurde sie im Jahr 2022 von Russland sanktioniert.

Doch dann schlägt Zhuravlev optimistischere Töne an. Die Lage um Neujahr sei dieses Jahr viel besser gewesen als 2022/2023 – wie «Tag und Nacht». Gemäss seinen Aussagen dürfte es sogar noch besser kommen, denn die grössten Geschütze seien noch gar nicht aufgefahren worden:

«Der Hauptangriff wird sicher kommen. Da habe ich keine Zweifel.»

Dann wendet er sich rhetorisch an den Westen:

«Was werdet ihr dagegen tun?»

Sie würden begreifen, dass die Ukraine am Ende sei, so Zhuravlev. Also was komme als Nächstes?

«Schweden macht sich ebenso bereit wie die Balten. Die Polen haben sich ein wenig beruhigt, sie haben wahrscheinlich begriffen, dass sie die nächsten sind. Natürlich machen wir uns keine Illusionen, aber wir verstehen, dass sie sich alle auf die nächste Phase des Krieges vorbereiten.»
3:00 / 3:27


State Duma member Aleksey Zhuravlyov says Poland is next
Bild: https://www.youtube.com/watch?v=5JGGiz0EVBU

Zum Ende des Clips äussert er sich noch zu den Huthis, die derzeit mit ihren Angriffen das Rote Meer unsicher machen. Er werde nicht viel dazu sagen, er sei kein grosser Experte auf diesem Gebiet, aber:

«Für uns ist es absolut von Vorteil. Der Ölpreis schiesst in die Höhe und alle vergessen die Ukraine.»

Dann äussert er mit ausgebreiteten Armen eine Kampfansage an den Westen:

«Nur zu, seid ihr bereit, einige Kriege zu führen? Nur zu, Westen!»

«Sonntagabend mit Wladimir Solowjow»: «Wir sind im dritten Weltkrieg»

Auf demselben Sender ist auch Propagandist Wladimir Solowjow aktiv. Es ist daher wenig überraschend, dass er – als Sprachrohr Putins – in seiner Show «Sonntagabend mit Wladimir Solowjow» ebenfalls das Bild des bösen Westens zeichnet:

«Wir sind mit einem gewaltigen Feind konfrontiert. Wir haben es sozusagen mit einem kollektiven Westen zu tun. Das sind mehr als 50 Länder.»

Der «Westen» sei kein geografischer Begriff mehr, da er auch nicht-westliche Länder beinhalte. Dieser Westen jedenfalls werde seine Wirtschaft ankurbeln und diese für den Krieg vorbereiten.

«Das bedeutet, dass wir 1,5 bis 2 Jahre Zeit haben, um unsere Wirtschaft auf ein Niveau zu bringen, auf dem sie in der Lage sein wird, gegen diese Länder mit ihrem wirtschaftlichen Potenzial zu bestehen.»

Man bewege sich in Richtung des Dritten Weltkrieges. Seiner Meinung nach befinde man sich bereits mittendrin. Und übrigens, fügt er an, Trump denke das auch.

Vladimir Solovyov says we are in WWIII
Bild: https://www.youtube.com/watch?v=t_XyqhXWb9c

«Mesto Vstrechi»: «Krieg wird 2024 nicht enden»

Auch in der Talkshow Mesto Vstrechi auf NTV wird über den Ukraine-Krieg diskutiert. Der Sender ist nicht Teil des Staatsfernsehens, sondern gehört zu Gazprom Media – was die Anwesenden scheinbar zu etwas mutigeren Aussagen hinreissen lässt.

Moderator Andrey Norkin will von den Anwesenden wissen, ob es im Jahr 2024 nebst den US-Präsidentschaftswahlen etwas gäbe, das das Jahr erheblich beeinflussen könne.

Die Anwesenden gehen davon aus, dass die Unterstützung der Ukraine in diesem Jahr nachlassen werde. Gevorg Mirzayan, Senior Associate Professor für US-Aussenpolitik, glaubt dennoch, dass niemand die Ukraine aufgeben würde. Sie werde aber weniger Geld erhalten, was Russland die Möglichkeit gebe, den Krieg im Jahr 2024 erfolgreich fortzusetzen.

«Meine Vorhersage für 2024 ist, dass der Krieg höchstwahrscheinlich nicht enden wird. Unsere Ziele sind ambitioniert, sehr ambitioniert.»

Sowohl der Präsident als auch weitere respektable Figuren hätten dies angedeutet, so Mirzayan.

«Ich hoffe, es wird keine Eskalation geben», wirft an dieser Stelle der Moderator ein, worauf Mirzayan verblüfft reagiert.

«Was ist der Sinn, wenn es keine Eskalation gibt?»
Gevorg Mirzayan, Senior Associate Professor für US-Aussenpolitik,
Bild: https://www.youtube.com/watch?v=0Otkd8FNzw8

Man habe momentan einen taktischen Vorteil, was die Ausrüstung und die Leute betreffe, fährt Mirzayan fort. Zudem sei der Westen müde von der Ukraine.

«Das gibt uns die Möglichkeit, im Jahr 2024 an verschiedenen Fronten Fortschritte zu machen.»

Dass Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewinnen wird, nimmt Mirzayan bereits als Tatsache hin und spinnt das Szenario weiter: Trump werde interessiert sein, über «Verhandlungen zu verhandeln». An diesen Verhandlungen sollte Russland teilnehmen und mit Grenzanforderungen auftauchen, die ihrem Land «passen». Wenn Moskau Erfolge erzielen könne, dann könnten diese Verhandlungen schon bald stattfinden.

Der politische Wissenschaftler Aleksandr Sytin sieht diesem Szenario pessimistischer entgegen. Es dürfte sich noch lange hinziehen, bis es so weit sei, so Sytin. Er wisse nicht, wer von ihnen lange genug leben werde, bis der letzte Ukrainer – «es gibt viele von ihnen», wirft der Moderator ein, bevor Sytin den Satz beenden kann.

Dann schneidet Sytin das Thema der russischen Wahl an – obwohl er gar nicht weiss, was er dazu sagen soll:

«Die Situation mit den Wahlen in Russland ist so vorhersehbar, dass mir nichts zur Diskussion einfällt.»

Daraufhin wendet sich der neben ihm sitzende Gast mit belehrendem Zeigefinger an ihn und betont, dass es nicht um die Resultate, sondern um die Konsequenzen gehe. Es werde einfach weitergehen wie bisher, entgegnet Sytin darauf. Die russische Wirtschaft werde sich weiterentwickeln, während sich das Leben in Russland zunehmend verschlechtere.

Daraufhin stichelt der Moderator: «Ist dein Leben so hart?» Er werde ständig gefragt, wie viele Anzüge und Sonnenbrillen Sytin besitze. Er habe etwa 12, antwortet Sytin, stimmt dem Moderator aber zu, dass er seine Kollektion seit einiger Zeit nicht mehr habe erweitern können. Da ertönt die Stimme vom zweiten Moderator Ivan Trushkin aus dem Off: «I feel your pain».

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Das Who is Who der Ukraine – diese Namen solltest du kennen
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Das Who is Who der Ukraine – diese Namen solltest du kennen
Walerij Saluschnij – Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine
quelle: www.imago-images.de / imago images
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Gerhard Andrey will die Ukraine mit 5 Milliarden Franken unterstützen
Video: srf
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150 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Äuwä
15.01.2024 20:34registriert Januar 2018
Wir sollten nicht den Fehler machen dieses entsetzliche Säbelrasseln gegen den Westen nicht ernst zu nehmen. Sollte Trump gewählt werden, müssen wir damit rechnen, dass die USA die NATO verlässt. Dann sind wir Europäer, die Rest-NATO und neutrale Länder gefordert, sich gegen ein auf Kriegswirtschaft umgestelltes Russland behaupten zu können. Vorzugsweise stark genug, dass dieses faschistische Russland gar nicht erst in Versuchung kommt.
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Rüssgeischt
15.01.2024 20:19registriert Februar 2021
Die Dampfplauderis der Russenpropaganda.
Sie bringen es nicht fertig, in den Städten die Heizung in Gang zu halten um ihre Landsleute nicht erfrieren zu lassen.
Ausser grosse Töne spucken gelingt den Russen so herzlich wenig!
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Väterchen Frost
15.01.2024 20:10registriert Dezember 2020
Erbrechenswert 😶
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    Mallorcas Regierung will Flüge auf die Balearen einschränken
    Die Massnahmen rund um den Massentourismus erreichen nach Monaten voller intensiver Proteste eine neue Ebene: Nun sollen Flugreisen begrenzt werden. Ob das wirklich klappt, bleibt fraglich.

    Allen, die schonmal in der Hauptsaison auf die balearischen Inseln rund um Mallorca, Ibiza und Menorca geflogen sind, ist klar: Im Sommer sind die Urlaubsdomizile nur schwer geniessbar. Zumindest die touristischen Hotspots, die einheimische Gastronomie und die Flughäfen sind meist komplett überfüllt und platzen aus allen Nähten.

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